Independence Day für The Borough
Benjamin Brittens “Peter Grimes” als Geisterbahnfahrt
Saisoneröffnung an der Rheinoper unter neuer Intendanz
Premiere: Düsseldorf, 18.9.2009
Regie: Immo Karaman - Bühne: Kaspar Zwimpfer - Kostüme: Nicola Reichert - Licht: Volker Weinhart - Choreografie: Fabian Posca - Fotos: Hans Jörg Michel Besetzung: Roberto Francesco Saccà (Peter Grimes) - Gun-Brit Barkmin (Ellen Orford) - Ivaldo Bessière (Lehrling) - Tomasz Konieczny (Balstrode) - Jane Henschel (Auntie) - Elisabeth Selle (Nichte 1) - Anett Fritsch (Nichte 2) - Florian Simson (Bob Boles) - Sami Luttinen (Swallow) u.a.m.
Die Düsseldorfer Symphoniker, Leitung: Axel Kober - Chor: Gerhard Michalki
The Fog
Was ist nur aus der Kleinstadt The Borough geworden, jenem beschaulichen kleinen Fischerdörflein an der Ostküste Englands, nachdem anscheinend ein riesiges Ufo alles platt gemacht hat? Die große Hitze der Triebwerke hat, so sieht es aus, das gesamte Dorf zu einem großen silbrig glänzenden,
Under Uncton
Ein Dorf der Verdammten also. Die wenigen Überlebenden haben sich anscheinend zu einer Satanisten-Gemeinschaft zusammengefunden, denen Tageslicht so zuwider ist, wie in jener englischen Dorfgemeinschaft namens „Unter Uncton“ („Eine schrecklich nette Familie“ Staffel 6) welche vom Fluch der Finsternis befallen ist. Ständig versammeln sich die Dorfbewohner, stieren und
gieren ins Nichts, als wenn alle jederzeit den Leibhaftigen erwarten würde. Sie sind zu Zombies mit blutunterlaufenen Augen mutiert und wirken ansonst ausgesprochen blutleer. Nosferatu läßt grüßen! Überhaupt ist das alles bis zum Schluß eine sehr unappetitliche Atmosphäre, als wären wir im Film Sweeney Todd gelandet. Wenn sich die Dorfgemeinschaft zum Tribunal gegen den Außenseiter Peter Grimes aufmacht, dann stülpen sie sich die dunklen Kapuzen ihrer schwarzen Regenkleidung in einem symbolischen Akt dermaßen rituell über, wie die Schergen eines wie immer gearteten Ablegers des Ku Klux Klan, welcher die letzten Überlebenden jagen will. Erinnerungen an den Omega Man mit Charlton Heston tauchen in meinem Gedächtnis auf. Alptraum-Szenario
Sehr filmisch wird das also erzählt und das gigantische Dekor der Bühne von Kaspar Zwimpfer ist
Die Solisten, die Britten doch mit einer ausgesprochen präzisen und typischen Musikalisierung und Textzeichnung sehr individuell portraitiert, kommen im Gemenge der Massen und dem düsteren Unisono der ausgezeichneten Choristen (5 Sterne für Chorleiter Gerhard Michalki!) leider weniger zur Geltung, auch gesanglich. Dennoch muß eine qualitativ doch recht hochwertige Sangesleistung durchgehend attestiert werden. Wacker schlägt sich Ivaldo Bessière in der nicht leichten Statistenrolle des Grimes-Lehrlings.
Gun-Brit Barkmin überragend
Überragend und eine echte Entdeckung allerdings ist Gun-Brit Barkmin als Lehrerin Ellen Orford. Ihre vokale Leistung ist wirklich sensationell. Eine Musiktheaterdarstellerin mit nicht nur grandioser Bühnenpräsenz, sondern auch perfekter Artikulation. Brava! Weniger überzeugend war für mich Startenor Roberto Francesco Sacca in der Hauptpartie des Peter Grimes. Das Wort „Fehlbesetzung“ drängt sich ehrlicherweise auf. Sacca ist ein netter Kerl, ein grandioser Mozart- und Rossini-Sänger, und auch den David in Wagners Meistersingern hat er mit
Gigantomanie und dennoch sehenswert
Regisseur Immo Karaman hat sich allzusehr in seinem Bühnenkonzept der großen Bilder und der bedrohlichen Chormassen verfangen, und damit der Individualität der Hauptpersonen wenig Raum gelassen sich zu entwickeln. Die Gigantomanie von Zwimpfers Bühne erschlägt so ziemlich alles. Dennoch ist es spannendes Musiktheater mit etwas anderen Perspektiven, als üblicherweise bei einer Grimes-Produktion zu sehen sind. Eine wirklich mutige Entscheidung der neuen Führungscrew von Christoph Meyer, seine Ära mit dieser phantastischen Oper zu beginnen, welche in Düsseldorf leider praktisch unbekannt ist, statt auf „Meistersinger“ oder ähnlich Populäres zu setzen. Der Opernfreund empfiehlt, trotz aller Merkwürdigkeiten: Unbedingt anschauen! Ein Muß für die Freunde großer Chormusik! „Peter Grimes“ ist ein Jahrhundertwerk, das man kennen sollte.
Redaktion: Frank Becker
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