Küssen für Klaus-Dieter

Eine heitere Erinnerung

von Dorothea Renckhoff

Dorothea Renckhoff

Küssen für Klaus-Dieter

oder

Kuß-Double für Klaus Hoffmann


Der Liedkünstler Klaus Hoffmann ist, wie so viele andere Darsteller, von Kurt Hübner entdeckt worden, jenem legendären Ermöglicher des Bremer Theaterwunders, das für wenige Jahre so spannende und großartige Künstler wie Peter Zadek, Peter Stein, Rainer-Werner Fassbinder, Wilfried Minks, Hannelore Hoger, Bruno Ganz, Edith Clever und viele viele andere zu gemeinsamer Arbeit an einer einzigen Bühne vereinte. Hübner war unter Kollegen berühmt für den Mut, mit dem er die Wagnisse unglaublich moderner Theaterformen an einem Stadttheater verantwortete, für sein cholerisches Temperament, seine Eitelkeit und vor allem seine außergewöhnliche Nase für hochbegabte junge Schauspieler. Diese Nase konnte er brauchen, als er in den Siebziger Jahren Intendant an der Berliner Volksbühne wurde, nicht der heutigen Castorf-Volksbühne im früheren Ostteil der Stadt, sondern der ‚Freien Volksbühne’ in Wilmersdorf, jenem ‚schönen’ für die Mitglieder des Volksbühnenvereins gebauten großen Haus an der Schaperstraße, das nach dem Mauerbau mit über 1000 Plätzen viel zu groß geworden war. Mancher Intendant war bereits an der schwierigen Situation dieser Bühne gescheitert: Etat und Zuschuß reichten nicht für ein größeres Ensemble und Repertoire-Spielplan, bis auf ganz wenige fest engagierte Schauspieler wurden alle Darsteller nur für eine einzige Produktion engagiert, die mindestens fünfzig Mal en suite gespielt wurde. Es war sehr schwer, dieses große Haus zu füllen. Dadurch lastete auf jeder Premiere wie auch auf dem jeweiligen künstlerischen Team ein immenser Druck. Inzwischen ist das Theater – wie so viele Häuser im ehemaligen Westteil von Berlin – geschlossen, wird als ‚Haus der Berliner Festspiele‘ geführt und läuft derzeit Gefahr, in wesentlichen Bereichen durch ein kommerzielles Bauprojekt völlig zerstört zu werden.

Kurt Hübner stellte sich dem genannten Druck auf seine Weise. Obwohl er mit Burkhard Mauer - auch er aus der Bremer Mannschaft - als Chefdramaturg den intelligentesten und phantasiebegabtesten Dramaturgen seit Lessing und Tieck am Haus hatte, der damals bereits das Thema Jugendarbeitslosigkeit heraufziehen sah und Peter Schneider ein Stück darüber schreiben lassen wollte - um nur ein Beispiel zu nennen - verließ Hübner sich lieber auf seine eigenen Vorstellungen von einem spannenden Spielplan und wählte häufig das aus, was er selbst gern inszenieren wollte. So auch Shakespeare’s ‚Romeo und Julia’ -  warum ausgerechnet dieses Stück, wurde nicht recht klar, abgesehen von Hübners Begeisterung von den - wie er sich ausdrückte – ‚jungen Männern in den erotischen Hosen’. Ich war damals als junge Dramaturgin an der Volksbühne engagiert und habe ihn das immer wieder sagen hören.

Die jungen Männer mußten aber erst gefunden werden: mit der fest engagierten Conny Diem gab es zwar eine Julia am Haus, aber bis Romeo, sein Vetter Tybalt und all die andern Veroneser beisammen waren, verging einige Zeit - und doch  vergleichsweise wenig, wenn man bedenkt, daß Hübner tatsächlich unter anderen auch zwei Schauspieler in die erotischen Hosen bannte, die wenig später bekannt, um nicht zu sagen berühmt werden sollten: Klaus Pohl – damals nannte er sich noch Klaus-Dieter - der sich dann einen großen Namen nicht nur als Schauspieler, sondern vor allem als Autor und Dramatiker machte, und Klaus Hoffmann, auch er damals noch ein Klaus-Dieter, der für die Traumrolle des Romeo ausersehen war.

Leider gab es keinen nennenswerten Werbeetat, mit dem wir für die Premiere hätten trommeln können. Umso dankbarer nahmen wir das Angebot einer Firma an, die gerade am damaligen Kudamm-Carré gegenüber vom Café Kranzler eine riesige Werbeleuchttafel installierte, für die ersten Wochen noch keinen Kunden für diese Werbefläche hatte und sie der Volksbühne umsonst anbot. Ein Entwurf war rasch gemacht – neben den nötigsten aber knappen Angaben wie Stücktitel, Theater, Telefonnummer – sollte ein grob aufgerastertes riesiges Foto des Liebespaars auf die Kreuzung herunter leuchten. Des küssenden Liebespaars wohlgemerkt, nur die Köpfe, im Anschnitt.

Ein Fototermin wurde gemacht, der Fotograf kam, Julia Diem kam, aber Romeo Hoffmann war kurzfristig verhindert. Was tun? Die Zeit drängte. Ich weiß nicht mehr, wem es auffiel, dem Fotografen oder dem Chefdramaturgen – ich hatte die gleiche Frisur wie Hoffmann, über kinnlange, leicht wellige dunkle Haare. Und so wurde ich zum Kuß-Double für Klaus Hoffmann. Auch unsre Mütter hätten uns nach der Bildbearbeitung auf der Lichtreklame nicht mehr auseinander halten können, aber ein paar Wochen lang hat mein Kopf an Stelle von dem von Klaus Hoffmann auf den Kudamm heruntergeküßt.

Die Aufführung jedenfalls wurde ein Riesenerfolg, und das Tausendplätzetheater war viele Wochen so voll wie lange nicht mehr. Ich glaube, das hat weniger am Kußfoto als an dem Ensemble junger Schauspieler gelegen und an diesem Liebespaar, junge Darsteller, die Shakespeares Liebestragödie so, wie man heute sagen würde, authentisch rüberbrachten.


© Dorothea Renckhoff - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008

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