Im Urlaub ganz frei

"Sommer, Sonne Nackedeis - FKK in der DDR"

von Friederike Hagemeyer
„Im Urlaub ganz frei ....“
 
 
Mehr als ein halbes Jahrhundert ist es her, daß in der DDR die „Anordnung zur Regelung des Freibadewesens vom 18. Mai 1956“ in Kraft trat, und dahinter verbarg sich eine kleine Revolution.  Welche Kämpfe dieser so unscheinbar bürokratisch daherkommenden gesetzlichen Maßnahme vorausgingen und welche Auswirkungen sie auf die Urlaubsgestaltung der DDR-Bürger haben sollte, das schildert - nein, bebildert! - Thomas Kupfermann auf vergnügliche Weise in seinem Buch „Sommer, Sonne, Nackedeis, FKK in der DDR“.
 
FKK-Verbot 1954
 
Als sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges an der Ostseeküste zwischen Wismar und Usedom langsam wieder ein Strandleben entwickelte, gab es unter den Feriengästen auch eine zunächst kleine Schar, die ihren ganzen Körper ungehindert der Sonne, der Luft und der See aussetzen wollte. Noch waren es vorsichtige Anfänge, und die Nackedeis tummelten sich außerhalb der Ortschaften an entlegenen Strandabschnitten.
FKK wurde beliebter, und Anfang der 1950er Jahre mehrten sich auch die Gegenstimmen und Proteste, die das Zeigen „nackter Tatsachen“ für unvereinbar mit der sozialistischen Moral hielten. Der Chef der Volkspolizei und stellvertretende Minister des Inneren, Karl Maron, war einer der einflußreichen Gegner. Er sah im Nacktbaden und den sogenannten „Kamerunfesten“ eine „Schmähung der Sitten und Gebräuche der Negervölker“ (S. 41).
Bezeichnend für die Situation ist folgende Begebenheit: Der Dichter der DDR-Nationalhymne und spätere Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, traf bei einem Dünenspaziergang auf eine sonnenbadende nackte Dame. Empört schrie er sie an: „Schämen Sie sich nicht, Sie alte Sau?!“ – Wenig später hielt Becher anläßlich der Nationalpreisverleihung an Anna Seghers die Laudatio für die hochgeehrte Schriftstellerin. „Liebe Anna!“ so begann er, wurde jedoch sofort von der Gefeierten unterbrochen: „Für dich, Hans, immer noch alte Sau!“
Karl Maron, oberster Volkspolizist, verhängte schließlich ein generelles Nacktbadeverbot; die Kurverwaltungen in den Seebädern hatten es durchzusetzen; Zuwiderhandlungen konnten mit 150,- Mark oder zwei Wochen Haft geahndet werden.
 
FKK-Anhänger geben nicht auf
 
So schnell gaben die FKK-Liebhaber aber nicht auf; galt es doch wenigstens ein klitzekleines Stückchen privater Freiheit zu verteidigen. An allen Ostseestränden wurden Standwachen organisiert, welche die Nackten bei Herannahen einer Volkspolizeistreife durch laute Rufe oder Pfiffe warnten.

Verboten! - Foto © Eulenspiegel Verlag
Vor allem aber setzten sich hochrangige „Kulturschaffende der DDR“ für eine Aufhebung des Verbots ein. Beispielsweise schrieb der Direktor des Progress-Filmverleihs, Rudolf Bernstein, an die Kurverwaltung in Ahrenshoop, daß er zwar nichts dagegen habe, wenn der beste und größte Teil des Strandes den Feriengästen vorbehalten bliebe, die es vorziehen, „der Luft, der Sonne und dem Meer den Zutritt zu ihrem Körper nur durch einen nassen oder trockenen Umschlag hindurch zu gestatten.“ Bernstein hatte aber bestimmt etwas gegen „Mucker in Badehose oder Jägerhemd“, die nur an den FKK-Strand kommen, um sich am Anblick Nackter „zunächst aufzugeilen und dann Anstoß zu nehmen“ (S.41).
Für den Hiddenseer Strand setzte sich ebenfalls eine einflußreiche Persönlichkeit ein, der Schauspieler Günter Simon. Im DEFA-Film „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ hatte er den Arbeiterführer gespielt, und für diese Leistung war er ins Zentralkomitee der SED aufgenommen worden. (Hinrich Hagemeyer)
 
1956 geschah schließlich, worauf alle FKK-Anhänger gehofft hatten – aber hatten sie auch wirklich damit gerechnet? -; die Führung des „Ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden“ gab nach. Die „Anordnung vom 18. Mai 1956“ regelte nun, daß „das Baden ohne Badebekleidung (Wasser-, Luft- und Sonnenbaden) an Orten, zu denen jedermann Zutritt hat, nur gestattet ist, wenn diese Orte ausdrücklich dafür von den zuständigen Räten freigegeben und entsprechend gekennzeichnet sind oder das Baden von unbeteiligten Personen unter den gegebenen Umständen nicht gesehen werden kann“ (S. 45).
 
