Achtung: Lesen gefährdet die Dummheit!

Alan Bennett - "Die souveräne Leserin"

von Jürgen Kasten, mit einem Beitrag von Frank Becker
Bücher, Butterbrote, Kartoffelbrei...
 
Queen Elizabeth ist der (!) Souverän, Grundwissen eines jeden Lesers bunter Gazetten. Der Literaturinteressierte, auch der Unentschlossene, der seine Lektüre nach den Vorgaben diverser weniger regenbogenfarbener Bestsellerlisten richtet, weiß darüber hinaus, daß die Queen „Die souveräne Leserin“ ist. Im Herbst 2008 bei „Wagenbach“ erschienen, befindet sich dieses feine Bändchen noch immer auf jenen Listen im guten Mittelfeld – zu Recht.
Hochgelobt von professionellen Kritikern, vergnügt gelesen und mit Vergnügen zu lesen), gleichwohl leicht kritisiert von diversen Kommentatoren bei Online-Versendern. Wie das?
 
Nun, die Story ist so simpel, wie die Idee zu der Geschichte genial:
Die Hunde der Queen büxen aus, gelangen in den Hinterhof zur Küche und die Queen dort geradewegs vor den örtlichen Bücherbus. Höflich, wie sie nun einmal ist, will sie sich nur kurz für das Hundegekläff entschuldigen, wechselt dann aber doch ein paar Worte mit dem Angestellten, befragt den Küchenjungen Norman, den ansonsten einzigen Kunden nach seinen Lesegewohnheiten und verabschiedet sich, nicht ohne ein Buch entliehen zu haben, aus Höflichkeit natürlich. Es war ein Roman von Ivy Compton-Burnett. Der Name kam ihr bekannt vor, denn sie hatte Ivy vor Jahren geadelt. Die Geschichte und die Schreibweise langweilten sie. Trotzdem las sie es bis zum Ende, denn „Bücher, Butterbrote, Kartoffelbrei – was auf dem Teller ist, wird aufgegessen. Das war schon immer meine Philosophie“, so erklärte sie sich bei der Rückgabe. Und sie lieh sich ein weiteres Buch aus, aus Höflichkeit natürlich.
 
Die Queen verstand nichts von Literatur und war unschlüssig. Also ließ sie sich von Norman beraten, der schon wieder in Fotobänden stöberte. Und so ging es weiter. Die Queen wurde leseversessen, Norman war die längste Zeit Küchenjunge gewesen. Als ihr persönlicher Page und Berater verschaffte er ihr genau das Lesevergnügen, das auch jeden erfaßt, der sich in diesem leichten Bändchen verliert. Die Queen kam natürlich schnell dahinter, daß Norman ausschließlich Schwulenliteratur empfahl. Sie nahm es hin, hatte mehr und mehr eigene Wünsche und Anregungen, vernachlässigte ein klein wenig ihre Amtspflichten, wurde zu einem Ärgernis ihrer adligen Umgebung. Die Queen hatte viele Pflichten: Hier ein Empfang, dort die Eröffnung eines Schwimmbades, der Besuch einer Provinz, die wöchentlichen Treffen mit dem Premierminister. Es wurde ihr lästig. Sie sinnierte, warum sie bereits soviele Schriftsteller geadelt, nie aber mit ihnen über deren Literatur gesprochen hatte. Sie holte es nach, lud Autoren zum Tee, doch die hatten ihr nichts zu sagen.
 
