Stimmen in der Heizung

oder: Warum küßt Salome nicht den abgehackten Kopf?

von Pierre Causeur

  P. Causeur © Archiv Musenblätter
Stimmen in der Heizung oder
Warum küßt Salome nicht den abgehackten Kopf?
 
Kein gemütlicher Familientag in der Oper
 
Meine Kinder gehen gelegentlich auch in die Oper; meist mit meiner Frau. „Hänsel & Gretel“ dann „Der Freischütz“ auch „Die Zauberflöte“ waren schon dran, alles nette Öperchen und schön leicht, manchmal auch seicht verständlich - jedenfalls bisher. Die Kinder werden älter und da wollte ich ihnen nun gestern für teures Geld endlich eine gute große Oper zeigen: „Salome“ von Richard Strauss. Das Stück hat nicht nur die richtige Kürze, sondern auch musikalische Würze, ein biblischer Stoff in mitreißender Musik. Genau da setzen wir an, um die Bildungsdefizite aus der Schule zu kompensieren – der Musikunterricht fällt für meine Kinder schon seit Jahren aus. „Salome“ ist sehr bildungswürdig. Sage ich noch meiner Holden.
 
„Paß auf!“ sagte mein Grundstücks-Nachbar, ein wehleidiger Opernkritiker: „Wer heute in die Oper geht, erlebt oft sein blaues Wunder!“ Er habe von der Regisseurin nichts Gutes gehört.
 
Bald sind wir in der Duisburger Oper. Zeitig genug, um wenigstens einen kleinen Blick noch ins Programmheft zu werfen – zumindest für meine Kiddies – ich kenn die Oper ja in- und auswendig. Etwas irritierend schon die seltsame Inhaltsangabe: "Salome rechnet mit der ganzen sie umgebenden Welt ab!" - wie bitte? - "Heh Papi, da steht aber etwas völlig anderes, als im Opernführer!" Ich lese nach…tatsächlich! Seltsam, seltsam.
 
Nun haben wir die teuren Karten, jetzt gehen wir auch rein!
 
Es geht los. Wunder will ich Euch künden: Kein Palast, keine Zisterne, keine Terrasse. Nein, eine biedere Gelsenkirchener Barock-Wohnung aus den 50ern. Die Kostüme sehen aus, wie direkt von der Altkleidersammlung. Das Geld hat anscheinend nicht für eine echte Kostümbildnerin, wie es sie früher gab, gereicht, denke ich. „Irrtum Meister!“ belehrt mich später am Ende mein Sitznachbar, als ich es meinen Kindern erklären will. „Die Kostümbildnerin gibt es, sie ist mehrfach preisgekrönt und erhält eine mindestens fünfstellige Summe dafür!“ Wofür? Zurück zum Anfang.
 
Da alles schön hell ausgeleuchtet ist, kann man prima noch das Programmheft lesen. Neben mir kritzelt sogar ein Typ permanent in seinem Programmheft herum, ein Kritiker bestimmt. Also lese ich weiter, da im Moment auch noch nicht viel auf der Bühne passiert, und da steht, daß die Muster der Tapeten, Vorhänge und Teppiche extra für diese Aufführung erfunden und gedruckt wurden. Donnerwetter! Also ich hätte da noch Ähnliches in meiner Zweitwohnung in der Ex-DDR. Die hätte man gratis haben können.
 
Wofür wird eigentlich ein Bühnenbildner bezahlt, wenn es nur ein kleines Zimmerchen gibt, in dem Alltagsmöbel herumstehen? Das frage ich mich still, denn wie sich jetzt langsam herausstellt, ist dieses Zimmerchen das Zentrum der gesamten Handlung. „Muß man in der Rheinoper jetzt besonders sparen?“ Flüstert mein schon etwas opernerfahrener Sohn. „Ruhe!“ dröhnt der 2-Meter-Typ vor mir, der schweißgebadet schon die ganze Zeit ob dessen, was da auf der Bühne abläuft, den Kopf schüttelt.
 
