Exlibris

Eine kurze Geschichte einer "kleinen" Leidenschaft

von Frank Becker
Exlibris -
eine kleine Leidenschaft
 

Wenn man es ganz kurz und knapp haben will, schlägt man Harenbergs Kompaktlexikon auf und liest: "Exlibris - Auf die Innenseite des Buchdeckels geklebtes, druckgraphisch gestaltetes Zeichen des Buchbesitzes. Blüte: 16.-18. Jh. sowie Beginn des 20. Jh. Bekann­te dt. E.-Künstler: A. Dürer, Emil Orlik, H. Vogeler." Mehr nicht. Dazu drei kleine Abbildungen. Die aber machen beim näheren Betrachten neugierig, denn sie sind hübsch anzusehen und offensichtlich gibt es davon mehr. Und wenn man sich erst einmal mit der Materie zu beschäftigen beginnt, tut sich eine wundervolle Welt jen­seits besagten Buchdeckels auf, ein ganzes Universum kleiner Kunstwerke.

Denn klein sind diese Graphiken zwangsläufig, begrenzt doch das übliche Buchformat ihre Ausmaße.
 
Angefangen hat es ausnahmsweise mal nicht bei Adam und Eva (wenn  es auch mitunter dorthin führt), sondern mit der Erfindung des Buchdrucks mittels beweglicher Lettern durch Johannes Gutenberg um 1450. Das fortan höhere und später erschwinglichere Aufkom­men an Büchern ermöglichte reichlicheren Buchbesitz bei Biblio­theken und Privatleuten, wo zuvor fast ausschließlich Klöster und Fürstenhöfe über größere Sammlungen verfügten. Das Bestreben, diesen Besitz zu bezeichnen und das Eigentum vor Verlust und Ver­schleppung zu sichern, ließ sich nur durch individuelle Kennzeich­nung der gehüteten Bände erreichen.
Ein handschriftlicher Namenszug auf Innendeckel oder Vorsatz ist ein Weg, ein Stempel ein weiterer - auf einen weit besseren kamen die kunstsinnigen Bucheigner schnell: man konnte einen Künstler beauftragen, eine auf den Auftraggeber zugeschnittene Graphik zu entwerfen, die neben dem gewünschten Motiv die latei­nischen Worte "Ex Libris" (aus den Büchern) - denn lateinisch war die literarische Sprache der gebildeten Stände und natürlich des Klerus bis zum 17. Jahrhundert - und den Namen des Biblio­theksbesitzers zeigte. Heute wird mitunter, aber selten die For­mulierung „Mein Buch", „Dies Buch gehört“ oder ähnlich benutzt.

 
Waren es erst noch in Serie hergestellte Originalzeichnungen oder -aquarelle, wurden es bald Holzschnitte und Kupferstiche. Diese ließen sich in größerer Zahl reproduzieren und auf klein­formatige Blätter abgezogen in Bücher heften, um das Bucheigentum zu dokumentieren. Das "Ex Libris" war geschaffen und sollte fort und fort Nachkommen zeugen, denn hier war eine Entwicklung ange­stoßen worden, die sich fortsetzen und ausbreiten würde, solange es Bücher gibt. Da die CD-ROM das Buch noch lange nicht ver­drängt hat, und es gewiß auch nie schaffen wird, besteht Hoffnung auf eine bunte Zukunft des Exlibris, das man etwa um die Jahrhundertwende substantiviert hat und seit­dem als Begriff zusammenschreibt.
 
Was das Exlibris so besonders interessant macht, ist die uner­schöpfliche Fülle der Möglichkeiten es zu gestalten. Es gibt keinerlei Grenzen für die Vielfalt der Darstellungen, Motive, Symbole und Ideen. Der beauftragte Künstler wählt Motiv, Schrift und Technik in freier Entscheidung oder nach dem

Illustration: Felix Valloton
Wunsch des Auf­traggebers und fügt die Elemente sinnvoll und effektiv zusammen. Das Ergebnis soll eine Aussage über den Besitzer machen. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll und offensichtlich attraktiv für nahe­zu jeden Künstler. Liest man die Namen von Exlibris-Schaffenden in den Verzeichnissen der Fachliteratur, findet man neben Unbekann­ten die Größten: Albrecht Dürer hat Exlibris ebenso gestaltet wie Marcus Behmer oder Lucas Cranach, Franz Marc findet sich neben Lovis Corinth und Walter Leistikow, Max Slevogt und Max Lieber­mann, Heinrich Vogeler und Otto Ubbelohde haben Exlibris gestal­tet, Alfred Kubin, Daniel Chodowiecki, Franz Stassen und Emil Preetorius taten es ebenfalls. Picasso, Cocteau und Valloton werden auch gerühmt. Man könnte fortfahren, denn die Namen sind Legion. Neben den großen deutschen betätigen sich im Besonderen hervorragende tschechische, polnische, baltische, skandinavische, französische und belgische Künstler auf diesem weiten Feld.

