Zum 1. Advent

...der diesmal auf den Andreastag fällt

Aus den "Feierstunden" 1896

Der Hl. Andreas
Zum Andreastage (30. November)

  
Unsere Vorfahren feierten wesentlich zwei Hauptfeste, das Frühlingsfest und das Herbstfest vor Beginn der langen, rauhen Winternacht. Während der Sommer zur Arbeit draußen ruft und gerade noch zum Tändeln und Lieben Zeit läßt, bringt der Winter mehr Zeit zu in einer inneren Einkehr, und in den Spinnstuben erklangen ehedem die schönsten Liebeslieder, just wie zur Frühlingszeit. Die meisten Ehen werden denn auch schon von Alters her im Frühling und im Herbst geschlossen.
Der Andreastag nimmt nun unter allen Festtagen eine ganz eigenartige Stellung ein, seine Gebräuche beziehen sich alle auf das Gebiet der Liebe und Ehe, und noch eigentümlicher ist es, daß der Apostel Andreas, der nicht einmal verheiratet war, zum Schutzpatron der heiratslustigen Mädchen geworden ist.
   Am Andreastage können die Mädchen bewirken, daß ihnen der Zukünftige im Traume erscheint, wenn sie vor dem Einschlafen die Worte sprechen:

Andreasabend ist heute,
Schlafen alle Leute, Schlafen alle Menschenkind,
Die zwischen Himmel und Erde sind,
Bis auf diesen einzigen Mann,
Der mir zur Ehe werden kann.
   In Schlesien knieen die Mädchen des Nachts vor dem Schlafengehen vor ihrem Bette nieder und sprechen einen ähnlichen Vers:
Herzlieber Andreas!
Gieb mir zu erkennen, wie ich heiß,
Gieb mir zu Augenschein,
Welcher soll mein Liebster sein.
Im Traum erwarten sie dann die Antwort des Heiligen.
    In Thüringen decken die Mädchen um Mitternacht des Andreasabends den Tisch, legen Messer und Gabel darauf und öffnen das Fenster; dann kommt der Zukünftige vor das Fenster und zeigt sich. Oder das Mädchen deckt den Tisch und setzt eun Glas Wasser und ein Glas Wein darauf und wartet in der Ecke. Der Erwartete kommt - trinkt er den Wein, so ist er reich, trinkt er aber Wasser, so ist er arm.
  Im Harz gehen die Mädchen in der Mitternachtsstunde schweigend in den Garten, schütteln den Erzbaum und sprechen:
 Erzbaum, ich schüttle dich, ich rüttle dich!
Wo mein Liebster wohnt, da regt sich´s.
Kann er sich nicht selber melden,
So laß er nur sein Hündchen bellen.
In der Richtung, wo dann ein Hund bellt, wohnt der Geliebte.
   In Thüringen, wie Erzgebirge und in Schlesienschreiben die Mädchen auch die 25 Buchstaben des Alphabets mit Kreide an die Thüre und zeigen mit verbundenen Augen mit einem Stocke danach; der getroffene Buchstabe bezeichnet den Anfangsbuchstaben des zukünftigen Geliebten.
Sehr allgemein ist auch der Brauch, in einer Schüssel kleine Lichtchen auf Nußschalen oder Zettel mit Namen in Nußschalen oder auf Korken schwimmen zu lassen; deren Schiffchen nun aufeinander zuschwimmen, die werden Verlobte. Hat ein Mädchen mehrere Liebhaber, so läßt sie mehrere Schiffchen schwimmen, oder sie schreibt die Namen derselben auf einzelne Zettel und steckt diese in weiche Tonkugeln und wirft sie in eine Schüssel mit Wasser.; der erste aufsteigende Zettel giebt ihr dann die Entscheidung. Die Mädchen werfen auch, wie bei anderen Festen, eine schmal geschälte lange Apfelschale rückwärts mit der rechten Hand über die linke Schulter und sehen dann aus der Figur derselben den Namen des zukünftigen Geliebten.
   Im Fichtelgebirge versammeln sich die Mädchen und schließen einen Kreis, in welchen ein Gänserich mit verbundenen Augen gestellt wird. Zu welcher sich nun der Gänserich schreitend wendet, die wird bald Braut.
Frau Hulda, die im Boden wohnt, ist den jungen Mädchen hold, deshalb gehen diese in der Andreasnacht im Mondschein zum Brunnen und erblicken darin das Bild ihres Bräutigams.
   Der Gebrauch des Bleigießens ist gleichfalls am Andreastage allerorten üblich; aus der Gestalt des ins Wasser gegossenen Bleies ist dann - mit Hilfe großer Phantasie - das zukünftige Schicksal, der Zukünftige, sowie dessen Namen, Aussehen und Beschäftigung zu ersehen. Statt des Bleies schütten die Mädchen in Schwaben das Weiße eines Eies ins Wasser, um aus den daraus entstehenden Figuren wahrsagen zu können.
   So finden sich Liebesbräuche und Liebesorakel am Andreastage überall in Deutschland, in Dänemark, Schweden und Norwegen, Mähren und Böhmen. Wir wünschen unseren verehrten Leserinnen, daß sie alle im süßen Traum der Andreasnacht ihren Zukünftigen erblicken mögen.