Phänomenaler Britten

"Peter Grimes" in Gelsenkirchen

von Martin Freitag
 Phänomenaler Britten
 
Peter Grimes
Oper von Benjamin Britten –
Libretto von Montagu Slater
(in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln)
Gelsenkirchen - Premiere 24. Januar 2009
 

Musikalische Leitung: Rasmus Baumann – Inszenierung: Elisabeth Stöppler – Ausstattung: Kathrin-Susann Brose – Choreinstudierung: Christian Jeub – Dramaturgie: Anne Melcher - Bilder: Pedro Malinowski
Besetzung: Peter Grimes: Jan Vacik – Ellen Oford: Majken Bjerno – Kapitän Balstode: Thomas Möwes – Auntie: Anna Agathanos – Swallow: Michael Tews  - Ned Keene: Piotr Prochera – Mrs. Sedley: Marie-Helen Joel – Hobson: Dong-Won Seo – Pastor Adams: E. Mark Murphy - u.a.
 
Britten fühlbar

"Peter Grimes!" beim Ausrufen des Angeklagten schaut ein ganzer Bevölkerungsquerschnitt von "The Borough" in die Reihen des Gelsenkirchener Publikums, und richtig: einer steht auf, einer von uns und

Ensemble - Foto: Pedro Malinowski
antwortet. So beginnt Elisabeth Stöpplers Britteninszenierung am Musiktheater im Revier, keine niedlichen, pittoresken Küstenhäuschen, nur viele Gebrauchsmöbel werden schnell vom Chor aufgebaut und stellen ein ganzes Dorf dar, ein an Sand erinnernder ansteigender, stufiger Boden, ebenso eine Art Segel auf der Bühne, Projektionen (hervorragend passend von Andreas J.Etter) zu den Zwischenspielen und der Sturmszene unterstützen die Musik und Aktion und bringen das Meereselement auf die Bühne. Kinder, die bleich und tot im Wasser treiben oder auch mit dem feuchten Element leben und spielen, dabei umkreist sich lauernd die Bevölkerung, jeder agiert hier schuldig und unschuldig, denn er könnte der nächste Außenseiter sein, so nehmen die Opfer des Stückes, Peter Grimes und sein Lehrjunge, zwischen unseren Reihen Platz. Noch beeindruckender als Barrie Koskys ähnliche Hannoversche Inszenierung aus dem letzten Jahr gelingt Stöppler ohne Sentimentalität, mit Kathrin Susann Broses schlichter Ausstattung, drei Stunden spannendes Musiktheater auf die Bretter zu bringen, im dritten Akt mit dem Bühnenorchester spürt man die Nähe zu Bergs "Wozzeck". Die Neue Philharmonie Westfalen wird von Rasmus Baumann aber auch durch die Partitur gepeitscht, nicht die Ruhepunkte des Werkes vernachlässigend, wird ein herber, eher aufgerauhter Britten geboten, die wirklich schon in ihrem Einsatz und ihrer Spielfreude und Klangfülle genial zu nennenden Opern-und Extrachöre unter Christian Jeub haben ihren Anteil daran. Alles was Brittens erste große Oper ausmacht, die Angst des Individuums vor den Anderen, der Natur und dem Tod wird fühlbar.

Große Stimmpotentiale

Auch die Besetzung läßt so gut wie keine Wünsche offen, schon in der Wuppertaler Aufführung zeigte

Jan Vacik, Majken Bjerno - Foto: Pedro Malinowski
Jan Vacik, daß er zu den wirklich großen Interpreten der Titelpartie gehört, hier noch eine Steigerung in der Intensität der Darstellung mitreißend und stimmlich an die Grenzen gehend, dabei auch immer fähig zur lyrischen Intrspektive. Majken Bjerno ist eine recht dramatische Ellen Orford, unsentimental , aber in den Höhenansätzen sich leicht in ein Dauerforte versteifend. Tomas Möwes anfängliches Vibrato legt sich und mit kernigem Baßbariton gibt er einen tollen Kapitän Balstrode, ebenso prächtige tiefe Männerstimmen bringen Michael Tews als Jurist Swallow und Dong-Won Seo als Fuhrmann Hobson mit. Anna Agathonos wir als Auntie fast selbst Opfer des Mobs, nicht wegen ihres schönen Mezzos oder ihrer mit Elise Kaufmann und Noriko Ogawa-Yatake recht reifen, präsenten Nichten. Ned Keene ist ein Bilderbuch-Don Juan mit dem klangvollen Bariton Piotr Procheras, kein Wunder, daß die arme skurile Seele der Mrs. Sedley nicht nur von den Drogen des Apothekers abhängig ist, Marie-Helen Joel spielt das auf eine äußerst berührende, sensible Weise. Eine wirklich widerliche Bazille von volksverhetzendem Prediger gelingt William Saetre mit diesmal passend gellendem Tenor, ebenso wie sein salbungsvoller anglikanischer Kollege bei E. Mark Murphy gegensetzlich wirkt. Christian Pelker spielt den armen Waisenjungen, der zwischen den Erwachsenen zerrieben wird, angenehm natürlich.

Weiter so!

Großer, berechtigter Jubel am Premierenabend, bis auf wenige Buhs für die Regie, da hatte wohl jemand ein britisches Urlaubsziel vermißt. Insgesamt wirklich ein Abend, der einem sagt, warum man immer wieder ins Theater geht. Für den neuen Intendanten, Michael Schulz, jedenfalls der bis jetzt krönende Höhepunkt der erfolgreichen ersten vier Premieren, weiter so!

Weitere Informationen unter: www.musiktheater-im-revier.de
Redaktion: Frank Becker