Im Mehrzweckkulturzentrum

von Hanns Dieter Hüsch

© André Polozcek / Archiv Musenblätter
Im Mehrzweckkulturzentrum


Neulich war ich doch in ein Mehrzweckkulturzentrum geraten. Ach, ist das eine Freude, wenn einem aus so vielen Räumen Mutter Kultur auf verschiedenste Art entgegen lacht. Glauben Sie mir, liebe Leser, man lacht gleich mit.

Kommt man schon in die Vorhalle, in der Junggraphiker meist eine erste Chance erhalten, sieht man gleich mehrere junge Herren auf und ab gehen. Kultur auf den Lippen, Kultur in den Augen.
Ob so viel Aufgeschlossenheit fragte ich sehr schüch­tern: „Können Sie mir vielleicht bitte sagen, wo heute Abend hier das gewandelte Weltbild stattfindet, mit Lichtbildern, mit Dr. Strothe-Herrmann?“
 
Sogleich erfuhr ich es: „Das ist in unserem ganz neuen Raum 8. Da gehen Sie in den ersten Stock, immer gera­deaus, und dann laufen Sie direkt drauf zu. Aber wollen Sie nicht lieber in den Marionettenabend, oder im Raum 3, da gibt es Gymnastik bei den alten Griechen, und gleichzeitig im Raum 13 das Parlament und seine Auf­gaben. Im Raum 4 probiert unsere Theatergruppe einen eigenen Einakter, und im Raum 7 ist für die Kleinen ein Mal- und Knetkurs angesetzt. Und nicht zu vergessen, im Raum 22 Teigwarengerichte für Anfänger und im Raum 15 Dostojewski für Fortgeschrittene.“  „Nein, vielen Dank", sagte ich, „ich möchte ins gewandelte Weltbild, mit Lichtbildern, mit Dr. Strothe-Hermann!“
 
„Tja, wenn Sie unbedingt dahin wollen, aber wir machen Sie darauf aufmerksam, daß über dem gewandelten Weltbild ein Jungblasorchester probiert und daß unter dem gewandelten Weltbild der Tischtennissaal liegt, der abends immer sehr frequentiert wird, so daß Sie viel­leicht vom gewandelten Weltbild nur die Hälfte verste­hen.“
„Das macht nichts“, sagte ich, „im Gegenteil, so höre ich von jedem etwas, und man soll sich ja schließlich für alles interessieren, zum Teufel mit dem Spezialisten­tum!“
 
Ich ging also ins gewandelte Weltbild und erfuhr dort, daß die Blaskapelle Variationen über den „Jäger aus Kurpfalz“ einstudierte und daß Tischtennis zwar ein fei­nes, aber auch ein lautes Spiel sein kann.
Als Dr. Strothe-Herrmann zum Schluß sagte: „. . . so leben wir also in einer Welt, die sich gewandelt hat“, packte über mir die Blaskapelle lautstark ihre Instru­mente ein, und unter mir wurde der Tischtennissieg der A-Mannschaft stürmisch gefeiert.
Nach dem gewandelten Weltbild knipste der Hausmei­ster das Licht aus und sagte: „Gott sei Dank, daß heute mal früher Schluß ist, da kann ich im Fernsehraum noch das Fußballspiel sehen.“
 
Als ich mich langsam wieder durch die Vorhalle hinaus­schlich, härte ich gerade noch, wie einer der immer noch auf und ab gehenden jungen Kulturkaufleute sagte: „Kabarett müßten wir dann auch mal hierhin holen.“
 
1967

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Den möcht´ ich seh´n..." in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung