Theater aus der Froschperspektive

Peter Wallgram inszeniert Peter Schanz´ "Anna sagt was - Brandrede aus dem Theater"

von Frank Becker
Auf der Suche
nach dem verlorenen Text

Die Souffleuse Anna P. zieht vom Leder

 


Anna: An Kuohn  -  Inszenierung: Peter Wallgram  -  Ausstattung: Jeremias Vondrlik  - Inspizienz und Abendspielleitung: Ellen Uta Merkert  -  Dramaturgie: Wilfried Harlandt  -  Foto: Michael Hörnschemeyer


Paradestück für eine Schauspielerin

Dieser Theatermonolog schreit nach einer Vollblutschauspielerin, die den Bau kennt. In An Kuohn hat

Foto © Michael Hörnschemeyer
Peter Wallgram genau die gefunden, die er brauchte, um dem Theater eine um die andere Ohrfeige zu verpassen. Dem Theater, das er und alle, die mit diesem verbunden sind, lieben und hassen - zu gleichen Teilen. Ähnlich wie in Rainer Lewandowskys "Heute weder Hamlet", das in Wuppertal mit Thomas Braus seine Idealbesetzung fand, lebt "Anna sagt was" von der Glaubhaftigkeit eben dieser Anna P. - und die vermittelt An Kuohn par excellence. Sie bekommt dafür nicht mehr als eine mehr oder minder leere Bühne, eine klassische Soufflier-Muschel ("Ich will Ihnen meine geliebte Muschel nahe bringen...") ein paar Thermosflaschen und Wasserkocher. Mehr braucht sie auch nicht, denn sie hat ihr Publikum vom ersten Moment und während der folgenden 75 Minuten in der Hand. Feinstens abgestimmt sind das Rosé der manikürten Fingernägel, der Lippen und des Kaschmirpullis (nicht auf dem Foto), als sie lamentierend ihrem Arbeitsplatz entsteigt. Es zieht dort unter der Bühne wie Hechtsuppe, untenrum friert sie und die obere Hälfte kommt vor Hitze fast um - "Jede gute Souffleuse ist eine wandelnde Blasenentzündung". Die Abrechnung mit dem Theater - und man wird irgendwie das Gefühl nicht los, auch mit den Wuppertaler Zu- und Umständen - kann beginnen.

Wider die talentlosen Besetzungscouch-Flittchen

Was ist überhaupt ein Schauspieler? Anna weiß es, denn sie war selbst einmal eine, deren Glück der Zettel am Schwarzen Brett war: einer der oben steht und den anderen den Heinz macht. Hat sie auch getan, als Gretchen (was ihr eine Schwangerschaft durch den Theaterzahnarzt einbrachte, der bis auf den Tag alle Gretchen schwängert) und als "Lotte Kotte" aus Remscheid-Lennep. Viel mehr war nicht. Tragisch.
Auch sie hat unter der Monarchie eines Intendanten gelitten. Jetzt ist sie die Frau, die dem einen zu früh kommt, dem anderen zu spät ist ("Es sind in beiden Fällen die selben."). Die kleine Rache dafür ist, daß sie es in der Hand hat, das textunsichere Flittchen (O-Ton "Fotze", das Publikum kichert verlegen) hängen zu lassen. Oh Gott, wie widerlich sie all das findet: Intendanten, Regisseure, Dramaturgen, unbegabte Schauspielerinnen, die es anstatt mit Talent mit Arsch und Titten über die Besetzungscouch zur Hauptrolle bringen (sollte es so etwas tatsächlich geben? - Anm.). Sie erzählt, erinnert sich, kocht Tee (mit Schnaps drin, denn das Alkoholverbot im Theater findet sie wie ihre Kollegen im wirklichen Leben unerhört), mißgönnt, haßt, schäumt - und tut einem von Herzen leid. Auch das Publikum bekommt seine Schelte - hat sie verdient und lacht. Rätselhaft bleibt durchweg, wieso sie dabei ständig die wenigen Bühnenelemente umräumen, umwerfen, arrangieren muß. Das stört. Ist völlig unnötig. Denn An Kuohn ist auch ohne das gut.

Tragikomödie mit Tiefgang

Die vordergründig resolut erscheinende Frau hat es nie zum Olymp des Theaters geschafft, ihr Schicksal hat es sehr bös mit ihr gemeint.  Einen großen Traum hatte sie und Hinweise darauf, daß sie die Tochter eines berühmten G.G. sei: Düsseldorf-Hamburg-Manila. Doch dann hieß der Vater doch nur Gerhard Gerber und saß sabbernd im Altenheim. Einen hoffnungsvollen Sohn hatte sie, der grotesk-tragisch auf der Bühne umkam. Alles, was sie angepackt hat, ging schief. Nach einer dreijährigen Therapie blieb der Souffleurkasten. Das kotzt sie sich nun alles von der Seele. Komisch gemacht, gewiß, man lacht - doch Heitere wird vom Dramatischen eingeholt, das wiederum vom Tragischen überholt wird. An Kuohn vermittelt das Gefühlsdebakel in dieser Tragikomödie mit Tiefgang in eloquentem Monolog über Dramaturgie und Textflächen, Publikum und Provinz berührend.
Nur jetzt, im Souffleur-Kasten ist Anna ein ganz klein wenig sie selbst. Es muß einer Schauspielerin schwer fallen, anschließend lächelnd den reichlichen Applaus entgegenzunehmen.

Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de