Spannende Auseinandersetzung mit Richard Wagner

Anhaltisches Theater Dessau: "Lohengrin", inszeniert von Andrea Moses

von Alexander Hauer


Anhaltisches Theater Dessau  
 
 Lohengrin
 

Der von vielen herbeigesehnte, von vielen befürchtete Führungswechsel in Dessau blieb ohne große Folgen. Ja, es weht ein neuer Wind, aber die Qualität der Inszenierungen und die musikalische Leistung blieben auf dem gleichen hohen Niveau. Dies ist mein Eindruck nach Andrea Moses’ klug durchdachtem und von Antony Hermus außergewöhnlich transparent geführtem Lohengrin am 22. November.
 
Don´t cry for me Brabant

Zusammen mit Andrea Moses befreite Hermus den Lohengrin von seiner romantischen Last  -

Foto © Claudia Heysel
Wagner, ohne seine Schwere, bekam Swing.
Andrea Moses betrachtete den Text genau, mit chirurgischer Präzision sezierte sie die Inhalte, setzte sich auf das genaueste mit dem musikalischen Subtext auseinander und schuf so zusammen mit ihrem Team einen höchst aktuellen, politischen Opernabend: Der Heilige Gral als Heilsversprechen, um einen Krieg im Osten zu führen ( ganz aktuell, seit einiger Zeit wird ja Deutschland auch am Hindukusch verteidigt, danke, Herr Struck!). Nachdem die Brabanter Heinrich zunächst die Gefolgschaft für seinen Krieg gegen Ungarn verweigern, zaubert er eine weitere politische Marionette herbei. Lohengrin erscheint aus der Unterbühne, Videoeinspielungen (Chris Kondek und Jens Crull) im Stil deutscher und amerikanischer Wahlspots, unterstreichen seinen Auftritt. Andrew Sritheran ist ein stimmlich sicherer, seine Kräfte klug einteilender, baritonal gefärbter Lohengrin. Er gestaltet seine Rolle als eiskalter Machtpolitiker, durchaus bereit, seine Gegner zu töten, ist sich aber seiner Rolle als Marionette von Heinrich durchaus bewußt. Dieser Lohengrin weiß schon von Beginn an, daß er Elsa verlassen muß und wird.
 
Elsa als zentrale Figur

Bettine Kampp ist eine psychisch labile Elsa, durch jahrelange Gefangenschaft tablettenabhängig. Sie erkennt, wenn sie sich retten will, muß sie diesen Lohengrin heiraten, egal unter welchen Bedingungen. Spätestens aber seit der Fragestellung im Brautgemach beginnt ihre Emanzipation, und am Ende der Oper sieht sie als einzige das Unheil mit klaren Augen. Frau Kampps warmes Timbre und die klare Textverständlichkeit lassen diese Elsa auch musikalisch zu einem Hochgenuß werden.
Die Gegenspieler, Ortrud und Telramund (hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein ehrgeizige Frau), Iordanka Derilova und Ulf Paulsen, sind wie erwartet einfach sensationell. Die schauspielerische Leistung der beiden steht  der gesanglichen in nichts nach. Ulf Paulsen, eher lyrischer Bariton, hat Möglichkeit zu schon fast brutalen Ausbrüchen, Derilovas glockenklarer Sopran, der Rolle angepaßt, eiskalt und wunderbar verständlich (zum ersten Mal, nach vielen, vielen Lohengrinen habe ich verstanden, was Ortrud bei der Anrufung der alten Götter singt).

Zeitlos hochpolitisch
 

Foto © Claudia Heysel
Pavel Shmulevich als Heinrich steht in Moses’ Deutung im Mittelpunkt der Inszenierung. Seine Erscheinung ist fast zu sympathisch und seinem sonoren Baß fehlt das letzte Quentchen an teuflischer Bösartigkeit.
Wiard Withold überzeugt als Heerrufer. Im Erscheinungsbild eines Priesters ist er ein Einpeitscher, der es schafft, die Volksmassen auf Kriegskurs zu trimmen. Der durch den Coruso Chor und Extrachor verstärkte Chor des Anhaltischen Theaters unter Helmut Sonne brilliert, daß man es sich nicht besser wünschen könnte.
Andrea Moses gelingt in der Ausstattung von Christian Wiehle ein zeitloses hochpolitisches Werk. Die Verführung des Volkes, die Abhängigkeit durch Lobbyisten und politische Willkür waren und sind immer tagesaktuell. Boshaft könnte man auch sagen: Nach der Wahl ist vor der Wahl. In ihrem Schlußbild erscheint auf Heinrichs Befehl eine weitere Marionette, Gottfried, schnell zu rechtgeschustert mit Kindermaske. Während das Volk nun wie paralysiert gen Osten marschiert, steht eine geistig nun völlig klare Elsa am Rand, die alle Avancen von Heinrich und dem Heerrufer ablehnt.
 
Klug durchleuchtet

Der Abend dieser klug durchleuchteten, romantikfreien Inszenierung endete unter einhelligem Jubel für Sänger und Orchester.
Das Anhaltische Theater lud im Anschluß an die Aufführung zu einer Diskussion ein. Rege Beteiligung des Publikums führte zur Auseinandersetzung mit dem Abend für beide Seiten. Regie, Dirigent und Sänger stellten sich den Fragen der Zuschauer. Kontroverse Auffassungen prallten aufeinander, blieben aber an diesem Abend von Seiten der Wagnerianer (noch) sachlich.
 
Redaktion: Frank Becker