Glanz, Drama und Aura

„Der seidene Faden“ von Paul Thomas Anderson

von Renate Wagner

Der seidene Faden
(Phantom Thread - USA 2017)

Drehbuch und Regie: Paul Thomas Anderson
Mit: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville u.a.
 
Paul Thomas Anderson, Jahrgang 1970, hat im Lauf seiner Karriere nicht viele Filme vorgelegt, aber so gut wie jeder fand die höhere Aufmerksamkeit – zumindest der Kritik. Sein jüngstes Werk wirkt äußerlich „zahmer“ als frühere, dreht aber die Schraube zum Psychothriller der unbrutalen, aber darum nicht weniger intensiven Art ziemlich bald an.
Anfangs gewinnt man den Eindruck, es ginge nur um das Porträt eines Mannes, der als Künstler anerkannt wird (wenn auch „nur“ ein britischer Modekönig der Fünfziger Jahre) – und der sich als extrem egozentrisch, beziehungsunfähig und seiner Umwelt gegenüber komplett rücksichtslos erweist. Unter der eleganten Erscheinung und den gepflegten Manieren gegenüber Kundinnen in der Seele ein Monster. Daniel Day-Lewis, erst 60jährig, dem die Zusammenarbeit mit Anderson schon einen seiner drei „Oscars“ eingebracht hat („There Will Be Blood“, 2007), hat erklärt, diese seine Rolle sei seine letzte auf der Leinwand. Es wäre, wenn er dabei bleibt, der würdige Abschluß einer überdurchschnittlich glanzvollen Karriere – mit der Studie eines geheimnisumwitterten Einsamen, der endlich seine Meisterin findet.
 
Es ist eine Rolle, wie sie ein Über-Drüber-Schauspieler wie Day-Lewis nur genießen kann. Zu Beginn erlebt man diesen Reynolds Woodcock völlig in sich selbst verkapselt, ausschließlich auf seine Arbeit konzentriert, und es ist seine Schwester Cyril (außerordentlich Lesley Manville, altjüngferlich verkniffen, aber durchaus kampfbereit, wenn es um den Bruder geht), die ihm diese Existenz ermöglicht und die Umwelt von ihm abschottet. Eine Bettgefährtin braucht der große Mann allerdings immer, aber wenn diese beim Frühstück eine Szene machen möchte, weil sie sich unzureichend beachtet fühlt, holt sie sich nicht nur eine eisige Abfuhr (er muß schließlich arbeiten und darf in seiner Konzentration nicht gestört sein), sondern wird von der Schwester ganz schnell wegkomplimentiert…
Es gibt Szenen, in denen ältere Damen höflich in das Modehaus trippeln, Arbeitsmäntel anziehen und offenbar persönlichen Ehrgeiz darein legen, wunderbare Nähte zu vollbringen und die Modelle ihres „Herren“ zum Leben zu erwecken (die uns, es sind die 50er Jahre, allerdings nicht besonders chic vorkommen). Man erlebt die reichen Kundinnen, ob Millionärinnen, ob Prinzessinnen, und dennoch ist es kein Film über die Modebranche – Paul Thomas Anderson interessiert sich offenbar dafür viel zu wenig, um dieser Welt ihr Flair zu geben. Es geht ihm viel mehr darum, den Charakter seines monströsen Egozentrikers zu knacken.
 
Dazu muß Alma auftauchen, eine Serviererin in einem Gasthaus auf dem Land: Ihre Blicke finden sich, der Weg führt direkt in sein Landhaus. Vicky Krieps, die sich im Vorjahr als Jenny Marx in dem Film über den jungen Karl Marx unauslöschlich in das Gedächtnis des Kinobesuchers prägte, ist ein interessanter Typ für diese Rolle, weil gar nicht das übliche hübsche Gesicht. Dafür strahlt sie a priori so viel Persönlichkeit und Stärke aus, daß man kaum begreift, daß Reynolds Woodcock sie wählt – das ist nämlich genau die Art Frau, die er nicht brauchen kann.
Sie arbeitet in der Firma mit, sie ist Geliebte und Angestellte, vor allem aber kein Geschöpf, das sich klein macht, bescheiden und unauffällig und demütig bleibt und unterdrücken läßt. Wenn der Kampf der beiden, der sich nach und nach zuspitzt, dann zum echten Krimi wird, wenn die Methoden der Frau gnadenlos (und eigentlich kriminell) werden, dann kippt die Geschichte um – und Woodcock auch. Man weiß, wer als Sieger(in) übrig bleibt, und Vicky Krieps umgibt mehr und mehr die geheimnisvolle Aura der großen melodramatischen Heldinnen… und Day-Lewis fügt seinem Helden noch unerwartete Facetten (der Niederlage?) hinzu. Fest steht: Man weiß nicht, man ahnt nicht einmal. wie das alles weitergeht, wenn gewissermaßen der Vorhang fällt…
 
Trailer   
 
Renate Wagner