Ansichtskarten

von Friederike Zelesko

Foto © Frank Becker
Manche Menschen reisen hauptsächlich in den Urlaub, um Ansichtskarten zu kaufen, obwohl es doch vernünftiger wäre, sich diese Karten kommen zu lassen.
(Robert Musil)
 
 
Ansichtskarten
 
   Die Nordsee vor Domburg kennt keine Kompromisse. Ihr Kommen und Gehen ist angesagt. Der Strand mit weißen Holzkabinen angerichtet. Die Kabinen sagen uns, wie weit die Flut im Sommer gehen darf. Die Flut kommt und geht. Regelmäßig und ohne Eile. Ein wenig aufgehalten von den Wellenbrechern, aber ungeduldig erwartet von den Muschelsuchern.
 
   Unser Kommen ist nicht angesagt. Unsere Eile angetrieben von der Freude einer Ansicht auf Wasser und Himmel ohne Ende. Wer an Ziegel- und Schotterteichen geboren ist, oder an mit wildem Grün zugewachsenen Tümpeln, Staubecken und Mauerbächen aufgewachsen, dem genügt plötzlich der bepflanzte Teich eines Stadtparks nicht mehr. Dann ist es vernünftig für ein paar Tage eine Stelle an der See zu suchen. Die Tauben, Spatzen und Amseln gegen die mit dem Wind verschwisterten Möwen einzutauschen. Wind und Möwen halten zusammen. Geschwister, die den Schlaf, die Nahrung, das nimmermüde Spiel der Strömungen teilen.
 
   Wir teilen uns das Käsebrot, den Kaffee aus der Thermoskanne, die heißen Fritten mit Mayo und Ketchup aus der Bude im Strandcafe. Wir sind Teil des Vorwärts- und Rückwärtsschaukelns der Wassermassen, die in den Ohren geräuschvoll zusammenprallen, des unsicheren Tritts im Sand. Wir wechseln uns ab im Reden, im augenblicklichen Schweigen. So wie es die sich ständig in andere Gesichter verwandelnden Wolken feierlich fordern.
Wir gehören der Düne, die ihre Form im spärlichen Wuchs niedriger Eichen findet, oder im harten Gras, das den Wind aus jeder Richtung zerschneidet. Wir werden müde vom Schauen in diesen fotogenen Sonnenuntergang.
 
   Später regnet es im Hinterland, das geduckt und geschäftig sich mit triefenden Hortensien in den Vorgärten der Häuser und einer Windmühle, die Mondrian in Rot und Blau malte, von der See abkehrt. Wir schreiben Ansichtkarten.
 

© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009