Große Oper zum kleinen Preis

Sternstunden des Musiktheaters

von Peter Bilsing
Sternstunden des Musiktheaters
 
Große Oper zum kleinen Preis
 
Zehn ausgesuchte DVDs für die erste Opernvideothek
zum kleinen Preis – von Arthaus / Der Stern


 
„Die Fledermaus“
 
Ein Kleinod. Handelt es sich doch um die legendäre Schenk-Inszenierung der Silvestervorstellung von 1980, Live-Aufnahme, aus der Wiener Staatsoper. So und nicht anders muß diese wunderbare Operette inszeniert und gespielt werden. Dirigent Guschlbauer trifft ansatzweise fast die Leichtigkeit der genialen Aufnahme von Carlos Kleiber mit den Münchnern. Die Besetzung ist das Maß der Dinge seiner Zeit (und vielleicht noch heute): Bernd Weikel (Eisenstein), Lucia Popp (Rosalinde), Brigitte Fassbaender (Orlofsky), Walter Berry (Dr. Falke) und die Gesangslegende Edita Gruberova als Adele. Was für Namen! Die Bildregie, Otto Schenk nahm sie selber in Angriff, ist für die damalige Zeit ausgesprochen modern. Das alte PCM-Stereo klingt tadellos. Nach all dem Schrott, den man sich als Kritiker heute so anhören und ansehen muß, ein nostalgischer Genuß. Einfach großartig; und vor allem nicht textmodernisiert!
 
„Elektra“
 
Monumentaler geht es kaum. Sowohl im Orchestergraben mit Claudio Abbado und den Wiener Philharmonikern, als auch auf der Bühne. Dort präsentiert das legendäre Dreigespann: Harry Kupfer (Regie), Hans Schavernoch (Bühnenbild) und Reinhard Heinrich (Kostüme) das szenisch Machbare an Monumentalem. Gleichzeitig läßt Abbado das Orchester leuchten und mit der gebremsten Brachialgewalt eines gigantischen Orchesterapparates von sagenhaften 40 Bläsern die Zuschauer erschüttern. Ein Orchester von Wagnerformat, welches hier aber durchaus auch kammermusikalisch klingt; was ihm viele eingefleischte Wiener Krawallmusikfans übel nahmen. Besser wurde selten Strauss´ hochchromatische, an vielen Stellen auch dissonante Musiksprache, so einfühlsam zelebriert. Dabei läßt Abbado den Sängern nicht nur genügend Luft, sondern ziseliert auch feinste motivische Verästelungen derart feinsinnig, daß es eine Freude ist. Leider ist die Bühne meist zu dunkel und man kann, auch mangels der damals noch recht lichtabhängigen Aufnahmetechnik, nicht alles sehen, was der Live-Zuschauer mitnahm. Die phantastischen Sänger sind allerdings die ultimative Besetzung: Eva Marton (Elektra), Brigitte Fassbaender (Klytämnestra), Cheryl Studer (Chrysothemis), Franz Grundheber (Orest) und James King als Äghisth. Eine legendäre Aufnahme in jeder Beziehung. Ton gut – Bild schlecht, aber damit muß man halt leben.
 
„Die Zauberflöte“
 
Aus der Opera National de Paris stammt diese Aufnahme von 2001. Phantasiereiche und schöne Bilder liefert Regisseur Benno Besson zusammen mit Jean Marc Stehle (Bühne und Kostüme). Keine psychologische Überfrachtung oder Modernisierung: Alles ist einfach schön! Frische Stimmen, sehr gutes Orchester unter dem herausragenden Ivan Fischer und eine szenische Gestaltung, die der Bühne endlich wieder ihren Ursprungsnamen „Zauberkasten“ zurückgibt. Auch auf dem Heimbildschirm großartig anzusehen. Tadelloser 5.1. Digitalton und eine saubere Aufnahmetechnik garantieren einen superben, farbenprächtigen Opernabend zu Hause. Keine Mätzchen – Mozart pur und traditionell, in bezaubernden Bilder, für die ganze Familie.
 
„Der Barbier von Sevilla“
 
Regisseur Hampe garantiert für zuverlässige Werktreue. So wie die Oper uraufgeführt wurde, brachte sie der Altmeister auch in Schwetzingen 1988 auf die Bretter, welche die Opern-Welt bedeuten. Der Barock des Theatergebäudes wird nahtlos auf der Bühne weiterzelebriert. Als wäre die Zeit 1816 stehengeblieben. Daß Rossini in diesem Ambiente auch noch heute die Menschen begeistert, ist eines der großen Wunder der Gattung. Die ganze Produktion prägt ein Weltstar. Wer Cecilia Bartoli hat, ist immer Sieger. Eine perfekte Komödiantin und noch bessere Sängerin. Heute ein Mega-Star. Das Maß der Dinge im Rossini-Gesang anno 1988. Nicht nur für Bartoli-Fans interessant, welche die heutigen Weltmarktpreise für ihren Star nicht mehr bezahlen können, sondern einfach auch etwas für Opernfans, die sich gerne in die Vergangenheit zurückbegeben möchten. Mit dieser Scheibe wird´s gelingen.
 
„Fidelio“
 
Beethoven unter Harnoncourt und das auch noch mit dem, für mich persönlich, besten Opernorchester der Welt, den Zürchern. Ein Zuckerl! A Wahnsinn! „Welch ein Augenblick…“. Die Besetzung dieser aus dem Jahre 2004 stammende Aufnahme kann sich nicht minder sehen und hören lassen: Camilla Nylund, Jonas Kaufmann, Alfred Muff. Alles was aktuell Rang und Namen hat. Wer diesen Harnoncourt-Beethoven noch nicht gehört hat, hat Beethoven noch nie richtig gehört – wage ich kühn zu behaupten. Perfekt in Szene gesetzt und sogar in DTS abhörbar. Schade, daß zwischen Kerkerszene und Finale die dritte Leonoren-Ouvertüre in der Tradition Gustav Mahlers heuer nicht gespielt wird. Wofür gehen wir eigentlich realiter noch in die Oper bei diesem Video-Angebot? Die Bildregie ist ein bißchen behäbig und folgt dem Eishockey-Prinzip: Wo der Puck ist, sprich wo die Hauptfigur singt, da ist die Blende auf. Jürgen Flimms Regie ist nicht weltbewegend, aber werktreu. Die moderne Technik der Kameras lassen auch dunkelste Stellen dramaturgisch im rechten Licht erscheinen. Die Lichtregie von Jakob Schloßstein ist mehr als beeindruckend. Friedvoller „Fidelio“ bar jeder Experimente und platter Aktualisierung. Ein großer Opernabend zum kleinen Preis!
 
„Tannhäuser“
 
Daß in einem solchen Opernpaket auch mal eine „moderne“ Inszenierung sein muß, ist eine Selbstverständlichkeit. Wie modern sie ist, da hat jeder andere Vorstellungen: Ich würde sagen, „gemäßigt modern“. Die grandiosen Bilder der ersten Viertelstunde hält Regisseur Alden zwar nicht durch, aber es bleibt eine große Inszenierung. Und nach fünf Minuten weiß auch die unwissendste Seele, warum wir heute von „Musiktheater“ sprechen. Ich halte René Kollo immer noch für einen der besten Tannhäuser- bzw. Lohengrin-Sänger-Darsteller der Siebziger/Achtziger Jahre. Daß er anno 1995 nicht mehr das jugendliche Heldenpotential hat, macht er durch große Ausdruckskraft, enorme Textverständlichkeit und intelligente Rollengestaltung (vergl. Wolfgang Windgassen) wett. Kollo schont sich nie, und er weiß was er singt! Man kann sich eigentlich mit dieser Mörder-Partie nur die Stimme ruinieren; der Ruhm für soviel Engagement und Opfer ist meist unangemessen marginal. Doch wie grandios ist die sensationelle Waltraut Meier! Ich habe selten eine bessere Venus gesehen und gehört. Zubin Mehta, dessen Fan ich nicht bin, liefert hier eines seiner besten Dirigate ab. Das Bayerische Staatsorchester spielt in Topform. Alle Opernsteinzeitler und Museumswächter muß ich allerdings warnen: Vorsicht Nackte! Man kann ja den Fernseher dezent verhüllen – nach 15 Minuten könnt Ihr den Schleier wieder abnehmen! Danach ist und bleibt alles relativ friedlich. Prächtiges, großes und spannendes Musiktheater! Auch das ist Oper. Gelungene Bildregie (Brian Large) und exorbitant guter PCM-Stereo Ton. Gelungene zeitgemäße Wagner-Rezeption außerhalb Bayreuths.
 
„La Traviata“
 
Lebensgierige Edelprostituierte, die mit jungem Mann aus reichem Haus eine Liaison hat, liebt diesen aufrichtig und muß ihn dennoch aufgeben. Stichwort: Familienehre! Zugleich schreitet ihre Tuberkulose fort, an der sie melodramatisch im dritten Akt stirbt. Schnüff…. Was für eine erschütternde Geschichte – das muß Oper sein! Kein Geringerer als Alexandre Dumas lieferte mit seiner „Kameliendame“ die Vorlage. Verdi schrieb bezaubernde Melodien dazu, die sogar für triviale Schlager mißbraucht wurden. („Ich hab Dein Knie gesehen…“) Diese Live-Aufnahme aus der Scala von 2007 ist so tränenrührig wie schön. Und Lorin Maazel tut alles und mit schönsten Rubato, daß die Taschentücher am Ende feucht werden. Selten ist jemand filmschöner gestorben und hat dazu brillanter gesungen, als die grandiose Angela Gheorghiu; und zusammen mit Ramon Vargas bildet sie ein echtes akustisches Traumpaar der Opernbühne. Ja, ich weiß, Alagna sieht besser aus und paßt auch optisch edler zur Gheorghiu, aber er singt auch nicht ansatzweise so gut, wie Vargas! Wenn nicht nur immer so dazwischengeklatscht würde vom unsensiblen Publikum – aber so sind sie halt die Italiener. Kirmes, Zirkus, Oper. Dennoch, diese Scheibe muß eigentlich jeder Opernfreund sein Eigen nennen. Bitte stets mit einer Packung Papiertaschentücher verschenken. Perfekte Scala-Qualität für Opernpuristen, als ein aufwendiges Opern-Spektakel von Liliana Cavani auf die Beine gestellt. Nebenbei: synchroner zur Musik als hier hat sich nie ein Vorhang geschlossen!
 
