Gestrandet in Thailand

Ein schweißtreibendes und nervenzehrendes Abenteuer

von Roderich Trapp

Es ist eng und warm: LTU-Urlauber am vergangenen Samstag vor
einem der zwei „Gates” des Flughafens Utapao. Foto © Roderich Trapp
Gestrandet in Thailand
 
Gratis-Abenteuer zum Urlaubsende
 

Als Journalist hat man ja auch in den Ferien nicht immer frei. Schon gar nicht, wenn das Urlaubsziel Thailand heißt und der Rückflug aus Bangkok planmäßig am vergangenen Samstag gewesen wäre. Wie uns trotz gesperrter Flughäfen und mehreren hunderttausend „gestrandeten” Abreisewilligen die Flucht geglückt ist, kann ich Ihnen gerne schildern.
Flucht ist allerdings der falsche Begriff, denn in Bangkok selbst war bis zum Wochenende auf den üblichen touristischen Pfaden rein gar nichts von den politischen Verwerfungen zu spüren. Für den aus der Dienstleistungswüste kommenden Deutschen blieb die umwerfende Freundlichkeit der Thais eigentlich der einzige Ausnahmezustand. Was nichts daran änderte, dass an unseren LTU-Rückflug mit der denkwürdigen Nummer 1751 nach Düsseldorf am Samstagmorgen eigentlich nicht zu denken war.

Hoffnung und Turbulenzen

Nachts um zwei kam der Anruf der Fluggesellschaft: „Wir bringen morgen zwei Maschinen auf den 180 Kilometer entfernten Militärflughafen Utapao bei Pattaya. Darauf buchen wir Sie ein. Kommen Sie um zehn Uhr zum Holiday Inn in Bangkok. Da stehen Busse bereit!” Die brachten uns in knapp drei Stunden sinnigerweise unter Vorführung der DVD „Kung Fu Panda” zunächst in ein Hotel nach Pattaya, wo LTU in einem Konferenzraum den Check-In und die Gepäckaufgabe abwickelte. Dort gab es im Gerangel um die 291 freien Plätze im Airbus nach Düsseldorf zwar keine Kung-Fu-, aber doch etliche andere turbulente Szenen.
Den Job des mit einem Mikrofon und drei Handys ausgestatteten Einsatzleiters, der verkünden muss, dass zunächst alle Menschen mit LTU und Air Berlin eingecheckt werden und die Restplätze an die ebenfalls angekarrten Gestrandeten anderer Gesellschaften vergeben werden, hätte ich nicht machen wollen. Er löste das aber großartig, obwohl gerade der durchschnittliche deutsche Sex-Tourist in solchen Situationen gerne zum Kampfhund mutiert.

Durchbruch im Konvoi

Ein Lob also an die Bodencrew von LTU und Air Berlin, die das Ganze deutlich besser im Griff hatte als die thailändischen Behörden, deren segensreiches Wirken sich am Ausweich-Airport Utapao voll entfaltete. Dieser Flughafen hat ein riesiges Rollfeld für B52-Bomber aus dem Vietnamkrieg und ein umso winzigeres Terminal, von dem aus neben Militärmaschinen normalerweise nur Geschäftsleute mit kleinen Privatmaschinen und eine Handvoll Billigflieger starten. Genau genommen reden wir über 50 mal 50 Meter Abfertigungsfläche in einem flachen Profanbau, vor dem sich bei unserer Ankunft geschätzt mindestens 10.000 Menschen aus aller Herren Länder drängelten, die irgendwo gehört hatten, dass von hier Flugzeuge gehen. Geschäftstüchtige Thais hatten bereits Garküchen zur Verpflegung aufgestellt und Volkstanzgruppen zur Unterhaltung der Massen hinzugezogen.
Auf mir bis heute unerklärliche Weise gelang uns bereits im Besitz von Bordkarten befindlichen LTU-Passagieren im Konvoi der Durchbruch durch einen der wenigen Eingänge und das Vordringen zur Passkontrolle. Vorbei an einer Million leerer Plastikflaschen, Bergen von Abfall und übereinander schlafender anderer Reisender, die sich in der kleinen Schalterhalle türmten. Hinter der Passkontrolle wurde es dann erst richtig eng ­ vor der einzigen Sicherheitsschleuse für alle Passagiere von rund 25 Großraumflugzeugen, die zu diesem Zeitpunkt auf dem Rollfeld standen.

