Musikstunde

Geburtstage, Pianisten, Vögel und Zoff im Orchester

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde
 

Guten Tag, liebe Musenblätter-Leser, geschätzte Freunde der Musikstunde!

80 ist er vor nicht allzu langer Zeit geworden und einer der Großen bleibt er und deshalb gratulieren wir, Sie, liebe Freunde der Musenblätter und ich, unisono und aus ganzem Herzen nachträglich: Herzlichen Glückwunsch, Joachim Kaiser, schön, daß Sie, wie ich auch, Wilhelm Kempff-Fan geblieben sind, Kempff, bei dem das Doppel-F am Ende des Namens natürlich für ff Klaviermusik stehen muß, schön, daß Sie nie ein Hehl daraus gemacht haben, daß die 40er und 50er Jahre doch so was wie die Referenzjahre des 20. Jahrhunderts waren, was die Interpretation klassischer Musik angeht, schön aber vor allen Dingen, daß Sie sich nie der wechselhaften Mode der Jahrzehnte hingegeben haben, sondern dem Kanon treu geblieben sind, dem Kanon, den jeder, der Musik liebt, in sich spürt, über den man aber nicht wirklich zu sprechen wagt, weil man Angst davor hat, sich lächerlich zu machen. Diese Angst haben Sie nie gehabt, verehrter Joachim Kaiser und damit haben Sie auch anderen Mut gemacht, Musik mit offenen Ohren anzuhören. Da kommt es dann natürlich zu vielen Übereinstimmungen, ja auch ich bin ein eingeschworener Edwin Fischer-Verehrer, ja auch ich finde, daß Ivo Pogorelich besser mit den Hot Wheels von Mattel spielen sollte als deren Tempo auf die Tasten zu übertragen (hören Sie sich doch mal seine Chopin-Etuden-Einspielung an, das Tempo, mit denen er die meisten Etuden spielt, ist doch nur noch eine Lachnummer: „Ja, ich kann schneller als jedes automatische Klavier, das Chopin-Konzert in 3 ½ Minuten“ da wird Chopin zum Dauer-Döner, grauenhaft). Daß Sie aber in ihrer Ausgabe der vierzehn großen Pianisten auf meine persönlichen Ikonen verzichtet haben, so da wären Rudolf Serkin, Svjatoslav Richter, die grandiose Clara Haskil, der wundervolle Emil Gilels oder der immer überraschende Friedrich Gulda, darf ich Ihnen bei allen Geburtstagswünschen schon noch mal aufs Brot schmieren, oder?! Dennoch: Chapeau, Herr Kaiser und Danke!
 
Nächster Geburtstag: auch ein Großer, wenn auch ein Umstrittener, ja manchmal sogar ein Belächelter: Olivier Messiaen wäre am 10. Dezember 100 Jahre alt geworden. Es gibt sie ja zum Glück immer mal wieder, diese genialen Außenseiter, die keiner Schule, keiner Richtung, keiner Schublade zuzuteilen sind, die einfach vor sich hin brasseln und ganz ihr eigenes Universum sind. Jean Sibelius war so einer, oder Franz Gsellmann, der im oststeiermärkischen Dörfchen Kaag seine wundersame Weltmaschine gebaut hat, oder das legendäre indische Mathe-Genie Srinivasa Ramanujan, der in irgendeinem Slum geboren wurde, dann zufällig entdeckt wurde und nach Oxford kam, wo er mit 32 Jahren starb nachdem er mal eben die halbe Mathematik erneuert hat. Nicht alle sind zu Ehren gekommen, vielleicht hat es schon einen Tizian-Schüler gegeben, der kubistisch malte und dem der Meister sagte, er solle mal ganz schnell den Pinsel aus der Hand legen und besser den Hof fegen, was der dann tat und weshalb wir nichts weiter von ihm wissen. Olivier Messiaen ging es ein bißchen von allem: Zuerst hat er so ein bißchen Debussy-mäßig für Klavier (und nicht nur für es) geschrieben, dann hat er ornithologische Studien betrieben und dabei eine tolle Entdeckung gemacht (die jeder von uns gemacht hat, aber uns hat es nicht weiter bewegt, das ist eben der Unterschied zwischen unsereinem und einem Genie): er hat entdeckt, daß es bei den Vögeln musikalische und unmusikalische Gattungen gibt, also Vögel die singen und solche, die nur schreien! Ab da hat er quasi Brehms Tierleben vertont. Daß eine so banale Entdeckung ein ganzes Musikgebäude hervorbringen kann – wer hätte das gedacht. Ich meine: eine balzende Amsel oder gar die Nachtigall, das sind natürlich die Carusos und die Rita Streichs der Lüfte, dagegen ist ein Adler zwar eine imposante Erscheinung, sängerisch gesehen aber höchstens als kastrierter Dieter Bohlen einzustufen. Olivier Messiaen aber hat aus dieser Beobachtung und den darauf folgenden Forschungen ein wunderschöner musikalisches Gebäude erschaffen. Daß ihm da Intellektuelle wie Pierre Boulez oder die Donaueschinger Elite nicht gefolgt sind, wen wunderts. Uns, die wir offene Ohren haben, juckt das nicht. Mir haben viele seiner Kompositionen immer schon gefallen, außerdem finde ich die Ondes Martenot ein tolles Instrument und selbst die Turangalila – Sinfonie kann ich genießen. So: herzlichen Glückwunsch quasi postum! Möge der 100. Geburtstag nachträglich ein wenig dazu anregen, mal wieder ein bißchen Messiaen zu hören, egal was Adorno dazu zu sagen hatte (und ich kann dazu nur sagen: wer solche Streichquartette verbrochen hat wie Adorno, sollte mit Kritik an Kollegen verteufelt zurückhaltend sein!).
 
