Musikstunde

Schauen Sie (und schießen Sie nicht) auf den Dirigenten

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde

Gehen wir heute mal der Frage nach, liebe Musenblätter-Leser, was es denn für Dirigententypen gibt, vielleicht ist das ja das Problem
(und die Lösung) für so manche Uneinigkeit in Orchestern.


Ich habe mir zu diesem Thema
ein paar Gedanken gemacht, fangen wir mit einem an, den man den Ästheten schlechthin nennen könnte:  
 
Der mit den schönen Händen.

Schon im Kreißsaal lief das halbe Krankenhaus zusammen um seine wunderbaren Hände anzuschauen. Man spricht in solchen Fällen von einer Handgeburt, weil solche Babys das natürlich wissen und deshalb mit den Händen voraus auf die Welt kommen. Solche Hände erlauben nur zwei Berufe: Zigarrendreher oder Dirigent. Der Dirigent mit den schönen Händen formt die Töne, als gelte es, Plastiken zu gestalten. Seine Finger surfen auf den Obertonreihen, seine Hände schmiegen sich den Wellen der Musik an, im Grunde ist ihm alles Brandung und Meer: ob dieser Dirigent vor einem Orchester oder am Strand steht, ergäbe keinen Unterschied, seine Bewegungen wären dieselben. Er liebt Schumann, Debussy und Ottorino Respighi und träumt davon, einmal 120 Harfen dirigieren zu dürfen, das Instrument, das seinen Glissando-Krallen am verwandtesten ist. Alle Frauen, die seine Hände sehen, schmelzen dahin und bedauern, daß er nicht Pianist geworden ist. Sie haben gerne japanische Namen.
 
Der Verkehrspolizist.

Er kann gut zeigen und er liebt Musik. Das hat zur verhängnisvollen Entscheidung geführt, Dirigent zu werden. Er hat sich mit dem Studium der Musik und der Partituren sehr schwer getan. Aber er hat es geschafft. Jetzt will er in jedem Konzert beweisen, daß er die Partitur kennt. Also dirigiert er mit dem Zeigefinger der rechten Hand. Einen halben Takt vor dem Einsatz zeigt er auf die Flöte, und siehe da: die Flöte setzt ein. Schon zeigt er auf die Bratschen und tatsächlich: sie sind dran. Manchmal muß er im Takt vorher vier Einsätze geben, kein Problem, mit preußischer Exaktheit zeigt er auf zack! die Oboe, zack! die Celli, zack! die Pauke, zack! die Hörner und alles stimmt. Er ist der geborene Verkehrspolizist. Partituren sieht er unter dem Ampel-Gesichtspunkt: wer hat rot und wer hat grün? Er selbst ist immer im gelben Bereich: Achtung...Oboen halt! Und Achtung...Klarinetten grün! Er liebt das Kamener Kreuz, Carl Maria von Weber und Artur Honegger. Er träumt davon, Rillen in die Autobahnen zu fräsen, damit über die Reifen jedes Auto seine eigene Musik bekommt und sein Passat die schönste. Frauen mögen ihn nicht, weil: das kennen sie schon.
 
Der Urschrei-Typ.

Er federt aufs Podium, wirft einen kurzen Blick aufs Orchester, dann sammelt er sich einen Moment. Man denkt an nichts Böses, da reißt er plötzlich beide Arme hoch, hält sie einen Moment oben als wäre er Boris Becker mit zwei Schlägern um dann mit einem Urlaut aus der Tiefe des Schrittes schließlich beide Arme nach unten stürzen zu lassen, um sein As zu schlagen. Sein Urschrei am Beginn gibt dem Publikum das Gefühl, daß es sich bei dem, was es jetzt hört, um wirklich wesentliche Dinge handeln muß, es gibt sich zufrieden dem Fluß des Gehörten hin. Daß er was geleistet hat, sieht man am durchgeschwitzten Frack und das honoriert man gerne durch wohlwollenden Applaus. Der Urschrei-Dirigent besteht auf Garderobe mit Dusche. Er liebt Richard Strauß und Ewald Balser als Beethoven-Darsteller und träumt davon, die Sinfonie der Tausend in einer Fassung für 10.000 Posaunen vor dem Hermanns-Denkmal in Westfalen open air aufzuführen.
Frauen mögen ihn nur bedingt: der Urschrei ist zu kurz.
 
Der Wesentliche.

Der Wesentliche kommt mit nach innen gerichteten Augen auf das Podium und würdigt das Publikum keines Blickes. Nicht, daß er es verachtete, er sieht es gar nicht. Es geht nicht um die Gewinnung kurzfristiger Zuneigungen, wie flüchtig ist Applaus!, es geht um das Werk. Es zu gestalten ist er hier. Er ist allerdings kein kniefälliger Komponistendiener, er ist gleichberechtigter Mitschöpfer, daran läßt er keinen Zweifel. Der Wesentliche braucht den ganzen Gestenfirlefanz nicht. Er hebt eine Hand, manchmal auch nur einen Finger und das Orchester führt aus. Das Orchester zittert vor ihm, denn dem Wesentlichen kann man nichts vormachen. Hat er viel Konzerterfahrung, dirigiert er nur noch mit den Augenbrauen. Ist er damit spärlich ausgestattet, dirigiert er mit den Manschettenknöpfen. Einigen wenigen soll es auf dem Höhepunkt ihres Schaffens gelungen sein, allein durch ihre Anwesenheit ein Werk zu dirigieren. Der Wesentliche liebt Monteverdi, Franz Schmidt und die Metamorphosen von Richard Strauß. Er ist Fußballfan, mag gerne Gulyas und Bier, schaut viel fern und macht sich nichts aus Frauen. Der Wesentliche träumt manchmal davon, ein neunzigminütiges Konzert für 22 Beine pfeifen zu dürfen.
 
Der Hüpfer.

Der Hüpfer ist in Gummi gezeugt und drin geblieben. Er ist kugelrund und lacht gerne: ins Publikum, wenn es ihm gefällt oder ins Orchester, wenn es ihn befriedigt. Die Partitur ist ein Trampolin, Musik ist Freude und Springen, das geht doch gar nicht anders, er wünscht sich, daß es keine Stühle gäbe, dann könnte auch das Publikum mithüpfen und sich freuen. Er rollt aufs Podium und schon vor der Verbeugung fängt er an zu hüpfen. Wegen ihm sind manchmal Seile um das Podest gespannt, damit er auf dem Trampolin bleibt. Er wäre in der Lage, durch das brennende Triangel zu springen, wenn’s schön ist. Im Orchester sind die Meinungen geteilt: die Piccolo-Flöte hüpft mit, für sie ist die Eins da, wenn der Hüpfer an die Zirkuskuppel stößt, die Bratschen verlassen sich da eher auf die Füße und nehmen als Eins, wenn er wieder auf dem Boden ist. Der Hüpfer liebt Mozart über alles, die ungarischen Tänze und Rossini. Er liebt Gummibärensaft, A-Hörnchen und B-Hörnchen und Sitzbälle. Frauen mögen ihn sehr, weil er so vital ist, halten sich aber von ihm ferne, weil sie ahnen, daß er zu Hause nur schläft. Der Hüpfer träumt manchmal davon, ein Orchester zu haben, das man aufziehen kann. 
 
Der Ruderer

Der Ruderer ist eine tragische Gestalt: wer so lange Arme hat wie er, hätte besser Melker werden sollen. Keine Kuh wäre ihm jemals zur Gefahr geworden. So aber ist er Dirigent. Seine - wie gesagt viel zu langen - Arme sind eigenständige Wesen. Sie sind ihm zwar angewachsen wie anderen Leuten der Kontostand oder ein Buckel, aber er kann sie nicht beeinflussen. Selbst bei der Verbeugung beschreiben seine Arme drei Kreise, dann dreht er sich um, das Orchester springt ins Boot und jetzt wird gerudert. Er paddelt sich durch Bruckner, Wagner und Brahms. Brahms liebt er übrigens sehr, weil er da in unterschiedlichen Rhythmen paddeln kann: links drei Schläge, rechts vier Schläge und dann die Schlagzahl erhöhen! Der Ruderer bringt Bewegung in den Konzertsaal, er schaufelt die Noten gleich kiloweise weg, jeder bewältigte Takt hinterläßt einen kleinen Strudel im Fluß der Musik. Das Problem ist nur: wer rudert, schaut nach hinten. Die Kneipe, in der er sich erfrischen könnte, sieht er erst, wenn er daran vorbei ist. So dirigiert er auch. Aber sei’s drum, es macht Spaß ihm zuzuschauen. Der Ruderer liebt Brahms, Bruckner und Edward Elgar. Er mag Eintöpfe und Luftmatratzen. Frauen finden ihn komisch, mögen ihn also nicht. Der Ruderer träumt vom Fliegen und einem Konzert für Albatros und Kaiserpinguine.

Und wovon träumen Sie? Egal - ich wünsche Ihnen, daß es sich erfüllen möge!

Ihr Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker