Sprachlos komisch (8)
Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -
Der Franzose Jean-Jacques Sempé (*1932), einer der besten unter den großen Cartoonisten, hat ein so umfangreiches Œuvre geschaffen, daß man mit Recht auch wortlose Bildergeschichten darin vermuten darf. Und in der Tat wird man rasch fündig, ohne allerdings eine durchgängige Comic-Figur zu entdecken, also ein Sempé-Original, das uns mit seinen Erlebnissen erfreut.
Aber die in Comic-Strips handelnden Personen sind natürlich Sempé-Typen: reizende Kinder, die mit
Das bißchen Glück
Wir alle sind auf der Suche nach dem "bißchen Glück", wir alle plagen uns mit kleinen
Der kleine Junge, der seinen Vater mit der Spielzeugpistole an den Kopf geschossen hat und daraufhin geohrfeigt wird, beschwört ein Familiendrama herauf. Die Mutter ergreift die Partei des Vaters und Ehemannes und haut ihrerseits dem Kleinen eine herunter. Der ruft die im selben Haus wohnenden Großeltern zu Hilfe - mit Erfolg. Die hinzu kommenden weiteren Großeltern greifen in den heftigen Streit ein und brüllen und keifen, bis die Mutter plötzlich weint. Betroffenheit und Besinnung bei allen Erwachsenen. Herzliches Einvernehmen wird hergestellt und soll mit einer Flasche Sekt gefeiert werden. Der kleine Übeltäter betritt das Zimmer - was für ein liebes Kerlchen! Da, wieder schießt er mit seinem Spielzeug auf den Vater und trifft ihn. Ende! 22 Zeichnungen - ein familiärer Vorfall, wie er zu passieren pflegt, treffend ins Bild gesetzt.
Oder eine Geschichte, die nur wenigen Menschen widerfährt. Ein schiffbrüchiges Ehepaar auf einer einsamen Insel gerät in Streit. Sie schnürt ihr Bündel und läuft davon. Er grinst und setzt sich zum
Oder: Drei Bilder zum Ende einer Ehe. Man blickt auf ein Fenster und sieht Gegenstände durch die Luft fliegen - Ehestreit. 2. Bild: Sie stürmt mit Gepäck aus dem Haus. 3. Bild: Blick auf ein Fenster, ein Sektkorken fliegt.
Mir gefällt am besten die stille Herbstgeschichte, die fast ohne Menschen auskommt. Am Baum hängt ein letztes Blatt. Es löst sich vom Ast und trudelt herab. Schwebt über die Mauer in den Garten des Nachbarn. Nicht schlimm, aber doch eine Störung! Eine Hand wirft das Blatt zurück auf das
Sempé praktiziert einen einfachen und offenen Stil. Alles sieht so aus, als sei es spontan mit leichter Hand hingeworfen. Stimmt nicht! Er selbst berichtet:
Loriot
Eine Erfolgsstory stellt auch das Leben des 1923 als Vicco von Bülow geborenen Loriot dar (das
Ich meine, daß kein deutscher Humorist nach Wilhelm Busch den Menschen so viel Vergnügen bereitet hat wie Loriot. Die Medien Film und Fernsehen haben den Erfolg gefördert. Loriots Wirkung beruht auf der Fülle seiner Arbeiten und der Vielfalt seiner künstlerischen Leistungen. Komiker und Komödiant, Karikaturist und Entertainer - viele Berufsbezeichnungen lassen sich diesem Multi-Talent anheften. Er ist unvergleichlich, dem großen Sempe als Zeichner aber keineswegs ebenbürtig.
Loriot hat auch Bildergeschichten produziert, sich aber auf keine Comic-Figur festgelegt, sehen wir einmal von der im "Sternchen" veröffentlichten Serie "Reinhold das Nashorn" ab. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß in seinen Zeichnungen alle Menschen mit dicker Knollennase und langer vorgestülpter Oberlippe ausgestattet sind und im ganzen eine eher dümmliche Spezies bilden.
Von Hunden und Menschen
Das prädestiniert sie zum Beispiel auch, von großen Hunden liebevoll und zugleich besorgt als
Manche Bildergeschichten Loriots, die auf Sprechblasen zu verzichten pflegen, kennen weder Titel noch Textleiste, führen aber mit einem erläutern den Satz in die Handlung ein. Sprachlich befleißigt sich Loriot bewußt eines altmodisch steifen Stils, einer Mischung aus unpersönlichem Amtsdeutsch, umständlicher Lehrbuchdiktion und ironischer Anspielung.
