Über Kochkäse

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über Kochkäse
 

Ich mag an Kochkäse so, daß sich sein Rest versammelt und geschlossen zurückläuft in seine ursprüngliche Form, nur immer weniger und immer ein Rest, nur immer weniger und immer ein Rest.
Man nimmt den Kochkäse aus seinem Plastiktopf, reißt tiefe Krater und Risse in seine Oberfläche, und eh' man sichs versieht, zieht sich der Rest wieder zusammen zu einer makellosen Ebene, ganz gelber See, vom Mond beseelt, ein Stilleben der Post. Und die kleinen schwarzen Kümmelkörner sind die gerade losgeschickten Briefträger auf dem Wege zum Postkunden im zartgelben Morgen­grauen.
Wissen Sie, ich mag an Kochkäse so, daß er sich nicht entstellen läßt, er achtet auf sich, er gibt nicht auf, er besteht auf seiner Vollkommenheit.
Ich mag an Kochkäse so, daß er hofft, durch sein Zu­rückweichen einem erneuten Eingriff des Menschen zu ent­gehen. Wie dumm der Kochkäse ist, es reizt doch gerade, das Vollkommene zu zerstören - deswegen heiraten doch Männer Frauen, Kinder werden Erwachsene, und die Post wird Telekom.

Foto © Frank Becker
Schade ist nur, daß die Erde diesem Beispiel des Koch­käses nicht folgen kann. Die Erde bleibt bei einem Eingriff aufgerissen und zieht sich nicht wieder zusammen zu einer makellosen Oberfläche wie der Kochkäse, und putt bleibt putt: »Die kleine Therese, die schickt mir gern Käse, egal was es kost', sie schickt's mit der Post.«
Ich sag Ihnen was: »200 Jahre deutscher Kochkäse«, das wäre ein schönes Briefmarkenmotiv. Eine gelbe, sich dehnende Briefmarke, die beim Stempeln Kümmelkörner hochspringen läßt, das wär's.
Nicht Geld macht glücklich, Gelb macht glücklich! Nicht Gelb macht glücklich, Kochkäse macht glücklich.


© Erwin Grosche