Ein sprachliches und reflektives Kunstwerk

Paul Gadenne - "Der Wal" - mit Andacht gelesen

von Frank Becker
"Der Wal" - von Paul Gadenne
Band 1 einer neuen, feinen Edition


Der Schriftsteller Paul Gadenne (1907-1956) wird im deutschen Sprachraum, vielleicht weil bisher nur sein Roman "Der Stand von Scheveningen" ins Deutsche übersetzt worden ist, von den üblichen in der Handbibliothek eines Journalisten auf Benutzung lauernden literarischen Nachschlagewerken, auch vom "allwissenden" Kindler und profan sogar von dem bemühten Internet-Portal "Wikipedia" schnöde in seiner Existenz übersehen. Das wird sich hoffentlich bald ändern, denn das gar nicht mal so schmale Œuvre des Franzosen erfährt aktuell durch eine anspruchsvolle neue Literatur-Edition gebührende Aufmerksamkeit und kann vielleicht sogar seine Wiederentdeckung feiern.

In der Berliner Edition "ImWestenWasNeues" ist nämlich soeben die schmale, nichtsdestoweniger attraktive fadengeheftete Broschur von Gadennes erstmals 1949 veröffentlichter Erzählung "Der Wal" erschienen. In Frankreich seit der posthumen Wiederveröffentlichung 1982 ein heimliches Kultbuch, könnte 
diese literarisch wie philosophisch höchst raffinierte Erzählung  durch die delikate Übersetzung von Isabelle Azoulay und Jörg Aufenanger ins Deutsche auch hierzulande einen Hunger nach mehr Gadenne auslösen.

Das Buch: erzählt wird die Geschichte eines Mannes und einer Frau, die sich aus dem täglichen Einerlei ihrer gesellschaftlichen Verbindungen und Verpflichtungen lösen, um einem Phänomen auf die Spur zu gehen - einem an der Küste gestrandeten Wal, der in seiner archaischen Monumentalität weit mehr auslöst als die Gier nach Sensation. Die beiden beginnen, sich über seine mit der eigenen Existenz, über seinen Tod und Verfall mit der Möglichkeit der gesellschaftlichen Veränderung zu beschäftigen. Zwei Personen, einig in der Erkenntnis, Zeugen von etwas ganz Unerhörtem zu sein, geraten an einen Scheideweg.

Man liest diese aus der persönlichen Sicht des Erzählers entwickelten Ereignisse und Reflexionen mit zunehmender Spannung, delektiert sich an Formulierungen und Wortfindungen wie: "Der Wind wehte uns Piniennadeln ins Gesicht. Sie verfingen sich in Odiles schäumendem Haar, und als sie sie vor dem Handspiegel entfernte, hatte sie Gesten einer Chinesin"
Die Begegnung mit dem in der Einsamkeit eines von Menschen verlassenen Küstenstreifens verrottenden Kadaver des mächtigen Tiers ist ein tief einschneidendes Erlebnis. Obwohl im Leben erloschen, wird die verwesende Existenz des Leviathans zur Prüfung für die Protagonisten - oder sollte man angesichts des Ausklangs sagen: Antagonisten?

Auch für den Leser wird im zunehmenden Spannungsbogen die Konfrontation mit dem Wal und den emotionalen Reflexionen seiner Besucher zur die Nerven anspannenden Situation. Man liest es Mal um Mal. Und wird in unerhörte Überlegungen eingesogen: "Ich sagte zu Odile, während wir den Weg nahmen, der Wal besiegle das chaotische Universum, das im Unsichtbaren insgeheim ausgesöhnt war, und daß er, der Wal, ein Monument darstelle, errichtet auf dem Kataklysmus Europas". Das hat viel von Baudelaire. Die Begegnung mit Paul Gadenne erweist sich als Gewinn. Dringend zu empfehlen.

      
Beispielbild


Paul Gadenne
Der Wal

Aus dem Französischen von Isabelle Azoulay und Jörg Aufenanger

© 2007 Edition ImWestenWasNeues, Berlin

Kartoniert mit Fadenheftung, 30 S.
in limitierter Auflage und auf feinem Papier
8,50 €  -  ISBN:978-3-940050-00-7

Edition ImWestenWasNeues - Xantenerstrasse. 8  D-10707 Berlin


Zu bestellen unter
: imwestenwasneues@t-online.de
oder Tel.030-31004727


Weitere Informationen unter:
www.imwestenwasneues.de
www.gadenne.org