50 º Celsius,  und "Dawai, dawai!"

In dem unbeschreiblichen Geschiebe und Geschubse vor dem Röntgenapparat galt: Von Chinesen lernen heißt siegen lernen. Im Sog der Vordrängelkaiser aus dem Reich der Mitte gelangten auch wir in die Boardingzone, in der sich gut und gerne 2.000 Menschen bei gefühlten 50 Grad um zwei winzige Ausgänge zum Flugfeld gruppierten. Mit dem Reisepass als Fächer und der Nase im schweißnassen Nacken des Vordermannes vergingen gut zwei Stunden, bis weit vorne ein handgeschriebenes Schild mit der Flugnummer LT 1751 hochgehalten wurde ­ ein Jubel wie bei Philipp Lahms erstem WM-Tor war die Folge. Der kam etwas verfrüht, weil der vorgefahrene Bus nur einen Teil der Passagiere schlucken konnte und anschließend erst mal Russen („Dawai, Dawai!”) und Chinesen an der Reihe waren.
Gegen neun Uhr abends Ortszeit konnte LT 1751 dann aber gut elf Stunden nach unserer Abfahrt in Bangkok abheben ­ allerdings nicht Richtung Düsseldorf, sondern erst mal nach Dubai, weil es in Utapao für den Airbus nicht nur zunächst keine Frachtpapiere und keine Treppe, sondern später auch noch zu wenig Treibstoff gab. Kerosin bekamen wir nach gut drei Stunden in Dubai genug, aber keine neue Crew, die benötigt wurde, weil die alte nach 15 Stunden (inklusive Standby) gesetzlich nicht weiterfliegen darf. Deshalb ging es von Dubai nach Hurghada zum Crewwechsel ­ und zur medizinischen Untersuchung einer 70-Jährigen, die unterwegs mehrfach kollabiert war („Wenn ein Arzt an Bord ist, möge er sich bitte melden!”). Die Dame durfte unter Aufsicht einer tatsächlich zufällig mitfliegenden Ärztin bleiben, die neue Besatzung kam ­ und setzte dann Stunden später in München zur dritten Zwischenlandung an, weil die 70-Jährige in der mittlerweile zu einer Art Schockraum umgebauten Business Class nicht mehr zu stablisieren war...

Zwei Crews mit Verfallsdatum

In München hatte die zweite Crew ebenfalls ihr Verfallsdatum erreicht, das übrigens für Passagiere nicht gilt. Also mussten wir nochmal anderthalb Stunden an Bord auf Besatzung Nummer drei und das Auffüllen der in die alte Dame gepumpten Sauerstoffflaschen warten, ehe es endlich auf die Schlussetappe ging. Die endete am Sonntagmorgen gegen zehn Uhr in Düsseldorf nach rekordverdächtigen 19 Stunden nonstop im Airbus. Das war sogar dem WDR-Videotext eine Meldung wert ­ nur dass die zuständige Kollegen das Geschehen auf Donnerstag verlegt hatten. Vielleicht brauchen die auch mal Urlaub ­ es muss ja nicht Thailand sein...
P.S.: Ich danke allen, die an unserer kleinen Odyssee so besorgt Anteil genommen haben. Und wünsche allen anderen Thailand-Urlaubern und dem Land selbst einen genauso guten Ausgang!

P.P.S. (der Musenblätter-Redaktion):
Roderich Trapps gute Wünsche haben geholfen. Die Situation für die bis vor drei Tagen noch immer in Thailand festsitzenden Touristen hat sich mittlerweile entspannt, der Flughafen von Bangkok ist wieder geöffnet.


© 2008 Roderich Trapp/Rundschau Verlags-Gesellschaft
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Erstveröffentlichung in der Wuppertaler Rundschau am 3.12.2008
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Wuppertaler Rundschau