Im Sog des schwarzem Goldes

Peter Kersken - "Tod an der Ruhr"

von Jürgen Kasten
Im Sog des schwarzen Goldes

Staublunge, am Hochofen verbrennen oder von einem dampfgetriebenen Schmiedehammer erschlagen werden, sind das die Todesarten an der Ruhr? Jedenfalls nicht im Jahre 1866, in dem dieser historische Kriminalroman von Peter Kersken angesiedelt wurde. Damals starben die Menschen reihenweise an der Cholera und wurden auch schon mal ermordet. Oder waren sie doch im Suff auf einen spitzen Stein gestürzt und haben sich den Schädel eingeschlagen?

Diese Frage bleibt bis zum überraschenden Schluß offen.
Peter Kersken benutzt die Kriminalerzählung sowieso nur als Vehikel  für eine spannende Geschichtsstudie, in der er den Übergang einer dörflichen Gemeinschaft zum Industriestandort beschreibt, ein Zusammenwachsen der einzelnen Flecken zu Städten und Gemeinden, dem Ruhrgebiet, und zwar so bildhaft, daß einem unwillkürlich der umgekehrte Prozeß vor Augen steht. Gemeint ist der Niedergang der Schwerindustrie an der Ruhr, Renaturierung und Schaffung von Naturschutzgebieten, die heute einen Großteil der Ruhrlandschaft ausmachen. Aus Industrieanlagen wurden Industriedenkmäler. Aus Abraumhalden wurden Aussichtsplattformen mit künstlerisch geformten Obelisken oder ähnlichem. Rund 150 Jahre dauerte der gesamte Prozeß.
Doch zurück zum Herbst 1866:

Tausende sind in den Städten und Gemeinden entlang der Ruhr bereits an der Cholera gestorben. In Sterkrade (heute ein Stadtteil Oberhausens) sind es nicht allzu viele, dank des rührigen Heildieners Jacob Möllenbeck, der sein Handwerk als Sanitätsgehilfe in der preußischen Armee erlernte und dank seines alten Schulfreundes Martin Grottkamp, der, ebenfalls verdienter Soldat, in seinem Heimatdorf nun als Polizeidiener für Recht und Ordnung sorgt. Grottkamp ist der strenge, aber gerechte, der nachdenkliche und nach Lösungen suchende Gutmensch und Hauptdarsteller dieser Geschichte. Sein Charakter wird von Kersken so gut ausgeleuchtet, daß es leicht fällt, sich einen Mittvierziger, groß und stark mit stattlichem Bart und schmucker Uniform ausgestattet, vorzustellen, der nicht nur seine Sterkrader im Griff hat, sondern auch den Ortsvorsteher Carl Overberg, der von sich meint, er hätte das Sagen im Ort.
Die eigentlichen Herren sind jedoch die Familien Huyssen, Haniel und Jacobi, Seite an Seite mit den Krupps aus dem benachbarten Essen.

Sie sind die Besitzer der Hütten- und Stahlwerke, in denen schon mehrere Tausend Arbeiter schuften. Ihre aus dem Boden der landwirtschaftlichen Flächen gestampften Arbeiterhäuschen und Mietskasernen verdrängen mehr und mehr die bäuerlichen Anbaugebiete. Parallel entstehen überall neue Zechen, um den Weg der Kohle zur Bearbeitung des Stahls kurz zu halten. Kurzum, ein sich explosionsartig ausbreitender Rausch, ein „Rausch des schwarzen Goldes“, der viele in seinem Sog untergehen läßt.
Einer von ihnen ist der Hüttenarbeiter Julius Terfurth. Mit eingeschlagenem Schädel liegt er in einer Wasserlache am Hagelkreuz. Als Vorarbeiter war er verhaßt, als Familienvater und Ehemann unerträglich, als Säufer begnadet, bei den „leichten Mädchen“ offensichtlich beliebt. Außerdem steckte er des Öfteren mit einem vornehmen ominösen Engländer zusammen, der in der übelsten Spelunke des Ortes seine Zuhörer für die Thesen eines gewissen Marx zu begeistern suchte.

Viel und schwerer Stoff für ein so leichtes Sujet. Peter Kersken, selber 1952 in Oberhausen-Sterkrade geboren, meistert ihn gekonnt. Historische Tatsachen preußischer Politik, Industriegeschichte und das Leben und Sterben im Umfeld der Gutehoffnungshütte mischt er geschickt mit Fiktion und Kriminalgeschichte. Immer wieder schildert er die harten Arbeits- und Lebensbedingungen seiner Romanfiguren, doch klingt alles ein bißchen schöngefärbt. Wir wissen, daß viele Arbeiter einen Teil ihres Lohnes versoffen, zum Leidwesen der Familien. Sicherlich eine Folge der sehr anstrengenden körperlichen Arbeit, Heimat- und Bindungslosigkeit der Massen von jungen zugewanderten Arbeitern und auch Flucht aus der Realität.
Kersken spricht es an. Doch er beschreibt das Jahr 1866. Die Arbeitsbedingungen waren schier unmenschlich, die Arbeit am Abstich des Hochofens lebensgefährlich, der glühende Stahl an den Walzstraßen oder Schmiedehämmern konnte jederzeit tödlich sein.

Daß man sich nach so einem Arbeitstag neuen Lebensmut antrinkt, mag verständlich sein. Es kommt aber nicht so richtig rüber, wie die Menschen an diesen Lebens- und Arbeitsbedingungen zerbrochen sind. Ihre Romansprache ist zu fein, die Obrigkeitshudelei unglaubwürdig. Trotz dieser gewissen Schwächen hat Peter Kersken einen Roman geschrieben, dessen Kriminalgeschichte logisch aufgebaut ist, er hat sympathische Charaktere geschaffen, die durchaus in diese Zeit passen und nicht zuletzt die Wandlung einer Agrarregion in einen Industriestandort beschrieben, was Lust macht, sich näher mit der Materie zu beschäftigen. Ich empfehle dieses
mit leichter Feder geschriebene, unterhaltsame und – ja, auch lehrreiche Buch gerne.
 
Eine weitere Empfehlung erlaube ich mir anzuhängen: Ebenfalls im Emons-Verlag erschien der historische Kriminalroman „Türkischrot“ von Christiane Gibiec. Im Vormärz des Jahres 1845 erzählt er eine ähnliche Geschichte aus der Heimat Friedrich Engels, nämlich die Zeit der Frühindustriealisierung an der Wupper, dort allerdings mit drastischer Schilderung der Arbeitsbedingungen und Verelendung der sich bildenden Arbeiterschicht.
 
Beispielbild


Peter Kersken
Tod an der Ruhr
Historischer Kriminalroman

© 2008 Emons-Verlag

320 Seiten Broschur
11,- €
ISBN: 978-3-89705-581-0

Weitere Informationen unter: