Donnerstagmorgen

...mit drei nackten Matronen am Waldrand und einer conclusio

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker
Donnerstagmorgen

mit drei nackten Matronen am Waldrand
und einer conclusio
 
 
Rückblickend muß ich sagen, daß der Morgen in der Bäckerei nichts Berichtenswertes gebracht hat. Höchstens ein paar angefangene Gedanken über den Genuß, in diesem Falle den Kaffee und das Brötchen, auf die ich mich gefreut hatte. Auch diese keine neuen Erkenntnisse, die niederzuschreiben sich lohnen würden.
Erfreulicher war schon das kurze Gespräch mit einem kleinen, weißen Hund, der hinter meinem Stuhl angeleint wurde, auf dem ich vor der Bäckerei in der Sonne saß.  Ein bescheidener Hund, der sich über die Aufmerksamkeit freute, sie aber auch nicht zu erzwingen versuchte. Seine Besitzerin war ein mollige Frau um Mitte Fünfzig, die jeden Morgen Brötchen holt. Was sie sonst noch besorgt, würde ich gerne wissen, denn, egal, um welche Uhrzeit ich komme, sie taucht in der Nähe der Bäckerei auf, immer legitimiert durch den weißen Hund.
 
Schwimmen und Sauna standen auf dem Programm, das sich jetzt anschloß. In der Sauna waren nur wenige Gäste, alle über Fünfzig und Sechzig, ich kannte nur einen von ihnen. Die Sauna und das Land sind ein Ort der Senioren geworden.
Mein Programm war gestrafft, ich hatte noch viel vor, so wie alle Rentner. Das Schwimmen hatte ich abgekürzt, jetzt war ich der Sauna, frischer als sonst, wo ich manchmal alles bis zur Erschöpfung auskoste, das Schwimmen, das Ruhen und das Schwitzen.
 
Ich nächsten Augenblick wurde der Schwitzraum von den übrigen Gästen geentert, zwei Männer, davon einer mir entfernt bekannt, und drei Frauen um die Sechzig, alle kräftig, füllig, aber kraftvoll, und darum ansehnlich. Alle kannten sie sich, und bald fingen sie an, einander zu necken. Die Frauen waren die Offensiven, rechte desperate housewives, und sie trieben die beiden Männer in die Enge. Ich blieb still und unbeschädigt in der Ecke.
Das Amüsante war, wie elegant die drei Fülligen das Florett der Anspielungen schwangen. Albert möge doch nun einmal „seine Mückenstiche zeigen“ – „aber nicht den großen“, rief die andere dazwischen. Sofort wurde sie von der Kollegin zurechtgewiesen, aber sie verteidigte sich, hier werde sie ja gemobbt, aber sie habe genau gesehen, was Egon sich gedacht habe, als er sie so anblickte, und ob sie es einmal beschreiben solle –
Ob das nicht alles sehr unanständig sei, fragte mich mein Nachbar scheinheilig.
„Ich höre das gern“, sagte ich unerschrocken, worauf hin Albert den Empörten spielte.
 
Ich hatte mich schon eine Weile hinausgeschlichen, als die anderen nacheinander herauskamen. Alle hatten zufriedene, glänzende Gesichter.
Drei lebensvolle Frauen hatten Unterdrücktes wie scheue Rehe an den Waldrand gelockt, denen sie ein bißchen Futter gaben.
Für eine halbe Stunde Ruhe blieb dem Rentner noch eigenhändig zugemessene Zeit. Ich lagerte mich auf der Dachterrasse und las in der Erzählung eines Kollegen, dessen Mutter mit unserem verstorbenen Bundespräsidenten in derselben Schulklasse war. Er habe damals Frauenarzt werden wollen, weil man dann alles genauer sehen könne.
 
Auch aus der Lektüre zog ich Folgerungen. Ich darf niemals Bundespräsident werden. Wer weiß, was man alles über mich herausfinden könnte.


© Karl Otto Mühl - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker