Der Geist, der Gutes schafft

Ansgar Haag inszeniert in Meiningen einen Faust, der gefällt

von Frank Becker

Dies ist der Geist, der Gutes schafft

Das Schauspiel Meiningen mit einem opulenten Faust I


Goethe weiß, was Männer träumen

 
Habe nun ach... Faust resigniert  - Hans-Joachim Rodewald

Regisseur Ansgar Haag ließ keinen Zweifel an der Motivation des an der Wissenschaft und der Metaphysik gescheiterten Dr. Heinrich Faust, sich mit dem Teufel einzulassen: Sehnsucht nach Jugend und hemmungsloser Fleischeslust. So geht das eben alten Knaben, die ihre Felle davon schwimmen sehen. Der Wirkliche Geheime Rat von Goethe hat mit seinem „Faust“ I , den er 1806 nach neun Jahren Arbeit fertig stellte, den Finger in eine bekannte Wunde gelegt. Da es, genau besehen, auch sehr um den Olympier selbst geht, läßt Haag ihn mit einem Notizbuch in der Hand den Rahmen der Aufführung stecken: mit der Zueignung eröffnete er den höllischen Reigen, und mit dem spöttisch gegen den Antichrist gerichteten und sogleich selbstgefällig notierten Wort „Gerettet“ aus Goethes (Ulrich Kunze), nicht aus himmlischem Mund schließt sich der Kreis. Ein hübscher Einfall. Auf der Bühne eine vierköpfige Band, die mit unheilschwangerer (sic!) Tangomusik á la Piazzolla ahnen läßt: hier geht´s ans Eingemachte.


Wein, Weib und wogende Busen



Klamotten runter - Bacchanal! - Statisterie

Gestattet sei Haag die hervorragende Idee, den Prolog im Himmel hinter die Studierzimmerszene zu stellen. So lernt man den misanthropischen Faust (stark: Hans-Joachim Rodewald) vor der Wette um seine Seele zwischen dem nachgerade lächerlichen HErrn im Himmel (auch Kunze, sah ein bißchen nach Karl Marx aus) mit noch lächerlicheren Erzengeln in Gold-Bermudas und einem pfiffigen Mephistopheles (teuflisch gut: Roman Weltzien) kennen. Weltzien legt ihn in so brillant liebenswürdiger Boshaftigkeit an, daß sein Schwefelgeruch beinahe etwas von Baldessarini hat (Sie wissen schon: „...separates the men from the boys“). Doktor Faust plagt sich bis zum versuchten Suizid mit sich, der Welt und den Wissenschaften, bis ihn Freund Mephisto mit den angenehmen Seiten des Lebens bekannt macht: Wein, Weib und Gesang. "Sex sells" ist eine Werbe-Maxime.  Die kennt sogar der Teufel. Gesang findet in der Meininger Fassung reichlich statt, indem das Stück über weite Passagen mit Live-Musik von Jan Dvořák ausgestattet Züge eines Musicals annimmt. Geschmackssache. Dafür fehlt Auerbachs Keller. Schade. Aber auch „Weib“ kommt nicht zu kurz: kannibalisch wohl als wie 500 Säuen war es den dramatis personae im wüsten Bacchanal der Walpurgisnacht, die mit einer berückend schönen, zum Seufzen weiblichen Lilith, viel üppig wogenden Brüsten, einem satanischen Hohepriester mit mächtigem Gehänge, heftigen Kopulationen und geilen Reden sicher dem Goetheschen Gedanken entgegenkam. Hier ließ bei der Musik Kurt Weill grüßen.


 
Der juge Faust und Gretchen: Roggendorf - Geppert
Bezauberndes Gretchen


Ihre zarte Haut durfte ausgiebig auch die bezaubernde Dagmar Geppert zeigen, die ein Gretchen gab, wie man es selten findet: voller Liebreiz balancierte sie keck auf dem schmalen Grat zwischen frischer Eitelkeit, amüsierter Neugier, dem nächtlichen Begehren der Lenden und beinahe bigotter Strenge, die dann doch dem süßen Seim des Liebeswerbens weicht. Daß Faust dies bebende Mägdlein begehren muß, liegt auf der Hand. In der Kerkerszene zeigt Geppert Stärke ohne das Irrlichtern, das dem Gretchen oft aufgezwungen wird. Saftig mit frecher Beinfreiheit ist Marianne Thielmann eine Marthe Schwertlein, vor der sogar Mephisto Manschetten hat und nach Holzlatten- Duell wird der Valentin Benjamin Krügers zum Glück schnell niedergemacht, er  überzieht maßlos – hier haben wir keinen ehrpusseligen soldatischen Raufbold, sondern nur einen Verrückten.


Der Geist, der Gutes schafft


 
Der Geist, der Gutes schafft... - Weltzien - Rodewald

Der guten Ideen der Inszenierung gab es weitere: zum einen die Doppeldarstellung Faustens durch Peer Roggendorf als junger Faust neben Rodewald - dem Roggendorf  allerdings nicht ganz die Glaubhaftigkeit des alten geben kann. Gelungen dieser Schachzug allerdings als skrupelloser Spiegel, in dem der gereifte Mann sich schaudernd bis zur Reue erkennt. Zum anderen machte die Multifunktionalität des Bühnenbildes (Bernd Dieter Müller) Spaß. Mit seinen schiefen Ebenen an das expressionistische „Cabinet des Dr. Caligari“ erinnernd, ist es zu Beginn als Studierzimmer das Gefängnis Fausts, zwischendrin drehbar jeglicher Ort des Geschehens, am Ende ohne Verkleidung der vergitterte Kerker Gretchens. Das hat was. Eine spannende Aufführung, die mit Ovationen des aufrichtig begeisterten Publikums mit hohem Anteil Jugend anhaltend und stehend gefeiert wurde.

Empfehlenswert auch der Erwerb des aufschlußreichen und reich bebilderten Programmbuches.

Fotos: ed, Meiningen

Weitere Informationen: www.das-meininger-theater.de