Wann, bitte, geht das nächste Kamel?

Borodins "Fürst Igor" am Essener Aalto

von Peter Bilsing
Wann, bitte, geht das nächste Kamel?
 
Nur schwer zu ertragende weil ernst gemeinte "Opernparodie" von Borodins Fragmentoper „Fürst Igor“ am Essener Aalto
 
Musikalische Leitung: Volker Perplies - Regie: Noam Zur - Bühne: Alexander Orlov - Kostüme: Kristine Pasternaka
Besetzung: Fürst Igor Swjatoslawitsch: Almas SvilpaJaroslawna: Danielle Halbwachs - Wladimir Igorewitsch:   Rainer Maria Röhr - Wladimir Jaroslawitsch: Heiko TrinsingerKontschak: Ks. Marcel Rosca Kontschakowna: Leva PrudnikovaiteSkula: Michael HaagJeroschka: Albrecht Kludszuweit - Viktor Sawaley: Günter KieferAmme: Sabina Wehlte - Polowezer Mädchen: Francisca Devos


Take my hand, I’m a stranger in paradise
All lost in a wonderland - A stranger in paradise
If I stand starry-eyed - That's the danger in paradise
For mortals who stand beside an angel like you...
(Borodin: Polowetzer Tänze Text: Wright/Forrest aus dem Musical „Kismet“)
 
Es gibt eine wunderbare Melodie, welche dem Leitthema der "Polowetzer Tänze" von Alexander

Wann, bitte, geht das nächste Kamel? Foto: Aalto-Theater
Borodin (1833-1887) entnommen ist; ein unvergeßlicher Ohrwurm, der eigentlich durch das Musical „Kismet“ (1953) erst international bekannt wurde:
"Stranger in Paradise". Noch berühmter wurde die Schlager-Fassung von Tony Bennett, der das Stück 1955 zum Welthit machte und alle Hitparaden stürmte. Frank Sinatra, Ray Conniff, Wes Montgomery, George Shearing, Curtis Counce, Isaac Hayes und Diana Ross mit den Supremes waren weitere Hitgänger diese herrlichen Ohrwurms zum Mitsummen – wahrlich eine Weltmelodie. Doch ursprünglich stammt sie aus der unvollendet gebliebenen Oper „Fürst Igor“ von Alexander Borodin.
 
Wie es zu dieser Oper kam, warum sie nie fertig wurde und was nach dem Tod des Komponisten geschah

Ein altes Gedicht mit dem Titel „Das Lied es Igor“ aus dem 12. Jahrhundert hatte den Komponisten Borodin zum Schreiben seiner Oper motiviert. Anfangs sah er noch breite, epische Themen, neben nationalen Elementen und einer großen Vielfalt handelnder Personen mit Leidenschaft, Dramatik und der ganzen Farbenpracht des Orients. Doch schon nach kurzer Zeit bemerkte er selbstkritisch, daß seine Bearbeitung des Bühnengeschehens an Dramatik deutlich zu wünschen übrig ließ. Auch erkannte er, daß seine Arbeit als hochangesehener Chemieprofessor und Arzt sich nur schwer mit der eines großen Komponisten vereinbaren ließ. Da er sich dem intensiven Komponieren nur während vorübergehender Krankheitszeiten widmen konnte, ging die Arbeit nur spärlich bis mangelhaft voran. Borodin war ein hin- und hergerissener Mann, schließlich in der Endphase seines über 20-jährigen Wirkens an der Komposition verstarb er. Die Oper blieb unvollendet.

Lustig ist das Kosakenleheben, fahria, fahria buh! Foto: Aalto-Theater
 
Posthum machten sich seine Freunde Rimski-Korsakow und der junge Alexander Glasunow daran, eine Uraufführungsversion der Oper zu erstellen. Insbesondere erklärte sich Glasunow bereit, die Ouvertüre und den dritten Akt aus den Skizzen Borodins sowie aus den eigenen Erinnerungen an die Klaviervorträge des Komponisten wiederherzustellen. Insgesamt haben Rimski-Korsakow und Glasunow schätzungsweise mindesten 20 Prozent der endgültigen Fassung komponiert. Mit zweifelhaftem Ergebnis bei Betrachtung des Gesamtwerkes von schließlich über vier Stunden.
 
