Die Geheimnisse des Barcelona Chairs

Spektakuläre Design-Ausstellung im Wuppertaler Kolkmannhaus

von Michael Kroemer und Frank Becker

Bei dem Sessel links handelt es sich um eine Leihgabe des Versandhauses BADER in Pforzheim. Er wurde
1959 zum 30. Firmenjubiläum hergestellt und ist galvanisch vergoldet. Foto © Frank Becker

Die Geheimnisse des Barcelona Chairs:
Spektakuläre Ausstellung im Kolkmannhaus
 
 
Die Kunst- und Designhistorikerin Prof. Dr. Gerda Breuer und die Materialwissenschaftlerin Prof. Dr.-Ing. Friederike Deuerler, beide an der Universität Wuppertal tätig, haben gemeinsam ein spektakuläres Projekt bearbeitet: Die Geschichte und Herstellung des Barcelona Chair von Ludwig Mies van der Rohe. Der Barcelona-Sessel des berühmten Architekten wird 80 – Mies hatte den Sessel wie auch den Ausstellungspavillon des Deutschen Reiches für die Weltausstellung in Barcelona 1929 entworfen. Vorläufer war ein gleich konstruierter Hocker gewesen. Im Laufe der Jahre wurde aus dem Sessel eine Design-Ikone, deren rätselhafte Konstruktion Prof. Deuerler aus wissenschaftlichem Interesse in den Röntgenfokus nahm: Die Professorin für Werkstofftechnik führte in Kooperation mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (Berlin) sowie den Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalten in Duisburg und München röntgenologische Untersuchungen der ältesten bekannten Pavillon-Sessel durch, um – zerstörungsfrei! – zu klären, wie

Barcelona Chair - Variationen - Foto © Frank Becker
die Stil-Ikone der Sitzmöbel des 20. Jahrhunderts überhaupt hergestellt wurde.
 
Der „Barcelona-Sessel“ ist seit 1929 ein repräsentatives Sitzmöbel im International Style. Die Untersuchungen ergaben: Er wurde auf unterschiedliche Art und Weise aus sieben Stücken zunächst verkupferten und dann verchromten Flachstahls zusammengesetzt und je nach Herstellungsjahr teils verschweißt, teils verschraubt und genietet. Prof. Deuerler gelang es erstmals, den Produktionszeitpunkt des berühmten Sitzmöbels anhand der Schweißtechniken einzugrenzen und zu bestimmen, wie nahe das untersuchte Stück dem Status des Prototypen, also des Originals, ist. Seine Renaissance erlebte der Sessel ab 1957, ein "sauteures Möbel", wie sich der PR-Spezialist Toby E. Rodes erinnert, "von dessen kostspieliger Produktion die Fa. Knoll International nur durch geschickte Argumentation überzeugt werden konnte." Immerhin kostete der Sessel-Klassiker Ende der 50er um die 860,- DM, das durchschnittliche Monatsgehalt eines leitenden Angestellten. Der hohe Preis hinderte schon damals Design-Fans, vor allem Studenten nicht, alles Geld zusammenzukratzen, um dieses Möbel zu besitzen.

Prof. Breuer und Prof. Deuerler zeigen in einer ab 14. Juli im Kolkmannhaus zu sehenden Ausstellung Beispiele des Möbelklassikers – ein interessantes Spektrum von der frühen Produktion, über Kopien, Plagiate, Variationen, möglicherweise sogar Sessel aus dem Pavillon von 1929, bis hin zum stapelbaren Barcelona Chair aus Kunststoff. Ein Teil der Exponate wurde von der Galerie Geltinger, München und dem Versandhaus BADER in Pforzheim zur Verfügung gestellt, ein Stück von der Stiftung Bauhaus Dessau, einige aus privaten Beständen. Prof. Breuer: „Wir zeigen Beispiele von den unterschiedlichen gestalterischen Auseinandersetzungen mit dem Möbelklassiker, einerseits Versuche, in einen Dialog mit dem Vorbild zu treten, andererseits Bemühungen, dem Original möglichst nahe zu kommen, um so von seiner Einzigartigkeit zu zehren.“

Toby E. Rodes - Foto © Frank Becker


Zur Vernissage heute, 14. Juli, 18.00 Uhr
ist der fast 90-jährige Toby E. Rodes angereist, Jurist und Journalist, international renommierter Public Relations-Fachmann und von 1955 bis 1966 als Mitglied der Geschäftsleitung von Knoll International Chef der Knoll-Töchter in Deutschland,
Italien, Frankreich, der Schweiz und Liechtenstein. Er wird als eloquenter Zeitzeuge zur Entwicklungsgeschichte des Barcelona Chair und zur schillernden Persönlichkeit Mies van der Rohes sprechen.
 

(Galerie im Kolkmannhaus, Hofaue 51-55, 42103 Wuppertal-Elberfeld,
geöffnet Sa/So 11-16 Uhr; bis 23. August 2009.)