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„Echoes of Swing“ in Remscheid

von Andreas Steffens
Memories of you –
„Echoes of Swing“ in Remscheid
 

Ihre zum Solo ansetzenden Sidemen liebte Ella mit einem scherzhaften ‘Play pritty for the people’ zu ermahnen. Das muß keinem der vier Musiker gesagt werden, die seit zehn Jahren mit wachsendem Erfolg und zunehmender Anerkennung - die soeben mit einer Auszeichnung des ‚Hot club de france’ für ihre jüngste CD unter Beweis gestellt wurde - ‚Echoes of Swing’ produzieren: Colin T. Dawson (Trompete), Bernd Lhotzky (Piano), Oliver Mewes (Schlagzeug) und Chris Hopkins (Altsaxophon und Arrangements) ist anzumerken, welche Freude es ihnen bereitet, ihr Publikum zu erfreuen.

Auch im Jazz hat die ‚Postmoderne’, die in den Feuilletons der 80er schnell groß wurde, lange grassierte, und dann fast von heute auf morgen nahezu spurlos wieder verschwand, gewirkt. Spätestens seit des Hardbop und des Freejazz überdrüssige junge Musiker einen neuen Traditionalismus entwickelten, die letzten Young Lions aus Art Blakeys jahrzehntelanger Kaderschmiede des Jazz der Zukunft die Rückbindung an die Traditionen suchten und ein Wynton Marsalis den Blues des Südens und die Klänge des alten New Orleans wiederentdeckte. Dem ist es wohl zu verdanken, daß sich Oscar Petersons Anfang der siebziger Jahre geäußerte Befürchtung, in zehn Jahren werde es keinen Jazz mehr geben, weil der Sinn für Herkunft verloren gehe, nicht bewahrheitete. Das Gegenteil trat ein. Noch nie gab es so viele Jazzmusiker wie heute - und so viele gute.
Heute gibt es mehr jüngere und Musiker der mittleren Generation, die alte Musik spielen, als jemals zuvor. Was im internationalen Milieu der Klassischen Musik karrierenotwendig ist, war im Jazz lange die verpönte Ausnahme. Wer nicht nur in flottem Mainstream swingte, sondern auch Swing spielte, war als einfallsloser Nostalgiker gebrandmarkt und abgetan. Mit dem Generationenwechsel von den mit Fusion aller Art groß und älter Gewordenen, zu denen, die vom an Seichtigkeit und Unmusikalität nicht mehr zu unterbietenden Pop genug hatten, vollzog sich eine Neuorientierung, die, klassisch vatermörderisch, nicht mehr fortsetzte, was die Vorgänger bewegt hatte, sondern zu Eigenem finden wollte, indem man sich auf die Künste der Großeltern besann. So ist es heute möglich, Harry ‚Sweets’ Edison, Cootie Williams, Harry James, Jimmy Dorsey, Earl Hines, Teddy Wilson, Gene Krupa oder Zutty Singleton ‚live’ auf einer Bühne zu hören: zeitgenössisch.

So am vergangenen Mittwochabend, als die ‚Echoes of Swing’ ein zu Recht begeistert aufgenommenes Konzert im Restaurant des ‚BAB - Hotels in Remscheid gaben, dessen Retro-Charme eines Plastik-Neo-Art-Deco der 70er gar nicht schlecht dazu paßte.
Trotz auch in dieser Hinsicht großen Eifers des Veranstalters nicht ganz so verraucht wie ein Honky Tonk, und nicht so intim wie der Cotton Club, bot der Saal mit seiner erstaunlich guten Akustik doch ein annehmbares Ambiente für einen hochprofessionellen Auftritt. Was an diesem Abend erklang, war klassischer Jazz vom Feinsten. Anders als zu befürchten, wirkt sich der Verzicht der Formation auf den Kontrabaß nicht negativ aus. Ohnehin ist er historisch konsequent, ja geboten, wenn man wie diese Musiker den Maßstab einer kompromisslosen Musikalität anlegt, gab es den Baß zur Originalzeit ihrer Musik doch noch gar nicht als musikalisch selbständiges Instrument. Dazu wurde er erst mit Jimmy Blanton im Orchester Duke Ellingtons, und im Bebop mit Ray Brown, bevor NHØP das Unmögliche gelang, ihn zu einem gleichrangigen virtuosen Soloinstrument zu machen.

So spielen denn auch alle vier ‚Echo’- Musiker ihre Instrumente mit der ganzen Kenntnis der gesamten Jazzgeschichte, die auf ‚ihre’ Musik noch folgen sollte: Colin Dawson gibt seinen Charlie Shavers, Harry Edison, Nat Gonella so, daß man hört, daß danach Roy Eldridge, Dizzy Gillespie und Clark Terry, Clifford Brown kamen; durch Chris Hopkins’ Jimmy Dorsey und Johnny Hodges klingen Paul Desmond, Art Pepper und Phil Woods hindurch; Bernd Lhotzkys Teddy Wilson und Earl Hines verleugnen weder Bill Evans noch Tommy Flanagan, und Oliver Mewes Gene Krupa lässt Buddy Rich ebenso wie Louis Bellson mithören. Diese souverän-virtuose Beherrschung der Geschichte der gesamten Musikalität ihrer Instrumente macht die hochintelligente Nostalgie ihrer Musik nicht nur erträglich, sondern zu einer zeitgenössischen Möglichkeit des Musizierens. Deshalb ist es besonders schade, wenn ein Publikum sich wie an diesem Abend in Remscheid fast nur aus Veteranen der Generation zusammensetzt, die mit dem Swing der Nachkriegszeit ihre Erweckung zur verbotenen Moderne erlebte. Es ist ein Mißverständnis.