Als erfahrene Kinogänger und Actionfans waren meine Kinder natürlich schon aufgeklärt über blutige Effekte, und darüber wie man solche Stunts macht. So waren sie, anscheinend im Gegensatz zum Restpublikum weniger schockiert, als das erste Opfer auf der Bühne doch recht realistisch und blutreich erstochen wird. „Hast Du gesehen Papa, wenn man mehrmals auf das Messer drückt, kommt vorne tierisch viel Tomatenketchup raus!“ – „Ruhe!“ Schon wieder der Krawallrambo vor mir – anscheinend ein echter Opernfan. Ich entschuldige mich.
 
Nanu, warum horchen plötzlich alle an der Zentralheizung? Bevor meine Tochter fragt, flüstere ich „Das ist wohl Jochanaan, der Geist aus dem Heizungsrohr!“ Was Blöderes fiel mir nicht ein. Später kriecht er aus einer Bodenklappe. Das war wohl der Untermieter. Irgendwie kommt mir der Sänger bekannt vor – sieht aus wie….. „Uwe“ so und so. Ich hab ein schlechtes Namensgedächtnis.
„Ist das jetzt Salome oder Der Fliegende Holländer?“ fragt ein Zeitgenosse hinter mir seine Frau. Als der 2-Meter-Koloss sich wutentbrannt umdreht, grinse ich ihn so friedvoll freundlich, wie ängstlich an „Ich war´s nicht! Der da, hinter mir, war´s! Ehrlich!“
 
Junge, jetzt wird es richtig spannend, denn man versteckt gerade die Leiche des justament Ermordeten unter dem großen Teppich. Meine Kinder flüstern „Heh Paps! Nur ein Idiot würde nicht erkennen, daß da unter dem Teppich eine Leiche liegt!“ Ich nicke schweigend, die Hand an die Lippen legend, und denke spontan an den blöden Witz mit dem Teppichverleger.
 
Interruptus humoricus: Der Teppichverleger hat den Teppich im großen Wohnzimmer gerade schön verlegt bzw. verklebt und will sich nun, nach getaner Arbeit, eine Zigarette anzünden. Ups, wo ist die Zigarettenschachtel, fragt er sich in Panik. Und tatsächlich, da sieht er schon den Knubbel mitten im Zimmer unter dem neu verlegten Teppich. Alles noch mal rausreißen? Was für ein Wahnsinn? Also geht er hin, springt mehrfach drauf und tritt das Malheur platt. Das sieht keine Sau! Da kommt die Hausfrau und gibt ihm seine Zigarettenschachtel. “Entschuldigung, sie hatten ihre Zigaretten im Flur liegen gelassen! Aber haben Sie nicht irgendwo meinen Hamster gesehen?“ Ich kann mein Lachen kaum zurück halten. Meine Kinder glotzen mich blöd und fragend an. Unter uns: Selbst beim 30. Mal kann ich über diesen dämlichen Witz noch lachen!
 
Wozu Oper alles inspiriert. Gott sei dank nähern wir uns schon langsam dem Ende. „Boing – das ist ja wie bei Rambo, alle werden kaputt gemacht!“ Flüstert mein Sohn mir begeistert ins Ohr. – Tatsächlich, auf der Bühne fließt das Theaterblut schon in Hektolitern, ein Massaker findet statt. Das stand aber nicht im Programmheft. Aber was ist das für ein Schnippel, den Salome gerade blutig aus den Lenden einer Wache rausgeschnitten hat und nun demonstrativ in die Höhe hält?
 
Ihr Ferkel da an der Rheinoper!!! „Perverse Sau“ ruft der Opernkenner vor mir.
 
Die Fragen meiner aufgeweckten und gut aufgeklärten Kinder auf dem Weg nach Hause „Papa, warum bumsten die Männer nicht die Frauen, sondern die Männer, obwohl doch genug Frauen da waren?“ und  weiter„Warum hat denn Salome jetzt den abgeschlagenen Kopf des Penners nicht geküßt?“, und die dritte fragte heulend „Bäh, warum mußte Uwe Ochsenknecht sterben?“ Quittierte ich mit einem jovialen: „Mama fragen!“ Und beschloß in diesem Moment, nie wieder mit meinen Kids in die Oper zu gehen.
„Ach, eigentlich war das ziemlich langweilig, Papa. Da gehen wir lieber demnächst ins Kino!“
Gute Idee, läuft doch in meinem alten Studenten-Programmkino gerade der wunderbare alte Pasolini-Streifen „Salo oder die 120 Tage von Sodom.“
 
Redaktion: Frank Becker