Granit

von Friederike Zelesko

Foto © Frank Becker
Es gibt eine Stille, in der man meint,
man müsse die einzelnen Minuten hören,
wie sie in den Ozean der Ewigkeit hinuntertropfen.
 
Adalbert Stifter

Granit
 
 
Der Bayerische Wald ist dunkel und still, kein Vogellaut ist zu hören, kein Wild scheucht bei meinem Schritt. Ein aufgemaltes schwarzes Eichhörnchen auf einer Tafel markiert den Weg, auf dem ich langsam mit dem Förster bergwärts steige.
 
Erste Regentropfen fallen auf mein Gesicht. Der Förster führt zum Teufelsloch. Eine Sage erzählt, daß dort ein junger Teufel beim Spielen übermütig die Granitblöcke durcheinander warf. Seine Großmutter war sehr erzürnt darüber und zog ihn in die Tiefe. Heute noch hört man tief unten sein Jammern. Es übertönt das Rauschen der kleinen weißen Ohe, die unter den Granitblöcken ihren Lauf zur Donau nimmt.
 
Als ich eine Granittreppe hochsteige, mein Atem immer schwerer wird, ich meinen Herzschlag im Hals spüre, weiß ich, daß dieser Wald nicht sanft ist. Der Farn zwängt sich durch Granitspalten. Die Tannen halten sich mit ihren Tellerwurzeln am Granit fest. Es ist eine Umklammerung die mir den Atem nimmt. Der Schweiß auf meiner Kopfhaut beißt sich in die Haarwurzel. Die Waldschlucht horcht an Stämmen hoch, um in der Totenstille das Rauschen der Baumkronen zu hören. Nur die kleine weiße Ohe springt von Stein zu Stein und weiß nicht, daß sie später schwarz wird, wie einer, der im Moor gebadet hat.
 
Die Zeit ist aus meiner Uhr und der Tag aus meinem Gelenk gesprungen. Ich steige die steinerne Himmelsleiter hinauf, über die Baumgrenze und stehe am Blockmeer des Lusen. Der Granit, der Himmel und ich lehnen am Gipfel-kreuz. In der Schutzhütte lehne ich meinen Rücken an den Kachelofen und seine Wärme wächst durch meine nassen Knochen, wie der Farn durch die Spalte des Steins.
 
 
© Friederike Zelesko – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009