Die Kurverwaltungen an der Ostsee wiesen bald abgelegene Strandbereiche mit Hinweistafeln – oder wie auf Hiddensee – mit massiven Betonklötzen und der Aufschrift „Freikörperkultur“ aus. Der Hiddenseer FKK-Strand bekam den Spitznamen „Günter-Simon-Strand“. Längst haben dort Wind, Wellen und Frost den Betonklotz zerbröselt, nur ab und zu bei günstigen Strömungsverhältnissen taucht das Fundament des Klotzes - wie Vineta - aus Sand und Wasser wieder auf.
 
FKK wird ein Massenphänomen
 
FKK entwickelte sich in der DDR zu einem Massenphänomen. Das Nacktbaden gab 1966 Anlaß zu einer Fragebogenaktion auf drei großen FKK-Zeltplätzen an der Ostseeküste (S. 132 - 135). Diese

Im DFF - Foto © Eulenspiegel Verlag
soziologische Untersuchung stellt an sich etwas ganz Außergewöhnliches dar, fürchtete doch die DDR-Führung im allgemeinen kaum etwas so sehr wie Volksbefragungen.
In den 1970er Jahren gelangte FKK sogar ins DDR-Fernsehen; einmal jährlich wurde eine Sendung der populären Serie „Außenseiter – Spitzenreiter“ am Usedomer FKK-Strand aufgenommen (S. 6 – 11). Und 1982 erschien „Baden ohne“, ein Führer zu den ca. 50 offiziellen FKK-Stränden der DDR.
Inoffiziell gab es an der Ostseeküste längst keine abgegrenzten Strandbereiche mehr; man badete mit oder ohne Textilien gerade wie und wo es einem gefiel - eine fröhlich gelebte Koexistenz. - Viel hatte sich seit  dem Verbot von 1954 getan!
 
Die Wende
 
Nach dem Mauerfall strömten neugierige Touristen aus den alten Bundesländern an die unbekannte Ostseeküste der früheren DDR. Man rümpfte die Nase über soviel Freizügigkeit und bei den Kurverwaltungen hagelte es Proteste. Verwundert rieb man sich dort die Augen über die prüden „Westler“. Aber wollte man die finanzkräftigen Touristen nicht vergraulen, sahen sich viele Ostseebäder genötigt, so z.B. Ahrenshoop, das Nacktbaden wieder säuberlich vom Textilstrand zu trennen und an entferntere Standbereiche zu verbannen.
 
Ein vergnüglicher Rückblick
 
Thomas Kupfermann zeichnet in seinem Buch die Entwicklung dieser wohl „einzigen freiwilligen Massenbewegung der DDR“ auf anschauliche Weise nach. Die eingestreuten Texte liefern Sachinformationen (z.B. die Kapitel „Im Urlaub ganz frei“ und „Interessant zu wissen“), Zeltplatzatmosphäre („Das Telegramm“) und vor allem Fotos über Fotos; es wimmelt von Nackedeis vom Kleinkind bis zum reiferen Alter. Alle Fotos stammen aus Privatbesitz und wurden dem Herausgeber nach einem Aufruf in der BILD-Zeitung von FKK-Anhängern aus der DDR zur Verfügung gestellt.
 Entstanden ist eine liebevoll schmunzelnde Rückschau auf einen unbeschwerten Ausschnitt des ganz normalen DDR-Lebens. Thomas Kupfermanns Band gehört nicht nur auf den Gabentisch „gelernter DDR-Bürger“ sondern ist auch interessierten „Wessis“ durchaus zu empfehlen.
 
 
Sommer, Sonne Nackedeis. FKK in der DDR. Zusammengestellt von Thomas Kupfermann.
2008 Eulenspiegel-Verlag, 192 Seiten, 2. korr. Aufl. –  ISBN 978-3-359-01667-0
€ 14,90
 
Literatur:
Friedrich Hagen: Baden ohne. FKK zwischen Mövenort und Talsperre Pöhl. - Berlin, Tourist-Verlag, 1982. 64 S. M. zahlr. Illustrationen.
Michael Kuttner: „Splitternögen i DDR“, in: Berlingske Tidende, 18.8.2008
Wikipedia, Stichwort „Freikörperkultur“ http://de.wikipedia.org/wiki/Freik%C3%B6rperkultur
Hinrich Hagemeyer: „Der Günter-Simon-Strand“, in: Hiddensee, Inselnachrichten, Juli 2008, S.20-21).
 
Weitere Informationen unter:  www.eulenspiegel-verlag.de