Ein musikalischer Spuk (2)

von Christopher Pearse Cranch

Ein musikalischer Spuk (2)
 
Von Christopher Pearse Cranch
 
Spindles teilte plötzlich ganz allein die Gegenwart des leichenhaft blassen Fremden. Ein unheimliches Gefühl ergriff von ihm Besitz. Er hörte sich sagen, daß es sicherlich besser wäre, wenn der Gentleman morgen noch einmal wiederkäme. Dann wäre auch Mr. Shrowdwell wieder da, und Shrowdwell verstünde etwas von seinem Geschäft. Aber der Fremde bohrte seine kalten schwarzen Augen in ihn und flüsterte heiser: „Ich kann nicht warten. Sie müssen ihn heute noch anfertigen heute nacht… Kommen Sie, nehmen Sie endlich Maß!“
Eine seltsame Faszination hielt Spindles gebannt, und mechanisch schickte er sich an, das Maß zu nehmen, wie es ein Schneider für eine Hose oder einen Mantel genommen hätte.
„Sind Sie fertig?“ fragte der Fremde. „Ja, Sir, fertig“, stammelte Spindles. „Welchen Namen nannten Sie, Sir?“ „Der Name tut nichts zur Sache. Ich habe keinen Namen. Wenn es das Schicksal erlaubt hätte, wäre vielleicht auch ich in den Besitz eines solchen gelangt. Und nun zum Stil des Sarges, wie ich ihn mir wünsche.“
Er holte Bleistift und Papier aus seiner Tasche und zeichnete einen Entwurf nach seinen Vorstellungen. Die Umrisse der Zeichnung schienen in der Dunkelheit wie Phosphor zu leuchten. „Ich brauche einen Deckel und Scharniere - so, sehen Sie und ein Schloß auf der Innenseite und viel Platz für meine Arme.“ „Wie Sie wünschen“, sagte Spindles stotternd, „wir werden den Plan wunschgemäß ausführen. Aber es entspricht nicht so recht unseren Gepflogenheiten, Särge dieser Art anzufertigen.“ Bei diesen Worten starrte der junge Mann auf die Zeichnung. Um alles in der Welt, sie sah haargenau wie ein Kontrabaß aus.
„Wann kann ich ihn haben?“ fragte der Fremde, der den Bemerkungen Spindles' keine Beachtung schenkte. „Übermorgen, hoffe ich. Aber ich – muß… muß - erst noch Mr. Shrowdwell fragen.“
„Ich brauche ihn in drei Tagen und werde mich am Freitagabend um diese Zeit bei Ihnen melden. Aber da Sie mich ja nicht kennen, zahle ich im voraus. Dies wird für alle Ausgaben reichen, denke ich.“ Mit diesen Worten überreichte er Spindles eine Banknote. „Gewiß“, stammelte dieser.
„Ich bitte Sie, dem Deckel und dem Schloß besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ich war nämlich schon einmal begraben, müssen Sie wissen, aber diesmal soll es nach meiner Art geschehen. Ich habe zwar schon einen Sarg, aber der ist zu klein für mich. Ich bewahre ihn unter meinem Bett auf und benutze ihn als Koffer. Gute Nacht. Bis Freitagabend also - vergessen Sie es nicht.“
Spindles dachte, daß es für ihn wohl kaum mit großen Schwierigkeiten verbunden sein würde, wenn er den Auftrag einfach vergäße. Denn er fand keinen Gefallen an der Idee, den unheimlichen Fremden wiederzusehen - besonders nachts. „Dann wird wohl Shrowdwell hier sein“, sagte er zu sich.
Als der geheimnisvolle Fremde gegangen war, steckte Spindles die Banknote in seine Brieftasche, schritt unruhig auf und ab, schaute zum Fenster hinaus und wünschte sehnlichst, Shrowdwell würde bald heimkommen. „Alles in allem ist er nur ein Verrückter, murmelte er vor sich hin. „Und doch - warum brennt die Lampe so düster? Und was bedeuteten die Klopfgeräusche, die er gehört hatte, bevor der Fremde eingetreten war? Und diese Zeichnung mit einem phosphorizierenden Stift! Und sein leichenhaftes Aussehen! Was soll's, ich rauche eine neue Pfeife.“
Und er setzte sich, mit dem Rücken zu den Särgen, am Ofen nieder. Endlich schlug die Stadtuhr neun, und er schloß den Laden, mehr als froh, endlich nach Hause gehen zu können.
Am nächsten Morgen erzählte er Shrowdwell die Geschichte, überreichte ihm zur Bekräftigung die Banknote und zeigte ihm die Zeichnung, deren Umrisse bei Tageslicht ziemlich blaß wirkten. Shrowdwell nahm vergnügt das Geld an sich und sperrte es in den Safe.
„Was halten Sie von der ganzen Affäre, Mr. Shrowdwell?“ fragte Spindles.
„Dies ist ein armer, verwirrter Gentleman, Spindles. Ich habe für solche seltsamen Kunden schon Särge gemacht, aber dies ist irgendwie ungewöhnlich - ha! ha! -, daß ein Mann hereinkommt und seinen eigenen Sarg bestellt und gleich Maß nehmen läßt! Dies ist ein neuer und sehr interessanter Fall, Spindles - ein Fall, der mir noch nicht untergekommen ist. Aber lassen Sie mich die Zeichnung noch einmal sehen. Wie schwach sie ist. Ich muß meine Brille aufsetzen. Nun, es handelt sich in der Tat um nichts anderes als um einen sehr großen Geigenkasten. Wahrscheinlich ein verrückter Musiker, der sich das alles nur einbildet. Vermutlich hält er sich für einen großen Geiger - ah, Spindles?“
Und er lachte milde über seine eigenen Einfälle. „Bei meiner Seel', dies ist wahrhaftig eine seltsame Geschichte. Man stelle sich vor: ein Geigenkasten - haha! Aber wir müssen den Auftrag natürlich ausführen.“
 
 
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