Hochspannung aus dem Orchestergraben

Ruth Berghaus´ Zürcher "Freischütz"-Inszenierung

von Peter Bilsing
Oper aus der ersten Reihe
 
Die Firma ARTHAUS wird langsam für Opernliebhaber unentbehrlich. Allmählich vervollständigt sich das Angebot interessanter Opernproduktionen des letzten halben Jahrhunderts, soweit irgendwann je aufgezeichnet. Da spannt sich der historische Bogen großer Regisseure schon vom Felsenstein der 50er bis hin zu unbekannteren, aber wirklich sensationellen Produktionen, wie der „Manon“ mit Astrid Weber vom Regisseur Ansgar Weigner aus Chemnitz 2007. DVD sei dank! Große Oper für kleines Geld – und mit DTS-Ton über eine gute Anlage ist es, als säße man immer in der ersten Reihe.
 
Niemand kommt dabei natürlich an Ruth Berghaus vorbei. In Dresden 1927geboren, studierte sie zunächst Ausdruckstanz und Tanzregie bei Gret Palucca. Prägend für ihre Arbeit wurde 1952 die Begegnung mit Bertold Brecht und seiner Theaterarbeit in Berlin. Paul Dessaus „Lukullus“ war nach Jahren der Tanzregie eine ihrer ersten und wichtigsten Opernproduktionen. 1954 heiratete sie den Komponisten. Die meisten Inszenierungen realisierte die Berghaus an der Staatsoper unter den Linden. Weltruhm allerdings ernteten erst ihre Arbeiten in der Frankfurter Zeit (80-87) unter Michael Gielen. Herausragend und bahnbrechend, wenn auch nicht jedermanns Geschmack, waren die „Trojaner“, „Parsifal“, Wagners „Ring“ und ihr legendärer „Rosenkavalier“. (Da gibt es noch viel zu entdecken für ARTHAUS.) Es folgten internationale Produktionen an den großen Häusern Europas. Dieser „Freischütz“ von 1994 (dokumentiert in der Wiederaufnahme von 1999) gehörte zu ihren letzten Werken. Die stets umstrittene und vieldiskutierte „Grand Dame der Opernregie“ starb 1996.
 
Diese DVD ist eine exemplarische Dokumentation ihrer Arbeit. Schade, daß man auf Extras verzichtet hat; kapazitätsmäßig wäre Platz genug auf einer der beiden DVDs gewesen. Na vielleicht gibt es demnächst einen Berghaus-Zyklus mit ihren besten Arbeiten – lohnenswert wäre dies Unterfangen auf jeden Fall.
Über die Inszenierung ist genug geschrieben worden, viel Kontroverses, aber auch Zustimmung. Wenn ich diese Produktion nun heute fast 15 Jahre später betrachte, dann geht es mir nicht, wie beim „Ring“ von Chereau, der einfach von Jahr zu Jahr – wie ein alter Wein – besser wird. Im Gegenteil, vieles hat doch ein beängstigendes Maß an Stehtheater und die Agitprop Manierismen (lange Mäntel, Hüte, gleichgekleidete Masse Mensch) langweilen mehr, als sie provozieren. Vielleicht haben wir das einfach allzu oft durchlitten. Es fehlt der hintergründige Witz und Humor eines Achim Freyer oder der von Loriot. Naturalismus mit Blümchen hat keiner erwartet und so zeigt das Bühnenbild von Hartmut Meyer selbstredend keinen Wald, weder Baum, noch Busch, sondern nur Abstraktes; schräge Wände, Rampen und Ausschachtungen. Alles wirkt sehr deprimierend düster und klaustrophobisch. Sehr gelungen allerdings die Wolfsschluchtszene mit ihren zappelnden und schleichenden Lemuren – da blitzt sie nochmal auf, die große Meisterin des Ausdruckstanzes. Eine der besten Wolfsschluchtszenen, die man je sah. Das ändert nichts an der Tatsache, daß die Berghaus hier ein Stück emotionsloses Theater zeigt, dem jegliche Spannung fehlt und das besonders gegen Ende und aufgrund der affektierten Sprechweise nur noch langweilt. Richtig spannendes Musiktheater sieht anders aus.
 
Absolute Hochspannung dagegen aus dem Orchestergraben. Was Nikolaus Harnoncourt mit dem (für mich weltbesten!) Zürcher Opernorchester aus dem Graben zaubert ist ungeheuerlich. Zelebriert er in der Ouvertüre noch praktisch jede Note bis zum Bersten, so erleben wir die Wolfsschluchtszene geradezu als orchestrales Höllenfeuer – selten zuvor hat jemand den Geist Weberscher Musik je deutlicher und unter die Haut gehender ausgelotet. Das macht sich auch bei der Arbeit mit den Sängern bemerkbar. Peter Seiffert singt den Max seines Lebens mit etwas reiferer Lyrik als früher, aber mit einem dramatischen Impetus von schon vorweggenommnen Wagner-Dimensionen. Matti Salminen als Kaspar ist von unfaßlicher Schwärze und sonorer Tiefe. Allein für ihn und seine alles durchdringende Stimme und darstellerische Brillanz lohnt sich der Kauf dieser DVD. Ebenfalls sensationell ist das Ännchen von Malin Hartelius. Da steht Inga Nielsen, der die Rolle der Agathe nicht unbedingt auf den Leib geschrieben ist – trotz furiosem Zwischenbeifall – leider für meine Ohren etwas hintan.
 
Die anderen im Prinzip guten Musiktheaterdarsteller, leiden sichtbar unter der steifen Regie und den Sprachmanierismen. Der Chor singt tadellos, doch wenn man gegen die Wand singen muß, klingt es manchmal eben nicht so doll.
Problematisch ist stellenweise noch die konservative Aufnahmetechnik des Abfilmens ohne eigene Perspektiven zu setzen; Dinge die in späteren Aufnahmen aus der Zürcher Oper, die es mittlerweile ja mannigfach gibt, korrigiert wurden. Leider ließ sich bei mir bei auf der zweiten DVD der DTS-Ton nicht einschalten – seltsam.
Musikalisch der spannendste „Freischütz“, den es seit langem gab. Szenisch eine gute Dokumentation der Opern-Arbeit der großen Regisseurin Ruth Berghaus.
Beispielbild


Karl Maria von Weber
Der Freischütz

Interpreten:
Agathe - Inga Nielsen
Ännchen - Malin Hartelius
Kaspar - Matti Salminen
Max - Peter Seiffert
Eremit - Lázló Polgár
Chor und Orchester des Opernhauses Zürich
Leitung: Nikolaus Harnoncourt

Aufnahme:
Live aus der Zürcher Oper
 
·  Regisseurin: Ruth Berghaus
·  Format: Box-Set, PAL
·  Sprache: Deutsch
·  Untertitel: Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Chinesisch
·  Bildseitenformat: 16:9
·  Anzahl Disks: 2
·  FSK: Freigegeben ab 6 Jahren
·  Studio: ARTHAUS Musik
·  DVD-Erscheinungstermin: 15. Januar 2009
·  Produktionsjahr: 1999
·  Spieldauer: 159 Minuten
·   DTS-Ton