Zu den Vögeln hat Messiaen übrigens etwas sehr schönes gesagt: „Mein Umgang mit den Vögeln hat viele Leute zum Lachen gebracht, weil die Vögel für sie die ‚kleinen Vögel’ sind. Sie glauben, es seien niedere Tierarten, weil sie klein sind. Das ist idiotisch! Als ich mich mit den Vögeln befaßte, habe ich begriffen, daß der Mensch vieles gar nicht erfunden hat. Es gab viele Dinge schon vorher, man hat sie nur nie so gehört. Zum Beispiel wird viel von den Tonarten und Modi geredet – die Vögel haben Tonarten und Modi. Man hat auch viel von der Teilung der kleinen Intervalle gesprochen – die Vögel machen diese kleinen Intervalle. Auch hat man seit Wagner viel von Leitmotiven geredet – jeder Vogel ist ein lebendiges Leitmotiv, weil er seine eigene Ästhetik und sein eigenes Thema hat. Man spricht auch viel von aleatorischer Musik – das Erwachen der Vögel, wenn sie alle zusammen singen, ist ein aleatorisches Ereignis. Ich habe also die Vögel gewählt, andere den Synthesizer.“

Über Felix-Mendelssohn-Bartholdy, das im runden Angesicht von Heinz Erhardts 100. Geburtstag mit dem eigenen 200. öffentlich redlich schlecht weggekommene Geburtstagskind sag ich heute mal nix - das hat in vorbildlicher Weise ja am vergangenen Sonntag mein Kolle Burkhard Vesper in den Musenblättern besorgt, indem er dem Komponisten-Genie, Dirigenten und Interpreten von Gnaden sowie seiner (Mendelssohns) Familie und Umgebung ein wunderbares Essay gewidmet hat.  Lesen Sie mal nach!
 
Haben Sie das auch gehört? In Würzburg war der Teufel los. Der Generalmusikdirektor Jin Wang (wie jeder richtige Chinese hat er natürlich einen österreichischen Paß) ist vom Stadtrat geschaßt worden und plötzlich teilt sich die Stadt in zwei Lager. Hie das Orchester und die Stadt, da das Publikum und der Vorsitzende des Fördervereins der Philharmoniker. Es gehe, heißt es, um sexuelle Belästigung – der Dirigent habe von einer Geigerin Dinge verlangt, die mehr im außermusikalischen Bereich liegen – man hat aber den Eindruck, daß es um anderes geht: da war wohl die Chemie zwischen Dirigent und Orchester durcheinander geraten, er gebärde sich am Pult wie ein Tyrann und er schmeiße wie weiland Zeus mit Blicken um sich, die töten könnten. Im Oktober hatte sich die Mehrheit der Musiker gegen eine Vertragsverlängerung ausgesprochen. So weit, so normal. Nun ist das alles, meine Damen und Herren im Würzburger Stadtrat, nicht ganz so einfach: da soll zum einen der Dirigent der große Zampano sein, der den ganzen Laden in eiserner Zucht und Ordnung hält, andererseits soll er alle Nuancen orchestermusikalischer Befindlichkeiten aufgreifen können um so in einem einzigen Liebesreigen das Orchester zur Höchstleistung hoch zu schmusen. Da können die Dinge schon mal durcheinander laufen. Lassen wir die Würzburger in Ruhe ihre Dinge regeln – die Presse wird uns informieren, das hat sie ja im Fall Michael Kaufmann und Essener Philharmonie auch getan.

Einen schönen Tag noch!
Ihr Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker