Das faszinierende Unerklärliche

„Winchester – Das Haus der Verdammten“ von Michael Spierig und Peter Spierig

von Renate Wagner

Winchester –
Das Haus der Verdammten

(Winchester: The House That Ghosts Built - USA 2017)

Drehbuch und Regie: Michael Spierig, Peter Spierig
Mit: Helen Mirren, Jason Clarke, Sarah Snook, Finn Scicluna-O’Prey u.a.
 
Horrorfilme sind im allgemeinen nicht mit „Oscar“-gekrönten Spitzenschauspielerinnen besetzt, aber „Winchester“ ist anders, wenn es auch auf den ersten Blick wie die klassische Spukhaus-Geschichte aussieht. Aber das riesige, palastartige und vor allem labyrinthische Haus der Familie Winchester im kalifornischen San José gibt es wirklich, und Sarah Winchester, die Witwe von William Wirt Winchester, die sein halbes Vermögen (Anteile an der Winchester Repeating Arms Co.) erbte, ist ebenso historisch – und man kann vermuten, daß sie als Persönlichkeit so stark war, wie keine Geringere als Helen Mirren sie nun auf die Leinwand bringt.
 
Im Jahre 1906 lebt diese 66jährige Witwe (der Gatte war schon 1881 gestorben!) in ihrem Haus, das sie stets erweitern ließ, das eine einzige Baustelle war und es bis zu ihrem Tod im Jahr 1922 blieb. Sarah Winchester ließ unaufhörlich Zimmer zubauen – für die Geister. Die Geister jener Menschen, die durch einen Schuß aus einer der Winchester-Waffen (legendär in der Realität und auch im Western-Film!) ums Leben gekommen waren. Das war für sie keine Frage – sie sah und erlebte die Geister, zweifelte keine Sekunde an ihrer Präsenz, fürchtete sie nicht und wollte ihnen nur helfen…
Logisch, daß sich ein Firmenvorstand mit einer solchen Besitzerin nicht wirklich befreunden kann. Der Film beginnt damit, daß man den Psychiater Eric Price beauftragt, sich als Gast ins Haus zu begeben und ein Gutachten über die Dame zu erstellen. Mit ihm betritt man das Haus, sieht sich in der unheimlichen Umgebung um und hört von Mrs. Winchesters verwitweter Nichte Marian Marriott (Sarah Snook), die mit ihrem kleinen Sohn hier lebt, die Bitte, die Dame mit Respekt zu behandelt.
Wie auch anders, wenn Helen Mirren erscheint, immer ganz in Schwarz – und keinem Klischee verfallend. Sie spielt keine großartige Königin-Witwe, sie spielt keine verwirrte, verrückte alte Dame, sie ist schlechtweg von genialer Ruhe und Ausgeglichenheit und läßt die Idee, es könnte mit ihr im Oberstübchen etwas nicht stimmen, keine Sekunde aufkommen. Sie tut, was sie tut, weil sie es will und muß, und sie weiß genau, wie ihr Haus und ihre Überzeugungen auf andere wirken mögen… „Halten Sie mich für dumm (a fool), daß ich den Unterschied zwischen Illusion und Wirklichkeit nicht erkennen sollte?“
 
Eric Price (von Jason Clarke ruhig und überlegen gespielt, nur manchmal unsicher werdend, wenn es um seinen Medikamentenmißbrauch und um seine eigene unbewältigte Vergangenheit geht) ist ein aufgeschlossener Beobachter. Er hört seltsame Geräusche, sieht Seltsames wie wandernde Erscheinungen (alles Dinge, die einen geeichten Horrorfilm-Kenner allerdings nicht eine Zehntelsekunde erschüttern) – und kann sie nicht glauben. Man lebt schließlich in einem Zeitalter der Vernunft.
Und doch – der kleine Junge (Finn Scicluna-O’Prey) schlafwandelt, benimmt sich seltsam, fast wie besessen, und schließlich weiß Price keine Erklärung dafür, was Sarah Winchester genau zu wissen scheint: Daß die Geister der Getöteten friedlos in diesem Haus des Mannes, der mit seinen Gewehren Millionen verdiente, herumwandern… Diese Schatten hätten ein „unfinished business“, sagt Sarah Winchester, und sie will sie in diesem Haus zumindest beheimaten.
Natürlich bietet dieser Film, der wieder einmal von einem Drehbuch schreibenden, Regie führenden Brüderpaar (Michael Spierig & Peter Spierig) geschaffen wurde, inhaltlich die Variationen ein- und desselben Themas, selbst wenn sie die Horror-Elemente nach und nach steigern. Selbstzweck werden sie nie, und sie rutschen auch nicht ins Alberne ab. Es geht grundsätzlich um das Unerklärliche und um die Erklärungen, die man erhält. Immer, wenn Helen Mirren erscheint und in aller Ruhe mit Jason Clarke diskutiert, ist man gänzlich fasziniert – und am Ende sogar geneigt, ihr zu glauben. (Nach dem alten Shakespeare Motto, daß da mehr Dinge zwischen Himmel und Erde seien…)
Am Ende verlieren auch coole Wissenschaftler ihre Nerven, aber zumindest nicht ihren Anstand – jedenfalls in diesem Fall. Clarke tut dem Winchester-Aufsichtsrat nicht den Gefallen, Sarah Winchester für verrückt zu erklären, und man ist ganz seiner Meinung. Zu souverän hat Helen Mirren gezeigt, daß es in ihrem Fall um Wiedergutmachung geht – um das Unrecht an den Getöteten.
 
Eines ist sicher: Sollte man je in die Nähe kommen, wird man sich eine Besichtigung des „Winchester Mystery House“ nicht entgehen lassen…
 
Trailer   
 
Renate Wagner