Der Prinzenerzieher aus Elberfeld

Rudolf Thietz: "Ein Preuße kommt nach Württemberg"

von Jörg Aufenanger

Rudolf Thietz – der Prinzenerzieher aus Elberfeld

„Einen ausgesprochenen Preußen“ nannte Olga von Schaumburg-Lippe den jungen Mann aus Elberfeld, als sie ihn nach Ludwigsburg an den königlichen württembergischen Hof als Erzieher ihrer beiden Söhne Eugen und Albrecht holte. Er war der letzte Prinzenerzieher, bevor die alte Welt mit Beginn des ersten Weltkriegs unterging.

Die Lebenserinnerungen des Rudolf Thietz sind kürzlich erschienen, herausgegeben vom Redakteur der „Literarischen Welt“ Tilman Krause. In ihnen erfährt man einiges über das kaiserliche Elberfeld. Und Thietz erzählt anschaulich von Kindheit und Jugend im Wuppertal. 1885 geboren wächst er in der Gesundheitsstraße auf, vom Fenster der Küche kann der Junge über das Tal schauen, „über die Gassen und Dächer der Altstadt“.

Der Vater ist Volkschullehrer in der Oberstraße, die Familie zieht bald in die Baustraße um, in ein Haus neben der Tapetenfabrik Grossheim, in der immer mal wieder ein Schwelbrand ausbricht, was die Familie Tag und Nacht in Atem hält. Spielplätze gibt es nicht, die Kinder spielen einfach auf der Straße, spielen Heuer, mit dem „Schibbelbad“(Reifen) oder „Räuber und Gendarm“. Rudolf traut sich auch, mit dem Hochrad die leicht abschüssigen Straße zur Wupper hin zu befahren. Doch die Schule läßt nur wenig Zeit zu Spiel und Spaß, und die Lehrer sind streng. „Ihr Stock tanzte oft derb auf unserem Hinterteil“, sollte sich Rudolf Thietz erinnern. Doch bald besucht er das humanistische Gymnasium in der Kölnerstraße und die Familie zieht hinaus ins Grüne, in „die Walachei“, an den Nordrand der Stadt in die Hansastraße. Das Haus grenzt an einen Bauernhof, Vater Thietz legt einen eigenen Hühner- und Gänsehof an. Weite Wiesen und Wälder liegen rundherum, die Natur liefert den Stoff für erste Gedichte des Zwölfjährigen.
Doch die Idylle trügt, die Ehe der Eltern ist zunehmend zerrüttet, endet in einer Tragödie, denn eines Tages vergiftet sich Rudolfs Mutter, der Vater heiratet bald erneut, eine Haushälterin, der Sohn entfernt sich innerlich von der Familie.

Ausführlich beschreibt Thietz in den Memoiren den theologischen Streit im Wuppertal, den zwischen „liberaler“ und „positiver“ Theologie. „Leidenschaftlich hatten wir als Primaner Haeckels Welträtsel und die Broschüren des Bibel-Babel-Streits verschlungen. Diese Zeitfragen erregten die Gemüter aufs tiefste. Einige Lehrer legten in fanatischem Eifer den Finger auf die Bibel, meinten, das müßt ihr alles glauben, sonst seid ihr Spötter wie Friedrich der Große.“ Der Gymnasiast Thietz rechnet sich in diesem Streit den Liberalen zu, resümiert aber: „Die Enge im Wuppertal wirkte abschreckend, die pietistische Frömmigkeit des Kleinbürgertums, das ihren Pfarrern den Besuch von Konzerten und Theater verbot, ihr Leben bespitzelte und Drohbriefe schrieb. Diese Leute konnten ihre Bekehrung auf Tag und Stunde angeben.“

In solche geistige Knechtschaft will sich Rudolf Thietz nicht begeben und so verläßt er nach dem Abitur umgehend Elberfeld, geht zum Studium nach Marburg, später nach Berlin, bevor er 1910 Prinzenerzieher in Ludwigsburg wird, wovon er seinem alten Vater in vielen auch im Buch abgedruckten Briefen nach Elberfeld berichtet. Doch das deutsche Reich mit einem Kaiser und regionalen Königen fällt schon dem Ende zu, und so ist Rudolf Thietz auch der letzte Prinzenerzieher im Königreich Württemberg.
Doch das Leben geht weiter. Rudolf Thietz wird Soldat, erhält das Eiserne Kreuz und wird Studienrat in Kiel.


Beispielbild

Rudolf Thietz
„Ein Preuße komm nach Württemberg“

Die Lebenserinnerungen des letzten Prinzenerziehers im Königreich Württemberg

Herausgegeben von Tilman Krause  

© 2007 Kohlhammer Verlag Stuttgart

164 Seiten, Leinen, mit 16 s/w-Abb.
16,80 €

Weitere Informationen unter:
www.kohlhammer.de