Gabi

Eine Liebesgeschichte

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Gabi


Gabi war fort. Herr Willschneider hatte seinen Computer Gabi genannt, und obwohl diese Namensgebung erst nur seinen überheblichen Umgang mit dem Dämon Maschine ausdrücken sollte, gewann er Gabi mit der Zeit richtig lieb. Schaute er anfänglich oft noch zurückhaltend auf Gabis Bildschirm, so änderte sich dies schnell. Bald hieß es Gabi hier und Gabi da und es verging keinen Tag, an dem Bertram nicht mit Gabi sprach wie mit einem Menschen. Genau genommen verbrachte Bertram mit Gabi mehr Zeit, als mit jedem anderen Partner. Noch bevor er sich morgens anzog und auf den Tag vorbereitete, ging er schon zu Gabi und fuhr sie hoch. Manchmal ließ er Gabi über Nacht an, weil er ohne ihre süßen Online-Geräusche nicht schlafen konnte. Eines Tages wurde Gabi anders. Nach dem Uploaden eines Antivirenprogramms wurde sie langsam, kompliziert und zickig. Es war so, als könne sie diese Bevormundung nicht vertragen. Bertram rief Herrn Borschat an, der sich mit Computern auskannte wie kein anderer. Bertram hatte die Telefonnummer von Herrn Borschat über einen Bekannten bekommen, der eine Freundin hatte, deren Bruder oft mit Herrn Borschat zusammenarbeitete. Herr Borschat kam sofort vorbei und schüttelte den Kopf. „Da kann ich im Augenblick nichts machen“, sagte er. „Ich muß den Computer mitnehmen und zu Hause nach dem Rechten sehen.“ Bertram mußte nun alle Passwörter und andere vertraulichen Geheimnisse preisgeben, damit Herr Borschat mit dem Computer umgehen konnte. Was tut man nicht alles für jemanden, der einem so ans Herz gewachsen ist, dachte Bertram. Als Herr Borschat Gabi abbaute, hätte Bertram weinen können. Er stand noch lange in der Tür und blickte Herrn Borschat nach, wie er mit Gabi verschwand. Würde er sie wiedersehen? Man weiß es nicht. Das Leben ist schwer und manchmal auch ungerecht.


© Erwin Grosche - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008