Weimar: Turandot – Der Bajazzo

Ein Doppel-Abend der commedia dell’arte.

von Alexander Hauer
Deutsches Nationaltheater Weimar 
 
Turandot – Der Bajazzo
 
Ein Doppel-Abend der commedia dell’arte. Einmal in überbordender Lebensfreude, einmal tragisch. Lydia Steier gelang es mühelos.
 
Regie: Lydia Steier* -  Musikalische Leitung: Martin Hoff - Kostüme: Ursula Kudma – Bühne: Martina Segna – Dramaturgie: Michael Dißmeier - Fotos: Anke Neugebauer
Besetzung: Renatus Mészár (Altoum, Kaiser) - Sonja Mühleck* (Turandot,) - Janine Metzner** (Adelma) - Thomas Piffka* (Kalaf) - Philipp Meierhöfer (Barak) - Susann Günther (Die Königin-Mutter von Samarkan) - Frieder Aurich (Truffaldino) - Philipp Meierhöfer (Pantalone) - Alexander Günther,
Ji-Su Park** (Tartaglia) - Janine Metzner** (Eine Vorsängerin) - Pieter Roux (Canio) - Larissa Krokhina, Jana Havranova* (Nedda) - Alexander Günther*, George Gagnidze (Tonio) - Frieder Aurich (Beppe) - Artjom Korotkov (Beppe) - Uwe Schenker-Primus (Silvio) - Andreas Koch, Oliver Luhn (Erster Bauer) - Klaus Wegener, Jens Schmiedeke(Zweiter Bauer)
 
 
Zunächst die busonische Turandot
 
Kalaf gibt sich in die Fänge Turandots, Prinzessin in einem seltsamen Reich, regiert von einem altersmüden Kaiser. Das Fräulein Tochter führt ein seltsames Regiment über ihren Hofstaat, eine Mischung aus Berliner Halbwelt und italienischem Straßentheater. Sie, die Herrin über die Männer, gebietet über Leben und Tod, und der Mann begibt sich freiwillig in ihre Fänge. Er, der gelangweilte Bürger des ausgehenden 19.Jahrhunderts, der seine eigene Frau nur noch domestiziert kennt, sucht die Gefahr bei einer unberechenbaren, alles dominierenden Frau. Turandot stellt ihre drei Rätsel,

Sonja Mühleck (Mitte) - Foto: Anke Neugebauer
Kalaf beantwortet sie, Turandot droht mit Selbstmord, Kalaf stellt ihr die berühmte Gegenfrage. In dieser Nacht kämpft Turandot, soll sie die Domina bleiben oder zieht sie eine bürgerliche Existenz vor? Ihre Sklavin Adelma kennt Kalaf noch von früher, liebt ihn immer noch, verrät aber seinen Namen, um ihrer Freilassung willen. In dieser aussichtslosen Situation schafft  Busoni ein Ende, das an Unglaubwürdigkeit kaum zu überbieten ist. Turandot verzichtet auf die Hinrichtung Kalafs, beide werden ein Paar. Der Schlußchor gerät zur zweifelhaften Farce auf das sich liebende Paar. Soweit der Inhalt der viel zu selten gespielte Oper.
 
Die Bühne von Martina Segna, eine drehbare Treppenkonstruktion, von der Seite betrachtet ein überdimensionaler High-Heel, ist das einzige Bühnenelement. Der Kaiser und seine Minister werden von goldbemalten Statisten auf Wägelchen durch das Geschehen gefahren. Die Kostüme von Ursula Kudrna sind inspiriert von anarchischem Straßentheater des 20. Jahrhunderts, viel Lack und Leder, Uniformen und scharf Bestrapstes. Lydia Steier inszeniert in bester Jerome Savary Manier, schnell, spritzig und voll schrägen Humors. Der erste Teil des Abends endete in mehr als zufriedenen Applaus.
 
Nach der Pause – Bajazzo - Die amerikanische Lösung
 
Kein Italien, keine südlich flirrende Sonne, keine frommen Feste. Lydia Steiers Bajazzo spielt in einem Amerika zwischen zwei Kriegen. Die Kostüme erinnern an die Barbie- und Ken-Kollektion aus der Zeit zwischen Korea und Vietnam. Canio ist Besitzer des Kaufhauses „Pagliacci“. Die Inszenierung folgt dem traditionellen Schema, doch hat Lydia Steier einige Ergänzungen und Änderungen vorgenommen. Im Mittelpunkt der Oper steht Canio jr. Aus der Sicht eines Kindes erlebt der Zuschauer den Ehekonflikt zwischen Canio und seiner Nedda. Und noch eine Änderung gibt es. Nedda, im Original eine Gauklerin, also am unteren Ende der gesellschaftlichen Skala, liebt einen Bauern, in Weimar liebt die Kaufhausbesitzerin einen Fensterputzer, auch sorgt diese Liebe „nach unten“ für weitere Konflikte innerhalb des Geschehens.

Jana Havranova, Uwe Schenker-Primus - Foto: Anke Neugebauer
 
Am Christmas Eve, der amerikanischen Version des Heiligen Abends, lädt Canio zum traditionellen Komödienspiel in sein Kaufhaus ein. In der Parfümerieabteilung steigt das Spektakel um Santa und seine ungetreue Mrs. Santa. Und wie im Original gerät das Spiel zur Tragödie. Canio läuft Amok. Was hier nach überkandideltem Regietheater klingt, ist  ein großartiges Stück  bodenständigen Handwerks. Die Verlegung der Handlung in eine andere Zeit, an einen anderen Ort ist durchaus legitim. Die Handlung des Bajazzo wird nicht verändert, das Werk nicht zerstört. Anfängliche Verstörungen weichen einer faszinierenden Personenregie, welche die sozialen Konflikte fast schmerzlich darlegt.
Nach anfänglicher Betroffenheit endete auch der zweite Teil in frenetischem Applaus.
Aber was verbindet die beiden Stücke? In beiden Werken geht es um die Suche nach Namen. Turandot muß Kalafs Namen suchen, Canio verlangt den von Silvio. Doch spätestens seit Händels Semele weiß man in der Oper, daß das Erraten von Namen nichts Gutes bringt. So auch an diesem Abend. Turandot verliert sich in der Bürgerlichkeit, Canio wird zum Mörder an Silvio und an seiner Familie.
 
Hohes Niveau bei Staatskapelle und Solisten

Unter der musikalischen Leitung von Martin Hoff spielt die Staatskapelle Weimar auf gewohnt hohem Niveau, der Chor (Einstudierung Markus Oppeneiger) besticht gleichermaßen durch Sangeskunst wie Spielfreude. Stellvertretend für die Solistenriege seien nur einige genannt. Renatus Mészár als Altoum bestach wie gewohnt durch Stimme und Spiel. Sonja Mühlecks Turandot, stimmlich bestechend, genauso wie Adelma(Janine Metzger) und Susann Günther als die Königin von Samarkand. Im Bajazzo überzeugten Jana Havranova als Nedda und Uwe Schenker-Primus als Silvio.
 
Wieder mal bewies das Nationaltheater Weimar, daß modernes Theater nicht abgedreht und unverständlich sein muß. Solides Regiehandwerk kombiniert mit überdurchschnittlichen musikalischen Leistungen wird dafür sorgen, daß die Oper nicht untergehen wird.
 
Weitere Informationen unter: www.nationaltheater-weimar.de
 
Redaktion: Frank Becker