Was aber stellt man auf solch kleinformatigen Bucheignerzeichen - selten wird das Maß von 10 x 15
 
cm überschritten, meist sind
sie kleiner - dar? Nach dem verhältnismäßig nüchternen, wenn auch künstlerisch hochwertigen Beginn im 15./16. Jahrhundert, in denen vornehmlich klerikale Motive, Wappen und heraldische Sujets nebst besitzanzeigenden Texten gestochen wurden und der heute erhei­ternden Variante des Bücherfluchs, in dem der Dieb oder säumige Entleiher mit den übelsten Folgen seiner Missetat konfrontiert wird (aus dem Lateinischen übersetzt: "Wer dies Buch wegträgt, soll es mit dem Tode büßen, soll in der Hölle gesotten werden; Fallsucht und Fieber sollen ihn plagen; aufs Rad geflochten und auf die Folter soll er gespannt werden."), erlebte das Exlibris später eine Renaissance, die im ausgehenden 19. Jahrhundert ein­setzte und bis heute anhält. Weitaus friedlicher beschert sie uns Miniaturkunstwerke, wie sie mannigfaltiger nicht zu denken sind. Vor allem um die vorige Jahrhundertwende brachten der Jugendstil und die künstlerische Sezession die Exlibriskunst zu allerhöch­ster Blüte, die in üppiger Ausstattung, reicher Ornamentik und Allegorien schwelgte, sowie in naturalistischer Darstellung von Mensch und Umwelt.

Nicht nur, daß die Techniken vielfältiger wurden - man hat Exlibris nach Holz- und Linolschnitten, Kupfer-, Holz- und Stahlstichen, nach Radierungen, Lithographien, Photographik und
 
Federzeichnungen gedruckt - und daß die Papiere, die von handgeschöpftem Bütten bis zum Japanpapier jede Qualität haben kön­
nen, eine reiche Palette an Möglichkeiten bieten - die Auswahl an Motiven ist es, die wirklich keine Grenzen kennt. Wappen-Exlibris gibt es noch immer in Fülle, aber sie sind längst überholt von den reizvolleren persönlichen Bildern. Der lesende Mensch und das Buch als solches werden natürlich sehr häufig dar­gestellt - beruhigende, stille Szenen. Oft sieht man die Eule, den Vogel der Weisheit, häufig den Musiker und sein Instrument, in unendlicher Wandelbarkeit beim „redenden“ Exlibris die Berufe der Eigner, sehr oft den Menschen in der Natur oder seine Fensterschau. Die Stadt wird ge­zeigt, der Schaffende bei seiner Arbeit, die Symbole und Werkzeu­ge seiner Tätigkeit, der Name wird verbildlicht oder umschrieben.


Exlibris W. Lovejoy
Was Künstler und Eigner aber gleichermaßen besonders häufig beschäftigt sind der Tod und der Eros in allen ihren Variationen und Obsessionen. Akt-Exlibris und erotische Exlibris von Bayros über Simenek, Kislinger, Geiger, Erler und Fingsten bis Klinger, Coppa, Okas und Peynet zeigen die gewagtesten erotischen Phan­tasien ohne Tabu und Zensur. Oft gehen sie eine morbide Synthese mit der Darstellung des Todes ein, eines weiteren Hauptthemas, das besonders auf Ärzte-Exlibris seine makabre aber faszinieren­de Darstellung findet. Der Tod und der weibliche Akt, der Tod und seine Niederlage, der Tod und sein Sieg.

Exlibris sind aber auch häufig genug voller Humor, mitunter schwarzem, erzählen bewegende Geschichten oder sind einfach nur hübsch durch ihre graphische Gestaltung. Sammler und in der notwendigen Folge Verfasser von Büchern sind rasch auf den Plan getreten und haben das Exlibris
 
