Nie wieder 80 – das Beste vom Meisten

Dieter Hildebrandt im Rex-Theater Wuppertal

von Jürgen Kasten

Foto: Veranstalter
Nie wieder 80 –
das Beste vom Meisten
 
Dieter Hildebrandt gastierte am 29.05.09
vor vollem Haus im Rex-Theater Wuppertal
 

Tatsächlich ist der Altmeister des politischen Kabaretts vor einigen Tagen bereits 82 Jahre alt geworden. Deswegen beginne ich hier mit dem zweiten Teil seines Auftritts von beachtlichen 2 x 60 Minuten (netto), in dem er diesem Lebensabschnitt, dem „G-80“, ein paar Thesen widmet. Zum Beispiel diese: „Das Altern kann man nicht auf morgen verschieben.“ Vielmehr sollte man damit in jungen Jahren beginnen, denn morgen ist man wieder ein Tag älter und irgendwann ist es zu spät. Andererseits verändert sich alles rasend schnell. Da kann und will Hildebrandt gar nicht mithalten. Anders seine geliebte Renate, mit der er in zweiter Ehe verheiratet ist. Sie hat sich mit piepsendem Modem, PC und allerhand Zusatzgeräten im Arbeitszimmer breit gemacht und frönt dem Internet, was er mißbilligend hinnimmt. „Was willst Du, Alter“, sagen seine Enkel, „die Welt findet im Zimmer statt.“ „Das wollte ich immer vermeiden“, meint Hildebrandt. Für ihn findet die Welt draußen statt, unter anderem auf der Bühne. Die Öffentlich Rechtliche hat er ja leider verlassen. Was seine Nachfolger aus dem „Scheibenwischer“ machten, war nur ein Abklatsch einstiger Hoch-Zeiten.
Seit Mitte der 50er Jahre steht Dieter Hildebrandt - unvergessen die „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, mit der er bis 1972 auftrat - auf der Bühne. Es folgten andere Formate im Fernsehen und zum Schluß besagter „Scheibenwischer“, den Hildebrandt 2003 verließ und ihm jetzt endlich das Namensrecht entzog.
 
War´s das? Ist das nun seine Abschiedsvorstellung? Ich hoffe nicht. Dieter Hildebrandt ist agil und bissig wie eh und je und tagesaktuell. Er beginnt das Programm mit einem zurück blickenden Querschnitt auf 60 Jahre Bundesrepublik, immer wieder ausgehend von der gegenwärtigen politischen Lage und Befindlichkeit. Anlehnend an die peinliche Schlagzeile der Bild-Zeitung „Wir sind Deutschland“, ruft er in den Saal: „Wir sind alle 60“, um lächelnd anzufügen „ich fühl mich älter“.
Hildebrandt zitiert mit berechtigt sarkastischen Anmerkungen andere Bild-Überschriften wie „Wir sind Papst“ und ähnlichen Unsinn. Nachdem in den letzten Tagen die wahre Identität des Polizisten Kurras bekannt wurde, der seinerzeit Benno Ohnesorg erschoß, müßten die eigentlich schreiben: „Wir waren die Stasi!“. Das hält man doch nicht mehr aus. „Meine Damen und Herren, Sie sind zur Beerdigung des politischen Kabaretts gekommen; aber ich kann damit nicht dienen“, bekräftigt der weise alte Mann seinen ungebrochenen Kampfeswillen gegen all den Schwachsinn, den die Politik uns immer wieder zumutet.
 
Nicht nur sie, auch die schreibende Journaille ist gegen Dummheit und Ignoranz nicht gefeit. Hildebrandt bringt das Beispiel der Journalistin, die kürzlich einen Artikel über einen prominenten SPD-Politiker fertigen sollte. Sie rief in der Parteizentrale an und verlangte Herbert Wehner zu sprechen. Nach kurzem Atemstillstand konterte der Telefonpartner, daß der nicht zu sprechen sei, da er gerade mit F.-J. Strauß konferiere. „Na gut“, meinte die Anfragende, „ich ruf später wieder an.“
Was soll man dazu sagen? Jeder hat seine persönliche Schwelle, die er überschreitet und damit die Grenzen seines Intellekts hinter sich läßt. Jeder – Politiker nicht ausgenommen. Hildebrandt läßt kaum einen aus, parteiübergreifend.
Bei allem Sarkasmus und all der heftig beklatschten Häme, die Politiker wie Banker und andere unangenehme Zeitgenossen über sich ergehen lassen müssen, Hildebrandt kann auch einfach nur komisch sein. Fast jeder, der im öffentlichen Fokus steht, hat seine Berater und Redenschreiber. So natürlich auch Altkanzler Kohl, der allerdings die Angewohnheit hatte, eigene Gedanken einfließen zu lassen und damit oft unfreiwillig zur Belustigung der Zuhörerschaft beitrug. Hildebrandt stellt sich vor, er würde ihm, Kohl, einen klassischen Text unterschieben und Kohl würde vortragen.
Mit diesem Klassiker, der Kohlparodie „Der Mond ist aufgegangen…“ (nach einem Gedicht von Matthias Claudius) konnte Dieter Hildebrandt auch im Rex-Theater wiederholt johlenden Beifall erhaschen.
 
Fast ganz zum Schluß warf Hildebrandt einen wehmütigen Blick zurück auf seinen Vater, der leider kein Verständnis und kein Lob für Dieter aufbringen konnte. Hildebrandt war da schon berühmt und mußte sich dennoch Sätze Papas gefallen lassen wie diesen: “Für den Unsinn, den Du den Leuten erzählst, bekommst Du auch noch Geld.“
Ein wenig Traurigkeit klang da schon durch, wurde aber sogleich durch einen typischen „Hildebrandt“ abgemildert: „Dieser Satz fällt heute auf Sie zurück.“
Das gut aufgelegte Publikum sah das anders: Für ihr Eintrittsgeld bekamen sie einen aufmüpfigen, sich einmischenden politischen Kabarettisten geboten, der noch lange nicht „am Ende“ ist und keineswegs mit seiner Meinung hinter dem Berg hält. Und das macht er hoffentlich noch eine lange Zeit so weiter. Ich jedenfalls wünsche ihm Gesundheit und Kraft, um dem alltäglichen Irrsinn einen Spiegel vorhalten zu können.
 
Neben seinen Anmerkungen zur Tagespolitik trug Dieter Hildebrandt im zweiten Programmteil aus seinem Buch „Nie wieder 80…“ vor, erschienen im Blessing-Verlag.

Weitere Termine seiner Tour können auf der Internetseite www.dieterhildebrandt.com eingesehen werden.