Vilhelm Hammershøi - Poesie der Stille

Eine Werkübersicht von Felix Krämer, Naoki Sato und Anne-Birgitte Fonsmark

von Sabine Kaufmann

© Hatje Cantz
Hammershøi


Das Werk des 1864 in Kopenhagen geborenen Malers Vilhelm Hammershøi, das in der dänischen Kunstgeschichte am Übergang vom "Guldalder" zur Moderne steht, mußte außerhalb Dänemarks in den zurückliegenden Jahren nach rund 50 Jahren des Vergessens in mählichen Schritten im reinsten Sinne des Wortes wiederentdeckt werden. Nach seinem frühen Tod 1916 geriet der einst europaweit anerkannte und gefeierte Maler überraschend schnell in Vergessenheit - völlig unverständlich, schaut man sich die Arbeiten an, die der nun vorliegende Band "Vilhelm Hammershøi" in beeindruckender Fülle präsentiert.

Zu einer 2008 in London und Tokio präsentierten Werkschau zu
Hammershøis Leben und künstlerischer Entwicklung stellten die Kuratoren einen beachtlichen Katalog zusammen, der auf 171 Seiten insgesamt 140 Abbildungen, darunter 72 großformatige Wiedergaben seiner bekanntesten Gemälde zeigt. Für den Umschlag wurde ein Ausschnitt aus "Interieur mit junger Frau in Rückenansicht. Strandgade 30" gewählt, das hervorragend die Eigentümlichkeit von Hammershøis Arbeit zeigt. Die Räume: still, oft menschenleer mitunter völlig ohne Ausstattung - die vorhandene Ausstattung: sparsam - die Menschen: überwiegend dem Betrachter den Rücken zuwendend, en face ist der Blick gesenkt oder abgewandt. Sogar das Portrait seiner Frau Ida Illsted (Kat. 56) zeigt den Blick gedankenverloren abgewandt. Dargestellte Architekturen des Spätwerks: kühl, düster, verlassen, menschenleer - Natursujets: fern, ohne die Anwesenheit von Menschen. Es ist gerade diese beinahe hörbare Stille, die ausdrucksvolle Leere, die allgegenwärtige Tristesse, die an Hammershøis Bildern so fasziniert.

"Poesie der Stille" hat Felix Krämer sein Essay zu dem einzigartigen Werk des Dänen untertitelt. Damit trifft er den Punkt ebenso wie Anne-Birgitte Fonsmark, die in
Hammershøi den Mittler zwischen der ausklingenden Epoche des eher behaglichen "Goldenen Zeitalters" (Guldalder) und der dynamisch drängenden Moderne sieht. Naoki Sato wirft den Blick sogar weit zurück über Hammershøis Schulter und findet beeindruckende, ja verblüffende Beispiele für die Einflüsse nicht nur des dänischen Guldalder der Mitte des 19., sondern der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Beispiele von Vermeer, de Witte, Elinga u.a. zeigen sich ebenso zeitlos wie die Sujets Hammershøis. Sein "Interieur mit Brief lesender Frau" spiegelt Johannes Vermeers "Briefleserin in Blau", Pieter Janssens Elingas "Die Putzende" macht Hammershøis "Interieur mit Putzender. Strandgade 30" zum Déja vu. Die Reihe ließe sich fortsetzen. 

Das Durchblättern des Katalog-Buches wird zu einer Reise in die Zurückgezogenheit, in eine Art innere Einkehr, in der Menschen -
Hammershøi malt bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich Frauen bei häuslicher Tätigkeit - nicht direkt stören, aber ohne Frage verzichtbar erscheinen. Ihr Dasein ist nicht mehr als Staffage. Selbst da, wo eine Person scheinbar im Vordergrund steht, wird sie von dem sie umgebenden Raum beherrscht.  Türen öffnen sich zu Nebenräumen, ohne zu verraten, wohin man wohl gelangen würde, Fensterschauen haben nicht den Blick aus dem Fenster nach draußen, sondern den Blick auf das Sprossenfenster und seinen Lichteinfall zum Thema, Farben sind gedeckt und Formen schlicht, aber ausgewogen. Der wenige dargestellte Hausrat ist erlesen, die Kleidung der Frauen von pietistischer Strenge.

Gerade jetzt wird auch  Vilhelm Hammershøis älterer Bruder, Svend Hammershøi, wiederentdeckt. In Dänemark ist er für seine ähnlich ruhigen Bilder, vornehmlich Naturstudien (Bäume) bekannt.


Felix Krämer, Naoki Sato und Anne-Birgitte Fonsmark  -  "Hammershøi", © 2008 Hatje Cantz Verlag Ostfildern/ Royal Academy of Arts, London, 173 Seiten mit 140 farb. Abbildungen, chronologisch aufgebautem Katalogteil, Zeittafel, Ausstellungsliste, Namensindex, 29 x 22,5 cm, Leinen mit farb. Schutzumschlag, 39,80 €

Weitere Informationen unter: www.hatjecantz.de