"Quelle" adieu!

Ein wichtiges Stück deutscher Handelskultur stirbt. Omen für die Gesamtwirtschaft?

von Frank Becker

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Eine Epoche geht zu Ende


Genau genommen sind es bis heute ja 82 Jahre, in denen das Fürther Versandhaus Quelle/Schickedanz seine Kunden mit Waren aller Art beliefert hat. Für die deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg aber hat das Unternehmen, das 1948/49 nach einem bescheidenen Wiederanfang aus den Trümmern der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft zu einem der erfolgreichsten Handelshäuser der Geschichte aufgestiegen ist, besondere Bedeutung.

Das gilt für die Wirtschaftsgeschichte ebenso wie für das Selbstbewußtsein eines ganzen Volkes.
 
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Es gab nach der Währungsreform wieder etwas zu kaufen und die Deutschen begannen, auf in jeder Hinsicht verbranntem Boden einen Wiederaufbau, der heute als das "Wirtschaftswunder" längst Legende ist. Man konnte, durfte das Gefühl entwickeln, "wieder wer zu sein".  Ein bedeutsames Ereignis dieser Zeit war auch der Gewinn des Jules Rimet Pokals durch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft unter Sepp Herberger bei der Weltmeisterschaft 1954 in Bern. Wer dabei gewesen ist, wird ermessen und berichten können, was es bedeutete, aus dem Nichts mit den eigenen Händen innerhalb von knapp zehn bis fünfzehn Jahren ein Gemeinwesen das funktionierte und eine Wirtschaft die florierte aufzubauen, wo Trümmer und Schuld ein Volk in die Knie gezwungen hatten. Gustav (1895-1977) und Grete (1911-1994) Schickedanz gehörten als Neugründer ihres Unternehmens "Quelle" ebenso wie der Verleger Reinhard Mohn (1921-2009) und Philip Rosenthal (1911-2001) als Chef der berühmten Porzellanmanufaktur zu den interessantesten Persönlichkeiten der Wirtschaft dieser Zeit des Aufbruchs.

Wie Reinhard Mohn begriff das Ehepaar Schickedanz sehr schnell, daß es enorme Chancen bot,

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den Kunden "aufzusuchen", sprich: ihm per Katalog ein Angebot zu unterbreiten, aus dem er bequem zu Hause auf dem Sofa oder am Küchentisch auswählen und bestellen konnte - was ihm dann per Post zugestellt wurde. Andere Versandhäuser wie u.a. Neckermann, Otto, Witt, Schöpflin und Baader folgten dem Muster. Erfolg hatten alle - Quelle blieb Marktführer. Die Palette wurde breiter, bald gab es neben anfangs begrenzten Angeboten an Kleidung und Dingen des täglichen Bedarfs - Luxus kam erst später - alles was man auch bei einem großstädtischen Einkaufsbummel in den Warenhäusern und Einzelhandelsunternehmen finden konnte: Mode, Wäsche, Tabakwaren, Schuhe, Elektrogeräte, Lebensmittel,
Pralinen, Kaffee, Möbel, Radio- und Fernsehgeräte, Spielzeug (welches Kind hätte nicht mit glühenden Wangen die wenigen Seiten mal um mal sehnsüchtig betrachtet), Sportgeräte, Fahrräder, Schmuck, später auch Mopeds, Motorroller Waschmaschinen, Reisen - und Kredite. Sogar Autos wurden einmal angeboten.


D
er Katalog schwoll von 68 Seiten auf Zeitungspapier (1953) auf mehr als 1.400 Seiten auf

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Kunstdruckpapier (2005) an. Alleine der Versand war eine logistische Leistung. Es gab also fast nichts, was es nicht gab. Das war in den Anfängen besonders für die Menschen attraktiv, die auf dem Lande oder in wirtschaftlich noch nicht erschlossenen Regionen lebten. Hier war der saisonale Quelle-Katalog auch das Familienereignis der Saison. Jeder, wirklich jeder blätterte ihn durch. Und für jeden war auch etwas dabei. Auch unter dem Weihnachtsbaum fanden sich natürlich Geschenke aus dem Versandhaus. Es heißt jetzt, daß das Unternehmen "Quelle"  sich nicht schnell genug dem Zug der Internet-Zeit angepaßt
habe. Darin sei der Grund für das Scheitern und die letztliche Insolvenz zu suchen. Sieht man sich aber das globale Schachern an, bei dem gigantomanische Konzerne - gleich ob im Bereich Handel, Bankenwesen, Kommunikation, Fluggesellschaften, Chemie,  Pharma, Transport oder Energie - Unternehmen oft unter brutalem Druck an sich reißen ("feindliche Übernahmen" sind an der Tagesordnung und nicht ehrenrührig, obwohl sie so extrem menschenverachtend sind wie die Gasangriffe Saddam Husseins gegen sein eigenes Volk) und schließlich wie eine ausgezuzzelte Weißwurstpelle wegwerfen, dürfen an dieser Sicht gewisse Zweifel aufkommen.

Am 20. Oktober 2009 wurde verkündet, daß das Traditionsunternehmen "Quelle", Teil des Arcandor Konzerns, insolvent ist und "abgewickelt" wird. Ein erfolgreiches Traditionsunternehmen ist aufgekauft, geschlachtet und abgewirtschaftet worden. 7.000 Menschen verlieren ihre Arbeit. Die
Lohnzahlungen werden eingestellt. Das hat selbst eine staatliche Bürgschaft von 50 Millionen (!) Euro nicht verhindern können. Irgendwer hat sein Schäfchen im Trockenen. 7.000 Familien aber müssen bangen und sich auf das Sozialsystem verlassen. Das wiederum finanzieren Sie und ich mit unseren Steuern. Diejenigen, die "Quelle" abgewirtschaftet haben, zahlen es sicher nicht. Es ist deutlich, daß damit eine Epoche zu Ende geht. Doch was folgt? Man darf die Befürchtung äußern, daß das der sichtbare Anfang, sozusagen die Spitze eines unvorstellbaren Eisbergs ist. "Quelle" adieu. Wir werden Dein Andenken bewahren.