Poetische Stationen

Peter Härtling - "Meine 75 Gedichte und zehn neue"

von Frank Becker
Glück

Nichts mehr,
was dich treibt,
nichts mehr,
was dich hält.
Auf den Hügel hinauf
und solange
nach innen singen,
bis die Stimme
die aufhebt
und mitnimmt.


75 Gedichte aus 75 Lebensjahren hatte sich der Verlag von Peter Härtling gewünscht, um dessen 75. Geburtstag gebührend zu feiern, der im vergangenen November sich rundete. Ein mächtiges Unterfangen und zugleich ein Weg nach innen für den produktiven Dichter, dessen umfangreiches Lebenswerk genug Material für weit mehr als für diesen delikaten schmalen Band bietet. Und noch eins hatte sich Radius-Verleger Wolfgang Erk gewünscht: daß Peter Härtling der Auswahl der 75 persönlichsten Gedichte zehn ganz neue hinzufüge.

Härtling hat dem Wunsch entsprochen, hier liegt jetzt in meiner Hand ein in feines Leinen gebundenes handliches Büchlein von 112 Seiten, der Autor hat es signiert und ihm damit ein letztes Placet gegeben. Ein erfreulich knappes, uneitles, doch nichtsdestoweniger informatives Vorwort macht den Einstieg leicht. Was folgt ist köstlich, ist die Essenz eines lyrischen Lebens. Nicht daß Peter Härtling nicht mit seiner Prosa weit höheren Ruhm begründet hätte - doch gerade diese sehr zarten Zeugnisse sind es, die uns den Menschen Härtling wie in einem Zeitraffer der Jahrzehnte zeigen. Gerne verweilt man an einer der poetischen Stationen dieses wundervollen Buches - und kehrt nach einigen Seiten noch einmal lächelnd dorthin zurück.

Tröstereime, (Ben-)Yamin-Geschichten, Widmungen an Freunde und verehrte Künstler und Lieder an die Schönheit der Natur - die Auswahl erscheint trotz der Beschränkung auf "nur" 75 reicht. Der Ginkgo, den schon Goethe besang, die Wurmlinger Kapelle, an deren Hügel herrliche Streuobstwiesen liegen, der verschwundene Fliederbaum des Friedhofs von Nürtingen, die Neckarbrücke daselbst, der tragische Kaspar Hauser, der wunderbare Josef Guggenmoos, die Liebe... Man möchte mit Peter Härtling beim Wein sitzen und ihn lesen hören, sagen: lies das bitte nochmal. So aber begnügen wir uns dankbar mit der Lektüre seiner berührenden Gedichte, aus denen ein zweites für die anderen stehen soll:

An einen Freund

Der unverbrauchte Tag
will bitter werden -
nimmdeine Gedanken
nicht zurück, doch
spare sie auf und
versuche zu reden
von leichteren Dingen,
vielleicht von der
Eiszeit, die unsere
Enkel erwartet und
von der Freundlichkeit Weniger
unter Wölfen.
Dann laß uns
verständig
schweigen.

Beispielbild

Peter Härtling
Meine 75 Gedichte und zehn neue

© 2008 Radius Verlag

112 S., Leinen
20,- €
 
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