Viktorianisches Krimi-Drama á la bonheur

Ralf Budde inszeniert „Fünf Frauen und ein Mord“

von Frank Becker

Gladys Heppleworth - Foto: John Robinson © Musenblätter
Der Schnee deckt alles zu…
 
Ralf Budde inszeniert „Fünf Frauen und ein Mord“
Ein viktorianisches Krimi-Drama von Gladys Heppleworth
 
Regie: Ralf Budde – Bühne: Jan Bauerdick - Kostüme: Noëlle-Magali Wörheide
Besetzung: Andreas Wirth (Inspector Hollister) – Christina de Bruyckere-Monti (Vera Ratow) – Monika Owart (Mrs. Heartstone) – Charlotte Reinke (Jane Heartstone) – Anja Bielefeld (Hausmädchen Ruby) – Karin Schwarz (Mrs. Worthing) 
 
Dräuende Musik sorgt für knisternde Spannung, ein erlesenes Personal in perfekter Garderobe und Maske (Noëlle-Magali Wörheide) dafür, daß die Spannung bis zum Ende hält. Ralf Budde hat für seine Inszenierung in würdig düsterem Rahmen (Bühne: Jan Bauerdick) eine ideale Besetzung gefunden, die mit spürbarer Spielfreude alles gibt.
 
Der Stoff des raffinierten Bühnenthrillers jongliert mit nahezu allen Klischees der Roman- und Bühnen-Literatur englischer Whodoneit-Crime-Stories in der Tradition von Agatha Christie, Louis Weinert-Wilton oder Edgar Wallace. So witzig wie die im ausgehenden viktorianischen Zeitalter angesiedelte Geschichte ist auch die laut Programmheft fiktive Biographie der Autorin: „Geboren 1889 in Berkshire durchlebte Gladys eine schwere Kindheit in einem Waisenhaus, aus dem sie im zarten Alter von 17 Jahren floh. Über Umwege über Glasgow und Birmingham verschlug es die junge Britin 1910 endlich nach London, wo sie als Stenotypistin einen Job in einer Anwaltskanzlei annahm. In der Abendschule lernte sie ihren ersten Mann George Browning kennen, durch den sie ihre Liebe zur Literatur und zu den schönen Künsten entdeckte. Erste Romane und Kurzgeschichten für diverse Londoner Zeitungen folgen, so auch ein erster Ausflug in die erotische Literatur: „Der tuschelnde Trojaner“, „Die Moneten des Marquis“ bringen jedoch nicht die erhofften Erfolge. Nach einem persönlichen Schicksalsschlag – sie erwischt ihren Mann mit dessen Cousin in einer äußerst delikaten Situation, wendet sich Gladys dem Drama und dem Kriminalroman zu. Ein Genre in dem sie bei Kennern schon bald als Geheimtip gehandelt wird. Schon um 1925 werden erste Bühnenfassungen ihrer Werke wie z.B. „Tödliches Erbe“ und „Kaltblütig“ im Londoner Westend aufgeführt. Doch lange soll dieser Erfolg nicht anhalten - 1931 wird sie für ihr Werk „Der Mops mit der Maske“ von einem bekannten englischen Autor wegen Plagiats verklagt. Heppleworth verliert den Prozeß, muß eine hohe Strafe zahlen und verliert die Lust am Schreiben. Zusammen mit ihrem zweiten Ehemann Clive Berry zieht sie sich auf ein Landschloß von Berrys Verwandten zurück, wo sie eine Stelle als Gesellschafterin annehmen muß. Dort wird die Kettenraucherin 1934 von der Schwindsucht dahingerafft.“
Wir können Ihnen allerdings nach aufwendiger Recherche und um den Spekulationen um die Urheberschaft ein Ende zu bereiten, das wohl einzige überlieferte Foto von Gladys Heppleworth (s.o.) aus dem Jahr 1933 zeigen, das zudem belegt, daß sie auch weiter geschrieben hat. 
 

Ensemble - v.l.: Monika Owart, Charlotte Reinke, Andreas Wirth, Christina de Bruyckere-Monti, Karin Schwarz, Anja Bielefeld
Foto © Martin Mazur

Aber zurück zu dem Stück, das in der Inszenierung von Ralf Budde derzeit dem TiC-Theater zu Recht ein volles Haus beschert. Winter. Auf dem abseits gelegenen, eingeschneiten Landsitz der Familie Heartstone ist ein schrecklicher Unfall geschehen, der Gutverwalter Malcolm wurde mit gebrochenem Genick am Fuß einer Treppe gefunden. Aber war es wirklich ein Unfall? Um das zu klären, wird der penible und äußerst korrekte Inspektor Hollister (ideal: Andreas Wirth) mit der Untersuchung des Falles betraut. Was ihn bald skeptisch macht: Der Herr des Hauses ist vor drei Monaten auf die gleiche Art und auf der nämlichen  Treppe durch einen Sturz zu Tode gekommen. Hollister stößt bei den fünf Frauen, die das Anwesen bewohnen, auf ein Dickicht von Lügen, sieht sich listigen Ränkespielen ausgesetzt, doch nach und nach scheint es, als könne er Licht in das Gewirr aus Legenden, Geheimnissen, falschen Geständnissen und Beschuldigungen bringen.
Edward Hollister hat, fünf eigenwilligen Damen ausgesetzt, in starken, intelligenten Dialogen, wunderbaren Psychoduellen, Widerstände zu überwinden und Verführungen auszuweichen. Die Lüge ist dabei, so Mrs. Heartstone, nicht mehr als der „kreative Umgang mit Tatsachen“. Die undurchsichtige Erzieherin Vera Ratow (vielschichtig: Christina de Bruyckere-Monti) gibt anfangs unumwunden zu, den fatalen Sturz durch die Abwehr von Zudringlichkeiten Malcolms verursacht zu haben. Hollister bleibt mißtrauisch und spielt die unterschiedlichen Aussagen der fünf Frauen gegeneinander aus: zu viele Ungereimtheiten tauchen auf.
Die überdrehte Haustochter Jane Heartstone (kindlich kokett: Charlotte Reinke) spielt mit Wahrheiten und dem zunehmend nervös werdenden Inspektor. Die verwitwete Mrs. Heartstone (herrlich arrogant: Monika Owart) ist beispiellos im Verbergen der Wahrheit. Die resolute Hauswirtschafterin Mrs. Worthing (eine neue Tana Schanzara: Karin Schwarz) hat weit mehr als nur Gebäck und Braten zu bieten. Anja Bielefeld schließlich schießt als das tumbe Hausmädchen Ruby („Ich tu doch nur, was man mir sagt!“), herrlich treudoof den komödiantischen Vogel ab: Ihre mehrfach mit Szenenapplaus bedachten Auftritte sind Höhepunkte der Inszenierung.

 
 „Mir ist schlecht!“v.l.: Charlotte Reinke, Anja Bielefeld, Andreas Wirth - Foto © Martin Mazur

Also: war es der einzige Mord in dem düsteren, von Geheimnissen umwitterten Ort? Und mit wem schlief Malcolm nicht? Wird Inspektor Hollister den Fall lösen oder verführerischen Angeboten erliegen? Trotz ziemlich vorhersehbarem Ende erlebt man dank vieler Wendungen  das Stück bis zu letzten Minute in mitreißender Spannung.
Chapeau der Regie und Bravi den Darstellern.
 
Weitere Informationen: www.tic-theater.de