"Der Künstler ist ja nicht der Heilige"

Ein Vortrag von Barbara Schock-Werner über moderne Kunst in alten Kirchen

von Andreas Rehnolt

Andreas Rehnolt
Foto © Frank Becker

"Der Künstler ist ja nicht der Heilige"
 
Die Kölner Dombaumeisterin Schock-Werner
berichtete über moderne Kunst in alten Kirchen
und die Glasmaler der Gegenwart
 
 

Düsseldorf - "Wir nennen es natürlich nicht das Richter-Fenster. Der Künstler ist ja nicht der Heilige. Es bei uns im Dom das Süd-Querfenster." Mit dieser Klarstellung begann die Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner am Mittwochabend in Düsseldorf ihren Vortrag über moderne Kunst in alten Kirchen. Vor über 200 Zuhörern ging die Expertin der Frage nach, ob moderne Kunst in Sakralgebäuden "Provokation oder Bereicherung" darstellt. Ihr Vortrag über die Entstehungsgeschichte des Süd-Querfensters im Kölner Dom, das von dem international berühmten Künstler Gerhard Richter geschaffen und am 25. August letzten Jahres eingeweiht wurde, geriet auch zu einem spannenden Überblick über die lebenden Glasmaler der Gegenwart.
 
Das ursprüngliche Südquerfenster im Kölner Dom war vom Deutschen Kaiserhaus gestiftet und im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. "Dargestellt waren heilige Herrscher in dunkler Schokoladenfarbe, was nicht wirklich eine gute Farbe für Kirchenfenster ist". Nach dem Krieg war dann ein Fenster eingesetzt worden, das viel zu viel weißes Glas enthielt. "Es wirkte bei starker Sonneneinstrahlung wie ein Scheinwerfer und überblendete das Innere des Doms", so Schock-Werner. Als sie vor knapp zehn Jahren ihr Amt als Dombaumeisterin antrat, wollte sie ein würdigeres Fenster haben. "Zunächst dachten alle daran, Märtyrer des 20. Jahrhunderts darzustellen. Heilige Herrscher waren ja nicht wirklich mehr ein Thema."
 
Die Suche nach möglichen Glaskünstlern geriet dann fast zu einer Europa-Tournee. Die Fenster von Vinzens Piper etwa in stahlblau und neongelb hatten für die Dombaumeisterin "eine störende und abstoßende Farbigkeit". Hans Gottfried von Stockhausen, nach den Worten von Schock-Werner "einer der großen Künstler der Glasmalerei", kam nicht in Frage, weil er eher - wie in der Leipziger Thomaskirche - nahsichtiger arbeitete, was für das Kölner Domfenster, das erst in einer Höhe von 23 Metern beginnt, nicht in Frage kam. Fritz Baumgarnter hatte keine Chance, weil er für die Dombaumeisterin in einem "formalisierten Comic-Stil" arbeitet. Sie bezweifelt, ob seine Entwürfe für zwei Apostel-Fenster der Lutherkirche in Regensburg "die Gemeinde beglücken werden", wenn sie verwirklicht sind.
 
Natürlich schauten sich die Verantwortlichen des Kölner Doms auch die drei Fenster des Künstlers Neo Rauch im Naumburger Dom an. Doch die drei ganz in rot gehaltenen kleinen Fenster in der Elisabeth-Kapelle waren nicht übertragbar. Die "abstrahierende Glasmalerei" des Schweizer Künstlers Walter Loosli kam für Schock-Werner ebenso wenig in Frage wie Karl Martin Hartmann, der für die St. Marien-Kirche im niederrheinischen Kalkar 22 Kirchenfenster entworfen hatte. Joachim Poensgens Fenster für die Franziskaner Klosterkirche St. Barbara in Mönchengladbach seien "fast ganz ohne Farbe" und manch anderer Glaskünstler hätte nur schwache Pastellfarben geboten, die sich nicht mit der "historischen Farbigkeit" der anderen Fenster im Kölner Dom vertragen hätten.
 
Das sei letztlich auch ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen, die Idee der Märtyrer des 20. Jahrhunderts fallen zu lassen. "Sechs schwarzgekleidete Gestalten wären zu erschreckend gewesen", so Schock-Werner und hätten auch in der riesigen Höhe des Doms "kaum einen Wiedererkennungswert" gehabt. Sie hätte dann, ebenso wie die übrigen Verantwortlichen des Domkapitels erkannt, daß es "an dieser Stelle und in diesem Riesenfenster nichts Figürliches geben kann." Schließlich sei sie eher zufällig mit Gerhard Richter zusammengetroffen, dessen Werke sie auch wegen ihrer hohen Farbigkeit und ihrer Ornamente schätze.
 
Und tatsächlich, nach vielen Versuchen und Experimenten hätte Richter dann seine gewaltige, strahlende Pixel-Landschaft aus 72 verschiedenen Farben geschaffen. Die Farben wurden mit Hilfe computergesteuerter Verfahren über die Fläche verteilt und dann von Richter durch Spiegelungen und Wiederholungen neu rhythmisiert. Die Scheiben wurden schließlich mit Gel aus der Elektrotechnik verbunden und mit schwarzem Silikonkleber geklebt. Bei der Einweihung hätte das einfallende Licht alle im Dom fasziniert. "Sogar der Weihrauch in der Kirche nahm die Farbe der Fenster auf und es war fast so was wie eine übersinnliche Erscheinung", schwärmte Schock-Werner.
 
Das Südquer-Fenster von Gerhard Richter ist nach ihren Worten deshalb keine Provokation im alt-ehrwürdigen Gotteshaus. "Es spielt sich nicht in den Vordergrund sondern steht da, als ob es schon immer da gestanden hätte." Deshalb sei dieses Fenster auch ein Paradebeispiel dafür, wie man zeitgenössische Kunst in eine alte Kirche bringt. "Moderne Kunst muß sich mit dem Vorhandenen harmonisch verbinden und sich auf den Ort einlassen", so Schock-Werner. Die Kölner Dombaumeisterin räumte allerdings ein, daß Richters Fenster "nur so und nur an dieser Stelle" wirken könne. "Es war ein Experiment, das auch hätte schief gehen können."