Frankfurts Stardirigenten

Ein Buch von Hilmar Hoffmann - gelesen

von Dorothea Renckhoff
Stockender Atem und geknackte Tabus
 
Sein kulturpolitischer Enthusiasmus hat ihn laut eigenem Bekenntnis nie verlassen: Hilmar Hoffmann hat als Kulturdezernent in Oberhausen, Kulturstadtrat in Frankfurt, Leiter der Stiftung Lesen und Präsident der Goethe-Institute unermüdlich und erfolgreich für den selbst formulierten Schlachtruf ‚Kultur für alle!’ gekämpft. Er ist ein Visionär, der es immer wieder verstanden hat, seine Visionen mit den Materialien der Realität nachzubauen – so erfand er die Oberhausener Kurzfilmtage und verwirklichte in Frankfurt u. a. seine Idee vom kommunalen Kino, den Wiederaufbau der Alten Oper und das Museumsufer. Daß seine besondere Liebe der Oper gehört, hat sich jetzt in einer neuen Veröffentlichung aus seiner Feder unter dem Titel ‚Frankfurts Stardirigenten’ niedergeschlagen.

‚Erinnerungen’ heißt es im Untertitel, und tatsächlich hat Hoffmann alle Sieben, die er hier porträtiert, persönlich und gut gekannt; doch der Leser stellt bald fest, daß dieses Buch mehr ist als eine Sammlung von Biographien und persönlichen Eindrücken.
Das erklärte Ziel des Unternehmens liegt darin, die Verluste von Erinnerungswerten (…) möglichst gering zu halten.’ Hoffmann verweist im Vorwort auf den transitorischen Charakter von musikalischem Klang und Theateraufführung, zumal nur ausgewählte und durch große Namen vermarktbare Produktionen auf Bild- und Tonträgern festgehalten werden. Und er rechnet vor - von 448 Musiktheater- und 31 konzertanten Opernproduktionen der Frankfurter Bühnen seit 1945 haben kaum mehr als 5 Prozent auf Platten, CDs oder DVDs überdauert.

Zumindest dokumentieren will er das während dieser 63 Jahre Geleistete einerseits‚damit die Oper Frankfurt selber ihre Geschichte nicht vergißt, zum anderen, um das Interesse an der Oper überhaupt wachzuhalten, das er gerade bei jungen Leuten im Schwinden begriffen sieht - Folge eines ignoranten Schulsystems (…), das musische Bildung und ästhetisches Lernen offenbar für nutzlos und Musik- und Kunstunterricht als vermeintliche Orchideenfächer für entbehrlich hält’. Klare Worte, wie der engagierte Kulturpolitiker sie auch in diesem Buch immer wieder findet.

Hoffmann beginnt mit einem gedrängten geschichtlichen Abriß der Entwicklung des Genres Oper als Widerspiegelung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, erteilt aber oberflächlicher soziologischer Kunstbetrachtung eine entschiedene Absage. In einem zweiten Kapitel zeigt er den theatralischen Neubeginn in Frankfurt nach 1945 als atemberaubenden Zickzackkurs zwischen drohendem Theatertod und Wiederaufbau – spannende Ausgangssituation für das erste Portrait, das mit Harry Buckwitz keinem Star des Taktstocks gewidmet ist, wohl aber dem ‚Dirigent(en) allen Anfangs, der als Generalintendant von Oper und Schauspiel auch dem Musiktheater seinen prägenden Stempel aufdrückte und mit Georg Solti den ersten jener Weltklassedirigenten nach Frankfurt holte, von denen das Buch erzählt.

Nach Solti sind dies Christoph von Dohnányi, Michael Gielen, Gary Bertini, Sylvain Cambreling und Paolo Carignani, die auch in Interviews und selbstverfaßten Texten vorgestellt werden. Da Hoffmann seinen sachlichen Bericht vielfach ironisch bricht oder auch mit Anekdotischem und Momentaufnahmen am Rande würzt, entsteht eine hoch geglückte Synthese zwischen objektiver Quellenauswertung und persönlichem Erinnern. Wo auch immer der Leser den reich bebilderten Band aufschlägt, findet er sich sofort gefesselt, was einerseits der brillanten Erzählweise, andererseits der Dramatik der Frankfurter Theatergeschichte geschuldet ist. Man fühlt sich an Karl Theodor von Küstner erinnert, der während seiner Leitung der Berliner Königlichen Bühnen laut eigener Aussage mit allen der drei Alpträume eines Theaterdirektors zu tun hatte: Krieg, Brand und Cholera.

Hoffmann kann allein aus seiner Zeit als Frankfurter Kulturstadtrat zwar nicht von Krieg, wohl aber von äußerst ernst zu nehmenden Bombendrohungen sowie von Brand und Wiederaufbau des Opernhauses berichten. Hinzu kommen spannungsreiche und oft hochexplosive Querelen und Kompetenzstreitigkeiten – ungemein komplizierte Vorgänge, die der Autor in erstaunlich knapper Form transparent macht, wobei er gleichzeitig häufig auch noch die absurde Komik der Situation zu beleuchten weiß. Ein weiteres Verdienst liegt in seinem weitestgehend erfolgreichen Bemühen, den Portraitierten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Mag man auch Hoffmanns besondere Sympathie etwa für Dohnányi und Gielen zu spüren glauben, mit denen an der Frankfurter Oper die Arbeit von Regisseuren begann, ‚die bereit und in der Lage waren, resistente Tabus zu knacken’, so stellt er doch jene Dirigenten ebenso facettenreich als große Künstlerpersönlichkeiten dar, die Musiktheater nicht unbedingt  in gesellschaftlichen Zusammenhängen sehen; über Fälle von horrendem Gagenpoker oder Scheitern als Theaterleiter wird berichtet, aber nicht moralisch geurteilt. Vielleicht auch deshalb, weil mit diesem Autor nicht nur ein Kulturpolitiker zurückblickt, sondern ein Opernliebhaber, der  sich mit Begeisterung und wohl auch Dank zurückerinnert an die Augenblicke, in denen es diesen Musikern ‚mit ihrer Magie gelang, für Sekunden unseren Atem stocken zu lassen.’ Auch hierdurch wird das Buch zu einem Genuss für Musik- und Theaterfreunde – nicht nur aus Frankfurt.
Der Anhang bietet eine Tabelle mit sämtlichen Premieren der Frankfurter Oper und deren Leitungsteam seit 1945 (zusammengestellt von Ursula Ellenberger) - und damit Gelegenheit zum Nachdenken über die Vorliebe für bestimmte immer wiederkehrende Werke und das Fehlen von anderen. So wurde seit 1945 auch in Frankfurt – wie vielerorts – Adolf Hitlers Lieblingsoperette ‚Die lustige Witwe’ dreimal neuinszeniert, zweimal unter der musikalischen Leitung des jeweiligen GMDs, während der von den Nazis verfemte und vertriebene Oscar Straus nur einmal (und erst 2003) mit seinem ‚Walzertraum’ vertreten ist, und zwar ohne Betreuung des Generalmusikdirektors.
Weiters finden sich im Anhang eine Aufstellung des Führungspersonals der Städt. Bühnen seit 1945, ein Überblick über die musikalischen Institute von Frankfurt, ausführliches Literaturverzeichnis, Werk- und Personenregister.
 
 
Hilmar Hoffmann
Frankfurts Stardirigenten
 © 2008 Societäts-Verlag Frankfurt/M.
 341 Seiten, viele Abbildungen
Gebunden mit Schutzumschlag,
19.90 €
Weitere Informationen unter:
www.societaets-verlag.de 

Redaktion: Frank Becker