In der Öffentlichkeit erscheint die Queen streng, gütig, distanziert, manchmal witzig, wenn sie mit Leuten aus dem Volk spricht. Doch das ist eine Inszenierung. Es wird alles vorausgeplant, ihr vorgegeben, mit den Gesprächspartnern abgesprochen. Dafür sorgen ihre Adjutanten. Alles ist wohldurchdacht. Niemand kennt die Queen, wie sie wirklich ist, womöglich sie selbst nicht. Bewußt wird ihr das durch das Lesen. Sie nimmt ihre Umgebung plötzlich wahr, anders als nur das „ihr da unten“ und „ich hier oben“. Dazwischen liegen nicht nur Welten, sondern gesellschaftliche Differenzierungen, die es zu hinterfragen gilt.
Die Queen tut genau dies, stößt auf Unverständnis, bleibt aber beharrlich.
Sie beginnt ihr Verhalten zu ändern, ihre Ansichten zu überdenken, macht sich während des Lesens Notizen, schreibt schließlich eigene Gedanken nieder und da sie detailliert über Jean Genet oder Marcel Proust parliert, dabei ihre Umgebung mit einbezieht, glaubt die Dienerschaft, die Queen sei im Oberstübchen nicht mehr zu recht beieinander. Doch das stimmt natürlich nicht. Ihre kleinen Nachlässigkeiten fallen nicht ins Gewicht. Sie ist noch immer die Queen, der Souverän. Sie bemerkt sehr wohl, was um sie herum passiert, spürt Intrigen auf, greift durch und entläßt Angestellte, die sie hintergehen, kompromißlos. Auch wenn diese Leute im vermeintlich guten Glauben nur die Institution Queen schützen wollten.
Dem Leser kommt diese Queen dabei immer näher. Sie ist von ihrem Thron gestiegen.
 
Das Büchlein hat nur 115 Seiten, dafür aber gespickt mit feinen Pointen und süffisanten Seitenhieben auf das höfische Gehabe und nichtssagende Geschwätz der Mächtigen und Regierenden, die von uns allen ins Amt gehievt wurden. England braucht seine Monarchie, die Queen; wir brauchen sie alle, nicht nur die Yellow-Press, denn die Queen „ist vielleicht die einzige Demokratin im Land“, wie die Süddeutsche Zeitung so treffend schrieb.
Ach ja – der Schluß enttäuscht etwas. Da hatte man doch einen anderen „Knaller“ erwartet. Gleichwohl, unbedingt empfehlenswert. 200.000 Leser und Leserinnen überzeugten sich bereits, schließen Sie sich an.
Der Autor Alan Bennett befindet sich im 75. Lebensjahr. Er arbeitet nach wie vor als Schauspieler, Autor, Regisseur für Theater, Radio, Film und Fernsehen. Für sein Drehbuch zu „King George“ war er für den „Oscar“ nominiert. Seine TV-Serien haben in England Kult-Status.

Redaktion: Frank Becker
Beispielbild


Alan Bennett
Die souveräne Leserin
 
aus dem Englischen von Ingo Herzke
 
© 2008 Wagenbach Salto im Verlag Klaus Wagenbach Berlin
 
Leinen, fadengeheftet, 115 Seiten
€ 14,90 (D), sFr 26,80, € 15,40 (A)
ISBN 978-3-8031-1254-5


Hörbuch:
Mittlerweile liegt "Die souveräne Leserin" auch als Hörbuch vor. Jürgen Thormann, der wohl wie kaum ein zweiter deutscher Schauspieler über den spröden "typisch britischen" Tonfall des "Upstairs" verfügt, vermittelt mit seiner Lesung des kleinen Romans akkurat die amüsante Atmosphäre, die Alan Bennett ihm mitgegeben hat. Nicht ohne Grund wird Thormann seit Jahren die Synchronisation u.a. der britischen Schauspieler Peter O´Toole ("Lawrence of Arabia", "The Lion in Winter") und Michael Caine ("Educating Rita", "Batman Begins") anvertraut. (bec)

Beispielbild

Alan Bennett
Die souveräne Leserin
Hörbuch

Gelesen von Jürgen Thormann

© 2008 Patmos Verlag

ISBN: 978-3-491-91288-5
3 CDs
160 Minuten
Format: 140 x 123 x 6 mm
19,95 € (D), 36,90 SFr (CH), 19,95 € (A)

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