Das große Problem der Oper ist auch heute noch, daß die genau Reihenfolge der Szenen und der Akte unbekannt und ebenfalls das Libretto unvollendet geblieben ist. Genau so wenig wissen wir nicht, wie seine Geschichte eigentlich gedacht war. Eine vernünftige Quellenlage gibt es bis nicht. „Fürst Igor“ ist also ein Operntorso mit mehr als fragmentarischem Charakter, mehr historisches Fresko als spannendes Musiktheater; Allenfalls konzertant sinnvoll, was praktisch die wenigen Aufführungen, die es im letzten Jahrhundert gab, auch bewiesen.
 
Was bei einer Igo-Inszenierung schiefgehen kann, warum man keine Schlaftabletten mehr braucht und warum dem Kritiker Otto Schenk einfällt

In der Essener Fassung wurde nun soviel wie möglich der originalen Borodin-Musik genutzt, und auf die Ergänzungen von Korsakow und Glasunow (noch das Beste an der ganzen Oper - wie Zyniker

...immer noch lustig - Foto: Aalto-Theater
unken!) weitestgehend verzichtet. Darüber hinaus hat man aus den vier Akten drei gemacht, so daß eine Spieldauer mit Pause von 2,5 Stunden dabei heraussprang.
 
2,5 Stunden zuviel der Ehre! 2,5 Stunden, die unter dem einschläfernden Dirigat von Noam Zur wie fünf wirkten. Lähmende Lethargie statt Kosakenfeuer. Langweilige Musik, mit der Dramatik einer Drehorgel. Uninteressanter und uninspirierter wurde Borodin selten gespielt - selbst die legendären, auch noch gekürzten "Polowetzer Tänze", deren Erwartung uns wach und über die Runden hielt, hatten die Dynamik einer dahin schleichenden Kamel-Karawane im Sandsturm.
 
Der Oper den Rest gab allerdings das unbeholfene Regiekonzept des jungen lettischen Arrangeurs Andrejy Zagars, dem man den Charakter einer Opernparodie auf Produktionen des Nachkriegs-Bolschoi unterstellen möchte - aber leider war es bitter ernst gemeint. Stereotype Sängergestik, unbeholfenes Rumstehen, schablonenhafte Gestik in einem dermaßen konventionelles Rampentheater-Stil, daß dagegen die 698. Tosca-Version der Wiener Staatsoper nur als allerlebendigstes Musiktheater bezeichnet werden muß. Der Sarkast würde sagen, daß hier Otti Schenks Tosca auf dem Trampolin" unfreiwillig Pate gestanden haben könnte. Diese sogenannte "Inszenierung" spottet jeder Beschreibung. Über die 4 Meter hohen fahrbaren Kamele (Bühne: Alexander Orlov), den Dauerschneefall, die gigantischen Faber-Castell-Stifte und die Wahnsinnsorgie im Bottich, sage ich nichts ohne meinen Anwalt!
 
Was an der Essener Aufführung schön war, wieso Laientanz nicht auf eine große Bühne gehört und was der Rezensent empfiehlt


Die bunten Kostüme von Kristine Pasternaka waren schön und hatten historischen Authentizitäts-

Auf in den K(r)ampf! - Foto: Aalto-Theater
Charakter und schließlich ist auch das Licht von Jürgen Nase, im dräuenden Nebel bedrückender Waberlohe eines 60er Jahre Edgar-Wallace-Schinkens, immerhin beeindruckend.
 Bei den Sängern konnte mich nur die Damen stimmlich überzeugen: Danielle Halbwachs (Igors Frau) und leva Prudnikovaite (Khans Tochter) - letztere eine Stimme, die man im Auge behalten sollte. Bei den anderen muß es heißen „Schwamm drüber“ und schnell vergessen. „Lippen schweigen...“ Kleines Lob noch für Chor und Extra-Chor, den Alexander Eberle noch recht passabel eingestimmt hatte.
 Zur „Choreographie“ von Elita Bukovska, falls man das Wort hier überhaupt verwenden darf, fehlen mir als altem Ballettkritiker weiterhin alle Worte. Nichts gegen Laien auf der Bühne - die fleißigen Schülerinnen des Fachbereichs Tanz am Gymnasium Essen-Werden waren schuldlos, sie gaben ihr Bestes, aber……. Hier bricht mir die Schreibfeder!
 
Wenn Sie unbedingt die Fürst-Igor-Musik hören wollen, dann kaufen Sie sich die Broadway-CD des Musicals „Kismet“ mit Julia Migenes, Samuel Ramey, Jerry Hadley und dem London Symphony Orchestra. Das Essener Original bereitet wenig Freude.

Premiere am 31. Januar 2009 - Weitere Informationen unter: www.theater-essen.de