Eine Tragödie auf vielen Ebenen

„Das Leuchten der Erinnerung“ von Paolo Virzì

von Renate Wagner

Das Leuchten der Erinnerung
(The Leisure Seeker - Frankreich, Italien 2017)

Regie: Paolo Virzì
Mit: Helen Mirren, Donald Sutherland u.a.
 
Wieder einmal ist man nicht gut beraten, wenn man der Werbung glaubt oder sogar Kritikern, die offenbar etwas mißverstanden haben („A crushingly funny Alzheimer’s comedy“) – und sich einreden läßt, „Leuchten der Erinnerung“ sei ein Film über fröhliche Oldies. Mitnichten, es ist eine Tragödie von Anfang bis zum Ende, und das in vieler Hinsicht. Der Regisseur hat einiges mißverstanden und liefert einen total unausgegorenen Genre-Mix.
Vielleicht ist auch der Mix der Kulturen und der Sentiments dem Ganzen nicht gut bekommen. Da war zuerst ein offenbar schnulziger Absterbens-Amen-Roman des Amerikaners Michael Zadoorian, der schon viele Bücher der sentimentalen Art geschrieben hat. Den nahm sich der italienische Regisseur Paolo Virzì mit Hilfe mehrerer Drehbuchschreiber für einen englischsprachigen, aber französisch/italienisch produzierten Film vor. Ein uramerikanisches altes Ehepaar besetzte er mit der Engländerin Helen Mirren und dem Kanadier Donald Sutherland. Vor allem der versuchte Südstaaten-Akzent von Helen Mirren scheint amerikanische Kritiker mit Schauder erfüllt zu haben, alle erwähnen ihn negativ – was nur beweist, daß auch die beste Schauspielerin nicht alles kann. Auch sprangen sie und Sutherland nicht wirklich über die bemühte Künstlichkeit von Dialog und Story: Das Geschehen hat etwas Forciertes, Vorgespieltes, das schnell auf die Nerven geht.
Nun hat die Geschichte alle Klischees möglicher „Alte Leute“-Erzählungen: Sie ist offenbar schwer krebskrank, verbirgt aber die ausfallenden weiße Haarreste unter einer Perücke und sorgt dafür, daß nur das Kinopublikum Schmerz und Schwäche mitkriegt. Er hat Anfälle von Alzheimer, die ihn periodenweise von seinem Ich und seiner Umwelt abrücken, womit die Gattin heldenhaft umgeht. Die beiden, Ella und John, ein halbes Jahrhundert verheiratet, Eltern zweier längst erwachsener Kinder, machen sich im Sommer 2016 zu einer Reise auf, die selbstverständlich ihre letzte sein wird – der Kinobesucher weiß das von Anfang an.
 
Das Roadmovie, das von der Heimat der beiden, von Wellesley in Massachusetts nach Key West in Florida führt, ist der zelebrierte Abschied. Key West übrigens, weil John Literaturprofessor war. Er mag die Erinnerung an sein eigenes Leben verlieren, die an Bücher und Autoren verliert er nie – Hemingway und Melville kann er immer zitieren, und zu Hemingways Haus in Key West geht auch die Abschieds-Reise (von der er nicht viel mitbekommt). Sie findet in dem geräumigen Familien-Wohnmobil statt, das den Spitznamen „Leisure Seeker“ trägt (was auch der originale Titel von Roman und Film ist) und das ein Mann, der so wirr im Kopf ist wie John, eigentlich nicht mehr fahren sollte.
Was im Lauf der Fahrt passiert, ist entweder langweilig (von Campingplatz zu Campingplatz, man hat einen alten Projektor dabei und sieht sich abends alte Dias an) oder unglaubwürdig: Wenn ein paar junge Kriminelle sie überfallen, ist Ella schnell mit einem Gewehr bei der Hand und schlägt sie in die Flucht. Wenn John sich gedankenverloren daran erinnert, daß er mit der Nachbarin einst ein Verhältnis hatte, wovon Ella nichts wußte, setzt sie ihn in einer Wut, die nach Jahrzehnten nicht einmal lächerlich, sondern einfach dumm und peinlich wirkt, in einem Altersheim ab – bis sie ihn dann wieder abholt… Es gibt noch mehr von diesen Dingen, die mit Literatur (oder Drehbuch) und wenig mit Glaubwürdigkeit zu tun haben.
Wirklich schöne kleine Szenen sind selten – wie die in einem Coffeeshop, wo der abgehobene John es nicht lassen kann, der afroamerikanischen Kellnerin einen Vortrag über „Der alte Mann und das Meer“ zu halten. Und siehe da, er begegnet keinem verständnislosem Blick, sondern einer strahlenden jungen Frau, die mit ihm den Hemingway-Text rezitiert, über den sie im College eine Arbeit geschrieben hat… Warum sie jetzt hier ihren Lebensunterhalt auf der geringsten Stufe der Möglichkeiten verdienen muß, die Frage bleibt im Raum stehen. Ebenso wie jene beklemmende Szene, wo Ella und John in eine Wahlkampfdemonstration der Trump-Befürworter und ihr „Make America great again“-Skandieren hinein geraten… Nicht, daß es für den Film etwas bedeuten würde.
 
Nachdem sich zwei große Schauspieler durch ein schwaches, flaches Drehbuch mehr schlecht als recht gerettet haben, beschließt Ella das vorhersehbare Ende (mit tränenseligem Brief an die zurückbleibenden Kinder). Sehr zur Erleichterung des Kinobesuchers. Nein, das ist kein „romantisches Roadmovie“, wie man lesen kann, und schon gar keine crushingly funny Alzheimer’s comedy – eher eine Tragödie auf vielen Ebenen, die es nur dem Prestige ihrer Darsteller verdankt, daß man sich (allerdings gering belohnt) darauf einläßt.
 
 
Renate Wagner