Grandioser Musiktheater-Tanzabend an der Dortmunder Oper

Xin Peng Wang - "the last future"

von Peter Bilsing
the last future
 



Grandioser Musiktheater-Tanzabend
von Xin Peng Wang
mit viel Woodstock-Music an der Dortmunder Oper
 
Uraufführung 20.2.2010
 
See Me, Feel Me, Touch Me, Heal Me…
Listning to you, I get the music
Gazing at you, I get the heat
Following you, I climb the mountain
I get excitement at your feet (The Who)
 

Ein Text, den man als Leitbild über den ganzen Tanzabend stellen könnte. Xin Peng Wang, Dortmunder Ballettchef und Genius des Tanzes, hatte eine Idee. Diese Idee geht aus von der Raumsonde „Pioneer 10“, die 1972 ins Weltall startete und eine besondere Plakette mit an Bord hatte, auf der die genaue Position des Sonnensystems angegeben ist. Daneben waren zwei Vertreter der menschlichen Spezies abgebildet, ein Mann und eine Frau, nackt. Fünf Jahre später trägt die Sonde „Voyager“ einen goldenen Datenträger in den Weltraum mit Bildern von der Erde, Grußbotschaften in 55 Sprachen und diversen akustischen Tönen, von U-Musik bis zur Klassik, von Chuck Berry bis Stravinsky. Ewige Dokumente unserer freien friedlichen Zivilisation. Friedensdokumente… Exterritoriale Lebensgemeinschaften sollen von uns nur Gutes hören. „All we are same, give Peace a chance!“


Foto: Theater Dortmund
 
Zurück zu den Woodstock-Wurzeln

Musikalisch geht der Choreograf dabei „back to the roots“ und präsentiert originale Meilensteine der Pop/Rock-Musik – zurück zu „Woodstock“ im August 1969. Das Kultfestival war nicht nur Höhepunkt der damaligen Hippie-Bewegung, sondern auch Markstein und Aufschrei für die Musik der Antikriegsbewegung; hier sammelten sich die Künstler, die ihre Hörer nicht nur musikalisch besäuselten oder Beatles-mäßig einlullten, sondern die mit Ernsthaftigkeit und Engagement ihre Stimme gegen den (Vietnam-)Krieg erhoben. Das „Who ist Who“ der international ernstzunehmenden Rockszene war vertreten. Unvergessen für mich die Amerikanische Nationalhymne mit den verzerrten Gitarrenriffs von Jimi Hendrix, das vom Regen überflutete „Going home by Helicopter“ von Ten Years After, der kerzenbeschienene Song „Joe Hill“ von Joan Baez oder die „Summertime“-Interpretation der grandiosen Janis Joplin (The Rose). Insgesamt wurden an diesen drei legendären Tagen rund 230 Stücke gespielt. Sowas hat es nie wieder auch nur ansatzweise gegeben.
 
Dazu ein Pop-Kessel Buntes

Dazu fügte Xin Peng Wang etwas Sinéad O´Connor, bisserl Beethoven, Tom Waits und Wendy Carlos (Soundtrack zum Antigewalt-Film „Clockwork Orange“) – was für eine kühne Zusammenstellung.
Xin Peng Wang versucht die intrinsische Antikriegsthematik der meisten Stücke sehr einfühlsam aufzunehmen; erst am Ende, wenn sich zu Pink Floyds revolutionärer Umma-Gumma-Musik im wahrscheinlich besten Schlagzeug-Solo aller Zeiten die Lichteffekte als Luftbilder von Bombeneinschlägen entpuppen, dann stockt doch der Atem und es schnürt einem die Kehle zu. Da brauchen wir dann das alles auflösende wunderbare Lied „Freedom“ von Joan Baez, welches die Tanzchronologie geradezu bestechend hoffnungsvoll abschließt. Und vielleicht nicht in den Herzen aller Zuschauer, aber in meinem und vieler weiterer anwesender Alt-68-er, keimt urplötzlich so eine Art Woodstock-Gefühl wieder auf. Und man hat Tränen in den Augen, daß die Weltgemeinschaft seit damals, als wir noch gegen den Krieg in Vietnam auf die Straße gingen, eben doch nichts, aber auch gar nichts, gelernt hat.
 