„La Bohème“
 
Betagte Studenten feiern ihr 52. Semester bei stellenweisem Kerzenschein und mit angeklebten Rausche-Bärten zu Puccini-Musik. Ein Alptraum moderner Regietheaterfans! Dennoch muß irgendetwas an dieser Produktion dran sein, da sie Abertausende von Opernfreunden begeisterte. Ähnliche Produktionen kennen wir heute nur noch aus der Wiener Staatsoper oder den Kindertagen der Gattung. Wer tut sich so etwas an und warum? Die Antwort ist ganz einfach und lautet: Luciano Pavarotti und Mirella Freni und Puccinis vielleicht beste Musik. Zwei Megastars im schönstes Opernmuseum - live aus dem San Francisco Opera House anno dunnemals 1988. Nicht 1888!
 
„Carmen“
 
Placido Domingo, Elena Obraztsova und die Wiener Philharmoniker unter einer Dirigenten-Legende: Carlos Kleiber. Regie: Franco Zeffirelli. Mehr braucht man nicht zu sagen!
 
„Werther“
 
Der krönende Abschluß und mein persönlicher Favorit ist die Werther-Scheibe, eine Aufnahme von 2005; allein schon das berauschende Dirigat von Philippe Jordan macht diese DVD zum verpflichtenden Besitz echter Opernfreunde. Die Wiener Philharmoniker spielen geradezu göttlich. Eine fulminante Regiearbeit von Regisseur Andrei Serban im überzeugenden naturalistischen Bühnenbild von Peter Pabst. Sie versetzten das Stück aus seiner Entstehungszeit in die 50er Jahre. Es klappt perfekt! Das ist Musiktheater vom Feinsten, edel und völlig unprätentiös in Szene gesetzt. Und was für Sänger: Marcello Alvarez und Elina Garanca! Die „Shooting Stars“ der aktuellen Opernszene. Das beste, was man auch anno 2010 noch auf der Opernbühne hören kann. Hier geht jedem Opernliebhaber das Herz auf. Schöner kann Oper nicht sein.
 
 
Was hier die Zeitschrift „Der Stern“ in Realisation mit der Plattenfirma „Arthaus“ aufgelegt hat, ist wirklich sensationell. Auch sensationell preiswert. War schon der angesetzte Verkaufs-Preis mit 139 Euro enorm günstig - die einzelnen Scheiben kosten ja stellenweise noch 30-40 Euro - so ist diese Kassette bei Amazon mittlerweile schon für unter 100 Euro zu haben - für 10 komplette Opern! Unglaublich. Das bedeutet eine Oper zum Preis einer Kinokarte. Geradezu geschenkt für den hohen künstlerischen Gegenwert. Hier wurde ein Grundrepertoire sehr geschickt ausgewählt. Geradezu ideal für Operneinsteiger, aber auch für den alteingesessenen Opernfreund. Schlagen Sie zu, denn zu diesem unglaublichen Preis-Leistungsverhältnis bekommen Sie Weltklasse-Oper aus solchen Metropolen bestimmt nie mehr. Und mal ganz offen: Für 100 Euro sitzen Sie in Wien, Mailand, New York oder Zürich nicht gerade auf den besten Plätzen. Einmal kaufen und unendlich oft genießen. Sparen Sie sich die Kino-Übertragungen aus der Met.
 
P.S.: Der Rezensent des OPERNFREUNDES bekommt für diese Kritik keinen Cent. Aber es ist ihm eine Herzensangelegenheit, möglichst viele Menschen für die Oper zu begeistern. Dazu ist diese Kassette eine wunderbare Motivation und ein brillanter Einstieg. Ich wünsche Ihnen viele schöne traumverlorene Opern-Abende, mit oder ohne Taschentuch.
 
Weitere Informationen unter: www.guj-direct.de/stern und www.arthaus.de
 
 
Eine Übernahme mit freundlicher Erlaubnis des Magazins „Der Opernfreund“
Redaktion: Frank Becker