So sehr sie ihre eigenen Instrumente beherrschen, so perfekt ist das Zusammenspiel der Musiker im Quartett. Die Arrangements sind so raffiniert ausgefeilt, das Unisonospiel von Trompete und Altsaxophon ist so perfekt, und doch federnd entspannt, der Rhythmus von Piano und Schlagzeug so akzentsicher, und die Dynamik so reich und differenziert, daß es ihnen mühelos gelingt, den Sound einer ganzen Bigband zu erzeugen. Bei aller Virtuosität, die man hier und da lieber genüßlich aufblitzen läßt, als sie ganz auszuspielen, fühlt man sich im Understatement wohler als in schriller Expression. Einer entspannten Spielfreude tut das keinen Abbruch. Wie intelligent diese ‚Zubereitung’ einer vergangenen Musik tatsächlich ist, zeigt sich daran, daß die ‚Echo’-Arrangements das größte Problem, das der Jazz immer gehabt hat, lösen: für ein Stück einen musikalisch überzeugenden Schluß zu finden.  
Ihrer Vorliebe für die ‚symphonischen’ Neigungen des großen Orchester-Swing ließen die Vier mit Adaptionen des Tommy Dorsey-Arrangements von Griegs ‚Bergkönig’, des ‚Liebesleids’ von Fritz Kreisler in der Manier des John Herbie Sextetts der 30er, einem ‚Beethoven’ und einem von Trompete und Saxophon gesponnenen Fugato, fast so schön wie Goodmans ‚Bach goes to town’, freien Lauf.

Wie es sich gehört, wurde jeder mit einem Solo-Stück herausgestellt, in dem alle vier ihre Virtuosität ebenso raffiniert wie gezügelt brillieren ließen. Am intensivsten Bernd Lhotzky, der in einer souveränen tour de force eine Miniaturgeschichte des Jazzpiano vom Stride Fats Wallers über die elegantesten Läufe Teddy Wilsons, den Arpeggios Art Tatums bis hin zu den Bop-Implosionen Bud Powells und Tommy Flanagans entfaltete.
Nach zwei ungewöhnlich langen Sets von jeweils einer guten Stunde fand ein Auftritt ohne einen falschen Ton seinen Höhepunkt in einem erfrischend rasant gegebenen ‚The man I love’, das Colin Dawson und Oliver Mewes à la Henry James und Gene Krupa im legendären ‚Sing, sing, sing’ - Finale der Goodman-Band im Carnegie-Hall- Konzert 1938 auf die Spitze trieben, bevor ein Jimmy Lunceford - Stück das entspannte Finale setzte. Ein Abend, der Lust auf mehr machte, und auf denkbar beste Weise in die Frühzeiten eigenen Jazzenthusiasmus’ zurückversetzte. Und der doch ganz gegenwärtig war. Das ist eine große Leistung, und eine sehr seltene.

Dazu trug nicht am wenigsten etwas bei, was es fast nicht mehr gibt, nicht einmal mehr in der Intimität eines Clubs: das durch keine Elektrik verstärkte Spiel ohne Mikrofon und Mischpult. Zu hören war der reine Zusammen-Klang der Instrumente. Jeder Ton ein Stück lebendige Individualität: das kann nur ermessen, wer, wie an diesem Abend, hören kann, wie Musik ‚gemacht’ wird – der hört, wie ein Atem klingt, der, über das Blatt gepreßt, die Luftsäule im Korpus des Metallgebildes Saxophon in Schwingung versetzt, die als Ton erklingt. Das Unmögliche, die Musik einer vergangenen Zeit zu spielen, und dabei doch ein zeitgenössischer Musiker zu sein, gelang in einer eigenen Komposition Chris Hopkins, wunderbar vorgetragen in einer Hodges/Ellington ‚Side by Side’ - Stimmung.
Nur einen Mißklang gab es, aber der war nicht dem Ensemble anzulasten. Ein elegant zurückgenommen, verhalten ironisch vorgetragenes „That’s my desire“ vergegenwärtigte die in der Ansage erwähnte Velma Middleton etwas zu sehr – sie jemals auf eine Bühne, und neben sich an ein Mikrofon gelassen zu haben, in das sie in vollendet unvermögendem Duett mit ihm eben dieses ‚That’s my desire’ plärrte, welche Peinlichkeit nur von einem gehechelten ‚Hucklebuck’ noch übertroffen wurde, ist die ewige - aber einzige - Schmach Louis Armstrongs.

Weitere Informationen unter:
www.media-arte.de
www.hopkins.de
www.lhotzky.de