„Inge laß den Arzt kommen, ich brauch Invasionen!“

Doktor Stratmann - "Machensichmafrei, bitte!"

von Frank Becker

Foto: Veranstalter
„Inge laß den Arzt kommen, ich brauch Invasionen!“ –
oder:
„Vor die Kür kommt die Pflicht“
 
Sprechstunde bei Doktor Stratmann –
„Machensichmafrei, bitte!“
 


Remscheid.
Am Schluß bekannte Dr. Ludger Stratmann, praktischer Arzt/Lacharzt für Gemeinheit, Fernsehgastwirt und Kohlenpott-Kabarettist mit Bottroper Wurzeln: „Ich bin ja zum ersten Mal in Remscheid und mich hamse gewarnt: die Remscheider gehen zum Lachen in den Keller. Stimmt aber nicht. Ihr wart ein wunderbares Publikum“. Das oft genug als Floskel benutzte Kompliment nahm man ihm hier aber gerne ab, denn der inklusive Vorparkett bis auf den letzten Platz besetzte Saal sah Lachtränen und hörte Jubelrufe am laufenden Band. Auf 12 Jahre Bühne schaut er mit Schmunzeln zurück: „Die einen sagen, ich hätte mich in der Zeit verändert, ich sei ein Arsch geworden. Andere meinen, ich hätte mich gar nicht verändert – ich sei ein Arsch geblieben.“
 
Quasselstrippe mit Substanz

Die gut zweieinhalb Stunden Programm mit Kleingarten-Präsident Jupp, Witzen, Wahrheiten, Wartezimmergesprächen, allen Malessen des Älterwerdens und einem Galopp durch die Geschichte des Schuhkaufens mit Ehefrau im Kabarett führten die von Lachkaskaden geschüttelten Gäste an die Grenze ihres Aufnahmevermögens. Selten hat man einen Kabarettisten erlebt, der über einen solchen, notabene intelligenten Redefluß verfügt. Da mußte auch der Rezensent die Waffen, sprich Block und Bleistift strecken und die Lachtränen wegwischen. So schnell wie Stratmann quasselt, kann beinahe niemand mithören, geschweige denn mitschreiben.

Erster Programmpunkt: die Pflicht, nämlich Jupp Stratmanns Jahresbilanz des Kleingartenvereins, voller grammatischer Höhepunkte, wie man sie nur im idyllischen Kohlenpott und speziell im bereits erwähnten Bottrop findet. Hier, zwischen den Parzellen ist auch der Mikrokosmos zu finden, in dem sich die Figuren des liebenswerten Solos bewegen. Hier ist das Wartezimmer, in dem Jupp seine Mitpatienten – natürlich kennt jeder jeden – auf neuestem Informationsstand hält und vor echte Probleme stellt: „Stell dich mal vor, du wartest ne Stunde und hast dann gar nix!“. Hier ist das Knappschaftskrankenhaus, mit dessen Intensivstation man sich vorsichtshalber schomma vertraut macht. Man hört ja so allerlei von Kabelbrand am Herzschrittmacher und Titanic-Hüften und Tinnitus und Exitus geraten dem Kassenpatienten leicht durcheinander. Hier trifft man sich auffen Friedhof, wennet dann auffe Intensiv auch nicht mehr gereicht hat. Hier schließlich hätte Bastian Sick („Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“) im Falle der Erschöpfung auftanken können. Denn was Dr. Stratmann auffe Pfanne hat, reicht für mehrere Komödianten und Programme.

Foto: Veranstalter
 
Kumpel und Gemütsmensch

Der beleibte Komiker, der mit heiterem Gemüt – zugegeben, es ist bisweilen das Gemüt eines Fleischerhundes – zum Kumpel für die Kerls im Saal wird, dessen Bekenntnis zum Alter und allen seiner nur denkbaren Beschwerden von Kreislauf über Prostata bis „Osteuropa-Peurose“ ihn zu einem von uns macht, hat merkbar Schlag besonders bei den Damen. Seine vordergründig „frauenfeindlichen“ Witze drehen den Spieß um und richten sich gegen die Männer: „Warum gibtet Männer? Weil ein Vibrator nicht den Müll runterbringt!“. Jubel. Und keiner kann so entspannt und urkomisch gynäkologische Witze machen und vom Pilz „inne Buxe von sein Inge“ erzählen.

Gesellschaftskritik gut verpackt

Dem Volk aufs Maul geschaut hat er und läßt das Volk reden. Das ist sympathisch. Stratmanns eloquenter Verbal-MG-Rundschlag gegen MTV-, VIVA-, Handy-, Hängehosen-, Verweigerungs- und Bildungsfeindlichkeit-Jugendkultur ließ mit seinem schier unglaublichen Tempo und seinem erschütternden Wahrheitsgehalt den Saal erbeben. Bittere Kritik an einer Gesellschaft, die solche Auswüchse nicht nur duldet, sondern auch noch fördert. Da leuchtet die Erkenntnis ein, daß Alzheimer eine natürliche Schutzfunktion gegen die neue Jugend ist. Auch „dat Bussi-Bussi-Machen“ geht ihm „unheimlich auffen Sack“ – „Früher haste ne Hand gegeben und fertich!“. „Und beim Sozialamt gibbet jetz Spätaufsteher-Sprechstunden“. Na Mahlzeit. Bei Dr. Stratmann, einem Meister der weiten Bögen, bekommen die Leute was für ihr Geld – und die Remscheider Gäste dankten es mit Ovationen.

Informationen über Dr. Stratmann unter:
www.doktor-stratmann.de