Musikstunde

Eine Plauderei über die italienische Oper

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstundestunde

Eine Plauderei über die italienische Oper
(Alles schon mal dagewesen...)
 

D
ie finanzielle Misere der Opernhäuser in Italien ist so ein Thema: von Berlusconi ist da keine Hilfe zu erwarten, der singt lieber selber neapoletanische Volkslieder für CDs, die der Staat als Präsente verhökert und hält das für das Rezept: wenn er die Tarantella knödeln kann, dann können ‚seine’ Italiener sich auch selber die Traviata und den Radames geben. Die Opernhäuser sterben vor sich hin, aber was macht das schon, wo doch eh jeder Italiener Tenor ist und im Zweifelsfall jeden Villazon an die Wand singt. Wenn Berlusconi die Opern zusammenspart bis man das Quietschen im Gebälk für ein hohes C hält, um Geld für sein Lieblingsprojekt zu bekommen: die Brücke nach Messina, die so überflüssig ist wie ein Kropf in der Steiermark, werden wir bald keine Oper mehr im Land der Opern haben. „Das Dach steht in Flammen – Italien spart seine legendären Opernhäuser kaputt“ stöhnte die FAZ und hat ja auch nicht unrecht damit. Nur: kenn ich, hatten wir schon mal, nix Neues. Es genügt, die Entstehungsgeschichte der Lucia di Lammermoor von unserem Gaetano Donizetti anzuschauen, um zu sehen, wozu der Italiener als solcher in Krisenzeiten in der Lage ist und das gibt Hoffnung.
 
Das war so: Donizetti hatte in Neapel schon große Erfolge mit Opern wie „Anna Bolena“, „L’elisir d’amore“, „Lucrezia Borgia“ und „Maria Stuarda“ als er im März 1835 in Paris „Marin Faliero“ herausbrachte – nicht wirklich der Welterfolg. Donizetti mußte wieder zurück nach Neapel (vom König hatte er eh nur bis zum Januar 1835 ‚Urlaub’ bekommen), wo ein Stück für die Eröffnung der Frühjahrssaison gesucht wurde. Er hätte in Neapel gerne einen Pariser Triumph aufgetischt, allein dem war nicht so. Jetzt kam auch noch dazu, daß in Neapel einiges Durcheinander an der Oper war: Giuseppina Ronzi, der Sopran-Star (sie sang in fünf Uraufführungen donizettischer Opern die Hauptrollen), vergrätzte die Oper mit hohen Geldforderungen (sehr zum Ärger Donizettis, der ihr auch sonst näher als es sich gehört gestanden zu haben scheint) und man kam nach 18-tägiger Debatte in der Oper immer noch nicht zu einer Entscheidung darüber, welche Oper denn nun die Saison eröffnen sollte und obendrein war die „Società“, eine Art KG, welche die Geschäfte der Oper leitete, ein unfähiger Haufen der kurz vor dem Bankrott stand. Nach der Uraufführung der Lucia di Lammermoor war das denn auch der Fall. Man nahm dann „Gemma di Vergy“ von Donizetti, obwohl die schon in der vorangehenden Spielzeit nicht gerade der Brüller war. Donizetti hatte mit der Società einen Vertrag, der in seinem Kern folgendes beinhaltete: er hat vier Opern pro Jahr zu schreiben, dafür bekommt er vier Monate vor der Uraufführung ein von der Zensur bereits genehmigtes Libretto – kann also dann wirklich drauflos komponieren ohne sich um diese bürokratischen Hürden scheren zu müssen. Wenn einer schnell komponieren kann wie Donizetti, war das ein durchaus angenehmer Vertrag. Donizetti wartete offiziell Anfang Mai immer noch auf das Libretto (die Uraufführung sollte in Juli sein), hatte aber insgeheim schon mit Cammarano angefangen, an der Lucia zu arbeiten. Das wurde ihm von der Società als Vertragsbruch ausgelegt (man wollte nämlich nicht, daß sich der Komponist selbst den Librettisten aussucht, warum auch immer), gegen den sich der Meister heftig wehrte. Tatsächlich hatte er sich wegen des Stoffs der Lucia schon selber mit der Zensur in Verbindung gesetzt und diese Herren waren ausgesprochen kooperationsbereit. Im Handumdrehen – tatsächlich schneller, als es Donizetti erwartet hatte – war das Libretto genehmigt, am 6. Juli 1835 war die letzte Note komponiert. Der Meister hatte für die Komposition der Oper satte sechs Wochen gebraucht! Nun konnte sie zwar nicht am selben 6. Juli – wie ursprünglich geplant – aufgeführt werden, aber es war schon mal alles fertig. Aber jetzt ging das Durcheinander erst richtig los. Es war praktisch kein Geld mehr da, es wurden keine Gagen bezahlt, die Sängerinnen und Sänger hörten auf zu proben, ganz Neapel verfolgte genüßlich das Desaster. Donizetti selbst erleidet einen der Syphilis zu verdankenden Fieberschub, der dazu führt, daß er ausgerechnet diese Oper mehr oder weniger in dem Zustand, der die Wahnsinns-Arie kennzeichnet, komponiert und dann droht zu allem Überfluß auch noch der Vesuv auszubrechen! Er selbst beschreibt das in einem Brief so: „Die Krise ist nahe, das Publikum hat es satt, die Società teatrale ist sich am auflösen, der Vesuv raucht und der Ausbruch ist nahe“. Na, denn man tau! Wozu mir nur ein Ausspruch eines Onkels eines meiner Freunde einfällt: „Auf die ein oder andere Weise geht’s immer – auf keine ist es noch nie gegangen!“ Nun ist es natürlich – obwohl er selber auch kein Geld bekam – auf die eine Weise doch gegangen. Die Sängerinnen und Sänger haben sich beruhigt, plötzlich war doch irgendwie Geld da und der König hatte ein Machtwort gesprochen: die Lucia ist aufzuführen und fertig. Am 26. September 1835 wurde die Lucia uraufgeführt, es war – wie das in Neapel bei Erfolg nicht anders zu erwarten ist – ein terremoto, ein Erdbeben, ein Triumph. Tatsächlich war diese Aufführung einer der größten Triumphe der neapolitanischen Oper, und zwar überhaupt, wie der Rheinländer gerne steigert.
 
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist einer der Gründe, warum ich bei solchen Nachrichten aus Italien, nie, NIEMALS, in Depressionen verfalle!
 
Ihr
Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker