Nachrichten vom Plattenmarkt

kurz vorgestellt

von der Musenblätter-Redaktion

Foto © Frank Becker
Jazz-Nachrichten - kurz und kompakt
 
Verehrte Jazzfreunde,
hoch geschätzte Leserinnen,
 
fast täglich gehen in der Musenblätter-Redaktion Einsendungen mit CDs interessanter Plattenlabels und hervorragender Künstler aus dem von uns so sehr geschätzten Genre Jazz aus dem In- und Ausland ein. Daß wir es nicht schaffen können, jede einzelne zu besprechen und Ihnen ausführlich vorzustellen, werden die Einsender und auch Sie sicher verstehen können.
Anstatt die Platten beiseite zu legen haben wir uns dazu entschlossen, damit Sie zumindest ein paar Anregungen aus der Fülle der Neuerscheinungen bekommen, Ihnen in unregelmäßiger Folge und bunter Mischung und ohne Bewertung mit einer kurzgefaßten Liste einige Alben mit Bild und Label- bzw. Agentur-Text zu präsentieren. Sicher lohnt es sich für Sie, sich das eine oder andere genauer anzuschauen, anzuhören - und vielleicht sind einige der Alben ja auch genau das, was Sie mögen.

Mit einer Auswahl von sechs aktuellen Produktioen verschiedener Labels wünschen Ihnen auch heute wieder viel Spaß und sind sicher, daß sich darunter (fast) für jeden eine interessante Neuerscheinung findet.


Andreas Feith Quartet – „Dance of the Scarabs“
Andreas Feith (p, sxnth) – Lutz Häfner (ts, ss) – Martin Gjakonovski (b) – Siolvio Morger (dr)
© 2022 enja Records
Mit dem zweiten Album seines Quartetts positioniert sich der vielseitige und umtriebige Pianist Andreas Feith in der aktuellen Jazzszene als visionärer und wohltuend melodischer Instrumentalvirtuose. In acht Eigenkompositionen präsentiert er ein breit gefächertes Spektrum an zeitgenössischem Modern Jazz, der vor funkensprühender Erzählkraft und beherzt zupackender Spielenergie nur so strotzt.
Der Albumtitel «Dance Of The Scarabs» – zu deutsch «Tanz der Mistkäfer» – gibt bereits eine Idee von dem, was da kommt. Das sind reizvolle Themen, allesamt kleine Geschichten, mal bildgewaltig in Szene gesetzt, mal nur von einem subtilen Gefühl handelnd. Vor allem sind es Songs, die berühren, die in Erinnerung bleiben und – genährt durch die melodische Kraft und die rhythmische Präzision, mit der die vier beteiligten Akteure beherzt interagieren – einen tänzerischen Drive entfaltet, durch den man sofort in den Bann gezogen wird.
Der hochkarätigen Besetzung von Feiths Quartett mit dem Echo-Jazz-Preisträger Lutz Häfner an Tenor- und Sopransaxophon und der bestens eingespielten Rhythmusgruppe mit Martin Gjakonovski am Kontrabass und Silvio Morger am Schlagzeug hört man die gemeinsame Lust am Improvisieren und das gegenseitige Vertrauen förmlich an. Das liegt auch an ihrem einzigartigen Bandsound, auf einem starken amerikanisch geprägten Jazzfundament aufgebaut und doch stets beweglich und voller Freiheit. Faszinierend, wie sich die Musiker dabei gegenseitig die Bälle zuspielen und immer wieder zu neuen Höhenflügen anspornen.
Weitere Informationen: www.enjarecords.com/
 
 
Fischermanns Orchestra - „Space Friction“
© 2022 enja Records
Bodo Maier (tp) - Peter Schärli (tp) - Samuel Blättler (tp) - Lino Blöchlinger (as) - Sebastian Strinning (ts) - Simon Petermann (tb) - Jasmin Lötscher (tb, voc, electronics) -  Samuel Blatter (synth, voc; Musical Director) - Simon Rupp (g) Linus Meier - (eb) Reto Eisenring (Snare Drum, dr) - Thomas Reist (Bass Drum, dr, Leader)
Im Sommer dieses Jahres ging das Fischermanns Orchestra auf eine sehr besondere Tour. Nicht auf die kommode Art mit Flightcase, Maske und Handgepäck, sondern the rough and rowdy way: Die Blue Sky Tour im Juli umfaßte Clubgigs, große Bühnen und Straßenmusik – alle gemeinsam mit Rucksack und Raststättenverpflegung im Tourbus. Von Luzern über Rom südöstlich die Balkanroute entlang bis Budapest und über Wien zurück nach München zum Abschlußgig in der Unterfahrt. Ein Raum, den zu durchmessen, sicher nicht reibungslos zu machen ist, was sich im aktuellen Album Space
Friction äußerst produktiv niederschlägt. Dabei sind die Reibungen in diesem Schweizer Kollektiv schon der Besetzung und Konzeption nach positiv angelegt: Einerseits der große Bläsersatz mit Pauke und Snare nach Art einer Marching Band direkt aus NOLA, dazu ein klassisches Rocktrio mit Stromgitarre und E-Bass, gelegentlich bizarre Gesangseinlagen sowie digitale und analoge Störgeräusche. Synkopenseligkeit trifft auf Taktwechselwahn, eine kontra-chorische Bläseraufstellung im Call-and-Response, zwischendurch waschechte Bigband-Patterns, garniert mit stilsicheren Post-Bop-Improvisationen und erfrischend schwerelosen Ausbrüchen ins Freie. Kompositionen und Arrangements gehen potentiell auf alle Beteiligten zurück. Ein Klangkosmos, aufgespannt zwischen Zappa und Sun Ra, der sich beständig ausdehnt. Fischermanns Orchestra vereint die Wendigkeit eines Large-Ensembles mit dem massiven Druck einer ausgewachsenen Bigband. Die Fischermänner und –frauen fischen mit ihrem Raumschiff in den Randgewässern
des Universums, in interstellaren Spülflächen und Auen. Und sie füllen ihre Netze mit reicher Beute aus Reibungsverlusten, die es im Outer Space physikalisch gesehen eigentlich nicht geben kann.
Weitere Informationen: www.enjarecords.com/
 
 
Philip Weyand – „ Myosotis“
© 2022 Unit Records
Kristina Shamgunova (as) – Philip Weyand (p, voc) – Nico Klöffer (b) – Micha Jesske (dr)
Eine Musik, die die Engelstrompeten im Takt seufzen läßt. Mit »Myosotis« öffnet Philip Weyand eine Welt zwischen melancholisch-treibenden / sehnend-rufenden Songs, die das Publikum zwingend festhält.
Mit der Entwicklung der zeitgenössischen Floristik ist Philip Weyand nicht einverstanden: Nicht blumig genug, zu wenige Stilblüten, und irgendwie hat's doch früher intensiver geduftet, nicht? »Nostalgie ist eine Tugend!«, teilt er eines morgens seiner Band mit. Weil die ihn nicht nur gut kennen, sondern echte Freunde sind, halten sie ihn nicht für verrückt, sondern wissen sofort was zu tun ist: Packen die Instrumente ein, steigen in den Zug.
Ein Glashaus wird gemietet, Saatgut angeschafft, die Daumen grün manikürt, Blumenerde frisch duftend ausgebreitet, und dann wird mit Tönen geworfen: warm blutende für Placido, melancholisch treibende für Myosotis, blaß schwelgende für Unbunt, geradezu phototoxische für Anthrax, sehnend-rufende für's Zwischenspiel, frei mäandrierende für N°X, energisch wirbelnde für EtG, zischend schwingende für Nomos, südlich schmelzende für Schweifen, kristallin flirrende für Stardurst. Und all dies: aufgeführt in einem menschenleeren, schwül umflorten Haus; nur Pflanzen sind das Publikum. Hören sie die Musik? Wiegen sie nicht sanft im Takt? Ich glaub, ich habe die Engelstrompeten seufzen hören. Kann aber auch eine Halluzination sein.
Weitere Informationen: www.unitrecords.com
 
 
Jeff Denson  Romain Pilon  Brian Blade – „Finding Light“
© 2022 Ridgeway Records
Jeff Denson (b) - Romain Pilon (g) - Brian Blade (dr)
Die neue Musik des Trios spiegelt sowohl die unbändige Freude über das Wiedersehen als auch die kleinen Freuden (vor allem die pelzigen) wider, die die surreale Zeit der Pandemie erleichtert haben. Das Album beginnt mit Densons „Daily Jubilee of Dancing Herbie D.“, einer Melodie in ungeraden Taktarten, die von seinem Zwergschnauzer inspiriert wurde, einem kleinen, intelligenten Hund mit einer großen Persönlichkeit. Mit einem unwiderstehlichen Groove in der Nähe von New Orleans ist es eine Einladung zum Herumtollen im Freien, geschrieben mit Blade und Pilon im Hinterkopf.
Densons Titeltrack ist eine gewundene, singende Melodie und ein Gebot der Stunde. Der Tanz zwischen seinem Bass und Blades Spiel ist so geschickt, daß die Melodie Spannung bis zu einem köstlichen Höhepunkt aufbaut und dabei eine fast geflüsterte Dynamik beibehält. Wenn Pilon wieder ins Gespräch kommt, antwortet „Finding Light“ auf seinen eigenen Ruf. Das Licht, das wir brauchen, wird durch die musikalische Verbindung verkörpert. Denson sagt: „Mit diesem Lied wollte ich wirklich ein Gefühl der Hoffnung vermitteln – ein Gefühl, das dringend benötigte Licht inmitten dieser dunklen Zeiten zu finden, die wir alle durchlebt haben.“
Das Licht: Gefüllt mit geschmackvollen Melodien die genau das richtige Maß an Abenteuerlust demonstrieren. Diese Platte hat ein fantastisches Tempo und zieht sich keine Sekunde lang.
Weitere Informationen: https://www.jeffdenson.com/
 