Beispiel: Ein Nashorn verschluckt eine aufdringliche Zoo-Besucherin, spuckt sie aber - offenbar unzufrieden mit der Qualität des vermuteten Leckerbissens - wieder aus. Einleitender Kommentar: "Erfahrene Zoologen bestätigen die Annahme, daß gerade plumpe Tiere häufig die feinsten Zungen besitzen."
Weitere Beispiele für eine Geschichte - ganz ohne Worte: Einige behütete Herren werden ihrer Kopfbedeckung durch einen Windstoß beraubt. Alle - bis auf einen - setzen sich in Trab, um die Hüte zurückzuholen. Einer bleibt auf seinem Platz und sieht den Laufenden nach. Sehr weise! Denn der Wind fegt die Bowler zurück, und er muß den Hut nur noch aufheben...
F.K. Waechter
Friedrich Karl Waechter (1937-2005), hat sich ebenfalls in vielen Bereichen betätigt und ist doch primär als Zeichner ein Künstler von hohen Graden. Er schrieb Kinderbücher, verfaßte zusammen mit Robert Gernhardt Drehbücher und produzierte ab 1974 zahlreiche Filme und Theaterstücke.
Sein lockerer und sicherer Strich, die in ihrem Verlauf nur angedeutete Linie, das skizzenhaft Gelungene im Verbund mit Einfallsreichtum, Temperament und Treffsicherheit im Ausdruck weisen ihn als Meister aus und lassen einige Entgleisungen in der Wortwahl oder den Einsatz bewußt stümperhafter Bilder als verzeihliche "Ausrutscher" erscheinen.
Waechter hat uns keine Comic-Figur geschenkt, die wir auf ihren Reisen durch Bildfolgen begleiten dürfen. Aber er hat Comics gezeichnet, die zum Teil ganz auf das Wort verzichten und großartig sind. Beispielsweise die Bildergeschichte "Sommerwind", bei der Sempé Pate gestanden haben mag.
Eine Dame möchte sich am Strand im Schutz des Bademantels ihrer Unterwäsche entledigen und den Badeanzug anlegen - ein schwieriges Unterfangen bei Wind. Wie aus der Schamvollen die Hemmungslose wird, wie die keuschen Aktionen des Aus- und Ankleidens umschlagen in skrupellose Enthüllung - das ist einfach "Klasse".
Oder die gleichfalls stumme Geschichte "Besuch": Ein fettleibiger Mann hält in seinem Sessel ein Nickerchen. Die Tür öffnet sich, ein wohl im Straßenkampf erfahrender Schläger mit Helm und Schild tritt ein, schleicht sich heran und ... und tut, was er muß. Schlagen! Bei den Bildergeschichten mit Worten (Sprechblasen, Erläuterungen, Verse) zeigt Waechter, daß er mit der Sprache umgehen kann und über Wortwitz verfügt. Dabei scheut er weder Jargon noch Derbheit im Ausdruck. Die gutbürgerlichen Gefühle von Sitte und Anstand werden bewusst verletzt; der sexuelle Bereich wird meist sehr direkt und auch unverblümt ordinär angesprochen. Daß die Bilder vielfach beste Griffelkunst dokumentieren, versöhnt mit gelegentlichen Geschmacklosigkeiten.
In manchen seiner Cartoons sind blendende Einfälle treffend notiert, beispielsweise: Ein mickeriges Hähnchen fliegt mühsam über das Land. Auf seinem Rücken steht eine unförmig dicke Henne.
Unterschrift: "Denk immer daran, daß ich dich unter Schmerzen geboren habe."
Literaturempfehlungen:
Sempé - "Wie sag ich´s meinen Kindern?" - 1960 Diogenes Verlag Zürich
Sempé - "Alles wird komplizierter" - 1974 Diogenes Verlag Zürich Sempé - "Nichts ist einfach" - 1968 Diogenes Verlag Zürich Sempé - "Emil ich hab Schiss!" - 1964 Diogenes Verlag Zürich Loriot - "Möpse & Menschen" - 1983 Diogenes Verlag Zürich Loriot - "Auf den Hund gekommen" - 1954 Diogenes Verlag Zürich F.K. Waechter - "Nur nicht den Kopf hängen lassen!" - 1983 Diogenes Verlag Zürich © Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009 Folgen Sie nächsten Sonntag weiter dem Vater der Geschichten von "Julle und Vatz" bei seinen Betrachtungen über Bildergeschichten, Comics und Cartoons.
Redaktion: Frank Becker |