Ballett der Lebensfreude

Getanzt wird an diesem 20-teiligen Abend prachtvoll. In den Akteuren begegnen wir den vielen möglichen Geschichten des anfangs erwähnten Erden-Paares, immer wieder wird das Ernsthafte durch Ensembles köstlicher Revue-Tänzer oder Partygirlies aufgelockert, und wenn die Marvelettes im Original „Please Mr. Postman“ piepsen, Santana rhythmisch mit „Soul Sacrifice“ zur Hippie-Beach-Party auffordert oder Lesley Gore ihren Teenie-Hit „Let´s have a party“ trällert, dann ist fröhliche Spontaneität auch im Publikum so angesagt, wie bei den Ballett-Tänzern, auf deren Gesichtern der Spaß und die Freude auch an solch populären Tanzbewegungen leuchtet. Auch wenn manches haarscharf an der Grenze zum Kunstgewerbe liegt, so ist doch die Ernsthaftigkeit des tänzerischen Gesamtkonzepts überzeugend: die stete, stets durch externe böse Kräfte gestörte Suche nach Freiheit auf den Flügeln der Zweisamkeit, getragen von Euphorie, Düsternis, Liebe und Haß, sowie der Unmöglichkeit des friedfertigen Zusammenlebens. Überleben im Alltag „with a little help from my friends“. Ist es nicht das, was wir und unsere Gesellschaft heute vordringlich brauchen?
 

Foto: Theater Dortmund
„Imagine there's no Heaven, it's easy if you try. No hell below us, above us only sky. Imagine all the people, living Life in Peace.“ Doch jeder Traum endet. “You may say that I'm a dreamer, But I'm not the only one. I hope someday you'll join us, And the world will be as one.” (J. Lennon) Wang führt uns am Ende mit Pink Floyd barsch in die Realität zurück.
 
Und es ist gerade der Mißbrauch von Kultur, den Wang treffend so tituliert und für den er erstaunliche Bilder choreographiert: „Auch Beethoven wurde von uns in den musikalischen Kanon eingebunden. Zu allen Zeiten atmete er etwas Universelles und dient als akustische Rechtfertigung. Im Nazi-Regime hatte er genauso seine propagandistische Funktion, wie beim Sturz der Sowjetunion. Der Mauerfall wird mit seiner Ode an die Freude begangen. Beethoven ist Pop….seine Musik ist Ausdruck von Besinnung und visionärer Klarheit.“
 
Und Beethoven? - ...war ein Rocker!

Natürlich ist Beethoven ein Rocker gewesen, und garantiert ist er, von uns allen unsichtbar natürlich, auch beim Woodstock-Friedens-Musik-Festival dabei gewesen. Laßt Euch zu mehr Gedanken über Frieden auf der Welt inspirieren und fahrt nach Dortmund! Ein Ballettereignis, ein akustisches Memento Mori, ein intelligent gestalteter Tanzabend, ein anspruchsvolles Happening im Rahmen eines tollen Balletts erwartet den Besucher. Ein aufregend geglücktes Theaterereignis für alle Generationen. Dank auch an: Helena de Medeiros für die gelungenen Kostüme, die überzeugende Bühne von Bernd Damovsky, das stimmungsvolle Lichtdesign von Leo Cheung sowie das Videodesign von Victoria Coeln.
 
 
Weitere Termine: 25.2.  / 28.3.  / 17.4. / 30.4.  / 21.5. / 3.6. / 12.6. / 25.6.
Weitere Informationen unter: www.theaterdo.de

Redaktion: Frank Becker