 
Joe Sachse & Nils Wogram – „Freies Geröll“
© 2022 nwog
Nilsd Wogram (tb) – Joe Sachse (g)
Im Duo zeigt sich der Mensch wie unter einer Lupe. Unter Musikern gilt: »Spiele im Duo und ich sage dir, wer du bist.«
Nils Wogram hat immer wieder betont, wie stark er - bei allen Erweiterungen und Verzweigungen des Ausdrucks - aus der Jazztradition kommt. Das spürt man, mal stärker, mal sublimer, bei all seinen Gruppen und Spielkonstellationen.
Dem Dialog mit Joe Sachse ist der swingende Grundgestus immanent, auch das Bluesfeeling in einem sehr weit gefaßten Sinne. Dieses Duo und sein Groove gleichen einem Glücksfall. Helmut ›Joe‹ Sachse, fast ein Vierteljahrhundert älter als Nils Wogram, ist in der DDR groß geworden und mußte sich seinen Weg zum Jazz gegen alle Widerstände selbst bahnen - von der Tanz- und der Rockmusik zum freien Spiel und weiter zu einer unverwechselbaren Sprache auf dem Instrument. Nils Wogram ist in eine etablierte Jazzszene hineingewachsen und hat sich sowohl als Instrumentalist als auch mit einer ganzen Reihe langfristig miteinander arbeitender Bands eigenständig profiliert. Joe fasziniert an Nils die Versalität: »Er kann alles spielen.« Und Nils schwärmt von Joe Sachses autarker Musikalität: »ein ganz seltenes, kostbares Gut«.
 
Weitere Informationen:  www.nwog-records.com
 
 
Christoph Grab – „Blossom“
© 2022 Lamento Records
Christoph Grab (ts, as) – Ralph Alessi (tp) – Lukas Traxel (b) – Pius Baschnagel (dr) – Special Guest Florian Favre (p)
Die neuen Kompositionen des BLOSSOM Programms sind im Frühling’20 entstanden. Ich habe nicht nach diesen Kompositionen gesucht, sie kamen in unregelmäßigen Abständen während des ersten Corona-Lockdowns zu mir, meist ungefragt – aufblühend wie Blumen, die nach dem Winter wieder Hoffnung verbreiten. Später bemerkte ich, daß diese neuen Kompositionen viel mit meinen aktuellen Stimmungen während des Lockdowns zu tun hatten, so daß diese Stücke ungewollt zu einer Art Tagebuch meiner Lockdown-Zeit wurden. Die Blumenmetapher ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen und so heisst das neue Programm jetzt „BLOSSOM“ (dt. aufblühen, Blüte). Und darum haben die Kompositionen (die ohne Namen entstanden sind) auch englische Blumennamen erhalten: Feverfew, Love in the mist, Bleeding heart, Mad dog skullcap, African daisy, Johnny jump up usw.
Noch mehr als bei den beiden vorhergehenden Programmen ist der Jazz von BLOSSOM Transportmittel für Geschichten und Emotionen, eine abenteuerliche Musik voller Wärme, die auf Freundschaft und gegenseitige Unterstützung aufbaut, für eine Band, die zu einer Einheit, zum atmenden Organismus wird.
Nach dem grossen Erfolg mit REFLECTIONS (2017-2021 unzählige Konzerte, zwei Alben, international sehr gute Kritiken und dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ für das zweite Album „Live at Haberhaus“), ist BLOSSOM der neuste Streich des Trios Grab/ Traxel/Baschnagel. Diesmal wird das Trio um den in Bern lebenden Amerikaner Ralph Alessi an der Trompete und den Fribourger Florian Favre am Piano erweitert.