Exlibris für Waldemar u. Lore Frowein
von Max Bernuth
zum begehrten wie begehrenswerten Objekt und zum Thema vieler reich bebilderter Abhandlungen gemacht. Der Gegenstand der Begierde hat plötzlich seinen ursprünglichen Zweck, in Bücher geklebt zu werden, ver­loren und wird von Sammlern stattdessen in Alben einsortiert, getauscht und eifersüchtig bewacht, wie es dereinst die Aufgabe des Exlibris im Buch gewesen ist. Unendlich viele, immer kunst­vollere Blätter werden einzig mit dem Ziel gesammelt zu werden in Auftrag gegeben und erreichen oft nie ein Buch, was schade ist. Die Zahl muß galaktisch sein, niemand kann sie je feststel­len. Immerhin gibt es noch einige, die eingeklebt werden. Solche, aus Bücher gelöst, werden hier zur Illustration vorgestellt. Natürlich hat sich, wie wäre es anders zu erwarten, auch diese schöne Sache bald institutionalisiert. Die Deutsche Exlibris Gesellschaft mit Sitz in
Koblenz besteht seit 1891 als älte­ste ihrer Art in der Welt, veranstaltet Ausstellungen, gibt Jahrbücher heraus, hält Verbindung zu ähnlichen Verbänden überall in der Welt und fördert die Kunst der kleinen Blätter und ihren Tausch. Mit über das Antiquariat verkauften alten Büchern wechseln auch ihre Eignerzeichen oft den Besitzer - spannende Trouvaillen für Sammler, die oft genug aus Achtung vor der Historie des Buches das eingeklebte Exlibris nicht entfernen oder gar überkleben, sondern mit Respekt das ihre daneben kleben.
 
Wer mehr über das Thema erfahren möchte findet im Buchhandel eine reiche, wenn auch
 
kostspielige, doch informative Auswahl an Lite­ratur - Standardwerke wurden unter anderem von Richard Braungart, Walter von Zur Westen, Elke Schutt-Kehm, Anneliese Schmitt,
Angela und Andreas Hopf und Gernot Blum herausgegeben. Kataloge und Sammelbände mit Themenschwerpunkten zeigen Ausschnitte aus der unübersehbaren Zahl der Exlibris, die das Sammeln auf alle Zeit aufregend bleiben läßt und die von Sammlern mal nach Künstlern, mal nach Motiven zusammengestellt werden. Da gibt es Ärzte-Exlibris, Musik-Exlibris, Akt-Exlibris, erotische und to­pographische Exlibris, Eulen-, Katzen- und Pferde-Exlibris, Jugendstil-Exlibris und vieles, vieles mehr. Das Werk Emil Orliks oder das Max Klingers wird ebenso dokumentiert wie das von Her­mann Huffert, Italo Zetti oder Elfriede Weidenhaus. Der Verlag Claus Wittal in Wiesbaden hat sich neben dem Verlag Klaus Rödel in Frederikshavn/ Dänemark dabei besonders hervorgetan.
Für den Bücherfreund, der die Kosten eines individuellen Kunst­werks für sein Exlibris nicht aufbringen kann, bietet der Handel sogenannte "Universalexlibris" an, eine Auswahl hübscher vorge­druckter Motive ohne Namenseindruck, der dann nachträglich vorgenommen oder durch handschriftliche
 
Eintragung ersetzt werden kann.

Schaut man sich die kleinen Kunstwerke in Muße an, dann wird wird begreifbar, daß die bezaubernden Miniaturen zur Leidenschaft werden können. Das Buch und seine Faszination für den Leser und Sammler findet im Exlibris seine graphische Entsprechung und sinnliche, ästhetische Ergän­zung, die umso schöner ist, als sie nicht Pflicht und unbeding­tes Allgemeingut ist, sondern den Reiz des Intimen, Exklusiven,
Individuellen oder Pikanten hat - eine reiche und reine Freude in unendlichen Variationen.

Literaturempfehlungen (Auswahl):
Richard Braungart - "Das moderne deutsche Gebrauchs Exlibris" - Verlag Franz Hanfstaengl, München 1922 (Reprint Verlag Claus Wittal, Wiesbaden 1981)

Exlibris  für Hermann Türck
von Franz Stassen

Walter von Zur Westen - "Exlibris" - Velhagen & Clasing, Bielefeld 1925³
(Reprint Verlag Claus Wittal, Wiesbaden 1983)
Anneliese Schmidt - "Deutsche Exlibris" - Koehler & Amelang, Leipzig
1986
Elke Schutt-Kehm - "Das Exlibris - Eine Kulturgeschichte" - Harenberg, Dortmund 1990
Andreas & Angela Hopf - "Alte Exlibris" -
Harenberg, Dortmund 1978
"Exlibris aus 6 Jahrhunderten" - Galerie J.H. Bauer (Katalog), Hannover 1983
Sylvia Wolf - "Exlibris - 1000 Beispiele aus fünf Jahrhunderten" - Bruckmann, München 1993²
Gernot Blum - "Die Kunst des erotischen Exlibris" - Verlag Claus Wittal, Wiesbaden 1986
Gernot Blum - "Der Tod im Exlibris" -
Verlag Claus Wittal,
Wiesbaden 1990
Angela & Andreas Hopf - "Akt-Exlibris" - Mahnert-Lueg Verlag, München 1986
Angela & Andreas Hopf - "Die Kunst des Exlibris" - Mahnert-Lueg Verlag, München 1980
Dietrich Schneider-Henn - "Exlibris Monogramme" - Verlag Schneider-Henn, München 1983

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Alle Illustrationen: Archiv Musenblätter