Unterwegs mit Carin

Eine nachvollziehbare Lebenserfahrung

von Bettina Rosky

Bettina Rosky

Unterwegs mit Carin

Ich hatte sie gerade erst kennen gelernt, aber eines merkte ich sofort: Carin meinte es gut mit mir. Als ich das erste Mal den Motor anließ, ermahnte sie mich gleich mit sanfter Stimme, vorsichtig zu fahren und dem Verkehr höchste Aufmerksamkeit zu schenken. Sie forderte mich auf, ihr das Ziel zu nennen und versprach, mich sicher hin zu führen. Ich vertraute ihr. Sie war richtig nett und sah auch gut aus, so ganz in schwarz, und so schmal. Sie sprach nicht viel, aber was sie sagte, hatte Hand und Fuß. Wie toll sie war, stand ja schon in ihren Papieren, die ich mir natürlich vorher gründlich angesehen hatte, man will ja schließlich wissen, mit wem man es zu tun hat. Sie kannte sich in ganz Deutschland hervorragend aus, was sag ich! – in ganz Europa! Mit ihr im Auto würde ich mich nie mehr verfahren und all die wunderbaren Plätze finden, von denen in den Reiseführern die Rede ist, das versprach die Bedienungsanleitung. Denn Carin ist das moderne Navigationssystem für die Anforderungen des täglichen Lebens, und in der von mir gewählten Luxusversion konnte sie sogar Parkplätze finden. Kostete zwar etwas mehr, aber auf die Dauer würde sich die Investition bezahlt machen.

„Wir wollen heute nach Köln, zum Heumarkt!“ sagte ich zu ihr und tippte die nötigen Informationen ein. Ich weiß natürlich, wo Köln ist und finde auch alleine hin, aber: Soll sie mal zeigen, was sie kann, dachte ich. Kürzeste Strecke? wollte sie wissen. Und jetzt machte ich einen kleinen Fehler: Ich bestätigte „Kürzeste Strecke“. Auf dem Bildschirm erschien eine Landkarte, darauf ein kleiner blinkender Kreis, der mein Auto markierte. Oben rechts zeigte ein Pfeil die Richtung an, dazu ertönte Carins freundliche Stimme: „Weiter vorn links abbiegen!“ Noch 100, 60, 20 Meter, wusste das Gerät. Ich staunte und gehorchte. Auf dem Display las ich, dass die Strecke 57 Kilometer lang sei und das Ziel in 58 Minuten erreicht werde. Komisch eigentlich, dass mich das gar nicht stutzig machte! Zunächst lief alles wunderbar, sie schickte mich runter zur Hauptstraße, die A1 Richtung Köln war schon ausgeschildert, und ich fühlte mich gut. Womit ich nicht rechnete, war Carins Spitzfindigkeit. Ich hatte die kürzeste Strecke gewählt, und die führte keineswegs über den Zubringer, sondern erstmal mitten durch die Fußgängerzone unseres Städtchens. Die beiden Streifenpolizisten wollten sich auf keine Diskussion einlassen, und so gewann Carin noch einmal an Wert. Jedenfalls stieg ihr Preis um das fällige Verwarnungsgeld.

Okay, sie hatte mich enttäuscht. Aber es ist doch wie mit den Menschen: man muss ihnen einen Vorschuss geben, einen Vorschuss an Vertrauen, daran wachsen sie, und selbst, wenn sie einmal daneben treten … jeder verdient eine zweite Chance, auch ein Navigationsgerät. Carin bekam ihre zweite Chance, und diesmal war ich klüger. Ich drückte „Schnellste Strecke“ und folgte ihren Anweisungen, und jetzt leitete sie mich getreulich auf die Autobahn. Der kleine Kreis auf dem Bildschirm wanderte über den gelben Strich, wir kamen gut voran. Um genau zu sein, wir näherten uns dem Rand der Karte, und mich überkam eine kurze Panik, was geschehen würde, wenn der kleine Kreis ihn erreichte. Würden wir abstürzen ins Nichts? Doch schon sprang das Bild um, und eine neue Welt begann. Die runde Markierung wanderte in zügigem Tempo gen Köln. Carin kannte den Weg, und ich kannte den Weg. Ich kannte den Weg so gut, dass ich am Ring entschied, ich wisse es nun besser als sie, die mich um die halbe Stadt herumführen wollte. Als sie merkte, dass ich nicht gehorchte, wurde sie hektisch und verlangte: „Sofort wenden!“ Und noch einmal, eindringlicher: „Sofort wenden!“ Ich tat, als hätte ich nichts gehört, zumal wir noch auf der Autobahn waren und ein Wendemanöver fatale Folgen gehabt hätte. Da schwieg sie beleidigt und verdunkelte den Bildschirm. Das Land war weg und mit ihm mein Auto. „Carin!“ rief ich und gab ihr einen Klaps, um sie wieder zur Besinnung zu bringen, nein, ich hab sie nicht geschlagen, es war mehr so ein Tätscheln. Sie kam ja auch gleich wieder zu sich und sagte: „Weiter vorn rechts abbiegen!“ Das Bild war wieder da und auch der kleine blinkende Kreis, der meine Position markierte. Carin hatte einen neuen Weg ausgesucht, und die Welt war wieder im Lot. Bis wir an die Baustelle kamen und Carin darauf bestand, ich solle in die Grube fahren.

„Das hättest du wohl gern, du gemeines Luder!“ zischte ich und wendete den Wagen. Zack, war sie wieder beleidigt. Vielleicht war es mit Rosemarie doch nicht so schlimm gewesen, meinte ich plötzlich. Sie konnte mit Landkarten nicht umgehen, und es war jedes Mal eine Katastrophe, wenn wir in Urlaub fuhren. Rosi musste sie immer ganz auffalten und den riesigen Papierbogen drehen und wenden, als würde die Karte nur funktionieren, wenn man mit ihr dem Kurvenverlauf folgte. Einmal kam es beinahe zu einem Unfall, weil mir der Atlantische Ozean die Sicht versperrte, als Rosi Lyon suchte. Aber wenigstens war sie nicht so zickig wie Carin, die sich jetzt lange bedeckt hielt, bevor sie wieder mit mir sprach. „Ziel erreicht!“ behauptete sie unvermittelt, mitten auf einer Kreuzung, eingekeilt zwischen Linksabbiegern, während sich von rechts eine weitere Autoschlange näherte, die sich mit der unsrigen zu verwurschteln drohte, und als ich nicht sofort anhielt, verlangte Carin erneut: „Sofort wenden!“ „Nicht in diesem Ton!“ fuhr ich sie an und verlieh meiner Forderung Nachdruck, nämlich den Druck auf Carins Knopf. Es reichte. Es war genug.

Ich bin eigentlich ein sehr geduldiger Mensch, tolerant gegenüber Andersdenkenden, und ich habe gerade von Frauen schon einiges ertragen, aber was Carin mir zumutete, war zuviel. Die kann nicht bleiben, wusste ich plötzlich, und auch wie ich sie loswerden könne: ich werde sie bei Ebay zur Adoption freigeben.


 

© Bettina Rosky - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007