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Hans Sahl - "Memoiren eines Moralisten" / "Das Exil im Exil"

von Frank Becker
Sprunghafte Erinnerungen

Wer Hans Sahls, (1902-1993) Erinnerungen aufmerksam liest, hat das ungeheure Glück, einem Zeitzeugen zuhören zu können, der wirklich etwas zu erzählen hat. Zuviel heiße Luft ist in den vergangenen Jahren in voluminösen Bänden von unbedeutenden Menschen
in die Welt geblasen worden, die sich aufgrund ihrer politischen, wirtschaftlichen oder weiß der Kuckuck wie erlangten sozialen oder künstlerischen Position berufen gefühlt haben, ihre "Erinnerungen" zu veröffentlichen. Wolfgang Nitschke hat das in seinen brillanten und bissigen Büchern der verdienstvollen Reihe "Bestsellerfressen" angelegentlich gebrandmarkt.

Hier aber spricht einer, der das 20. Jahrhundert erlebt und in allen seinen Facetten, Wendungen und Veränderungen
durchlebt hat. Einer, der viele der bedeutendsten Personen und Persönlichkeiten dieses bewegten Jahrhunderts getroffen, mit ihnen gesprochen hat, mit vielen befreundet war. Hans Sahl war ein Mann des Wortes, ein Mann der Kultur, der u.a. in Leipzig, Breslau, Berlin und München studiert hatte, ein dem System der Nazis aber auch als Linker der Linken gegenüber höchst mißtrauischer, aufrechter Mann. Solche Leute sind verdächtig: den Mächtigen, ihren Stiefelputzern und allen Dogmatikern. Film, Theater, Literatur - Sahl war in den brodelnden 20er Jahren der Metropole Berlin mittendrin. Als Zeitungskritiker beim "Montag Morgen" beim "Berliner Börsen-Courier und Autor beim "Tagebuch" hatte er Berührung mit allen Größen von Leinwand, Bühne und Dichtung. Mit Asta Nielsen verband ihn eine lange Freundschaft, er lernte Hermann Broch im amerikanischen Exil sehr gut kennen, mit Carl von Ossietzky diskutierte er 1933 die Frage: bleiben oder fortgehen?, Alfred Polgar und George Grosz gehörten zu seinem Kreis, und er wurde von Thomas Mann zur "Audienz" empfangen.

Sahl war ein Intellektueller, war Jude,
der eigentlich Salomon hieß und ein linker Freidenker. Alleine eines davon hätte genügt, ihn bei den Nationalsozialisten  zu desavouieren. 1933 mußte er, um das nackte Leben zu retten, wie ein Großteil der deutschen Intelligenz fliehen, über Prag, wo ihm Max Brod Asyl gewährte, die Schweiz und Frankreich in die USA. Auch in Prag, wo Hans Sahl Arbeit beim deutschsprachigen "Prager Mittag" fand, glaubte man, Hitler halte sich nur für wenige Monate. Eine fürchterliche Illusion. Daß aber auch das rettende Amerika nicht das gelobte Land war, mußten Sahl und viele andere Emigranten bald und schmerzlich feststellen. Er konnte als Übersetzer u.a. von Thornton Wilder, Arthur Miller und Tennessee Williams Fuß fassen, schuf sich eine neue Existenz, faßte Fuß und blieb bis 1953 in den USA. Das Angebot, als Propagandaoffizier im Rang eines Majors der US-Armee nach Deutschland zurückzukehren lehnte er aus Gewissensgründen ab.

Als er schließlich 1953 erstmals wieder heimischen Boden betrat, war Deutschland ihm fremd geworden, ja lehnte ihn ab. Er ging nach nur fünf Jahren, in denen er u.a. für die "Neue Zürcher Zeitung", die "Welt" und die "Süddeutsche Zeitung" gearbeitet hatte, 1958 zurück in die USA. 1989 kam er endgültig zurück und zog nach Tübingen, wo er 1993 starb.
Hans Sahls in dem vorliegenden Buch zusammengefaßten Bände "Memoiren eines Moralisten" und "Exil im Exil" sind "Unordentliche Erinnerungen", sprunghaft zusammengestellte Versatzstücke eines Lebens, die sich nicht auf den ersten Blick schlüssig zusammenfügen. Tagebuchaufzeichnungen, Rückblenden, Anekdoten, Erlebnisse mit und Erinnerungen an unendlich viele Prominente fließen zusammen, verlaufen wie Farben auf einer Leinwand ineinander, bis sich das Bild ergibt. Eine unbedingt lohnende Lektüre, für die man sich wenigstens zweimal die Muße nehmen sollte. Der Luchterhand Literaturverlag beginnt mit dem vorliegenden Band eine Neu-Edition der Werke Hans Sahls in vier Bänden.

Beispielbild

Hans Sahl
Memoiren eine Moralisten
Das Exil im Exil

Erinnerungen

© 2008 Luchterhand Literaturverlag

512 Seiten, Leinen, Register
21,95 €

Weitere Informationen unter:
www.luchterhand-verlag.de