Nicht scheusälig genug

Ulf Stengl inszeniert in Bochum Jean Genets "Die Zofen"

von Frank Becker
Der Kampf mit der Ventilation
 
In Bochum haderten die leisen Dialoge
der „Zofen“ Jean Genets
in Ulf Stengls
 Inszenierung mit der Lautstärke der Belüftung



Regie
: Ulf Stengl – Bühne: Silvia Merlo – Kostüme: Veronika Bleffert – Licht: Falk Hampel – Dramaturgie: Dietmar
Böck
- Fotos: Wolfgang Silveri -  Besetzung: Imogen Kogge (Claire) – Manuela Alphons (Solange) – Evamaria Salcher (Madame)
 
Nicht scheusälig genug
 
Sicher, es wurde auch durchaus lautstark von Claire (Imogen Kogge) und Solange (Manuela Alphons) das Wort geführt - im Rollenspiel Herrin/Dienstbolzen und in der Diskussion ob und wie man Madame (Evamaria Salcher) umbringen soll. Doch da, wo es leise wurde, übernahm die Ventilation die Regie. Gut, man braucht frische Luft im kleinen Saal der Bochumer Kammerspiele - und durchaus auch etwas Kühlung angesichts des reizvoll dekolletierten Kleides von Madame. Aber doch nicht auf Kosten der Verständlichkeit!
Aber zu Jean Genets „Die Zofen“ oder wie sie 1958 im Wiener „Theater am Fleischmarkt“ hießen „Die Dienstboten“: Im selben Jahr auch in Berlin an der „Tribüne“ aufgeführt, wird Genets Stück von Friedrich Luft ob seines Giftes, seines Hasses, seiner Bosheit und Qual höchlichst gelobt. Beschreibungen wie „scheusälig und hinreißend“, „mit wollüstiger Menschenverachtung“ und „perfid intelligent“ lassen ahnen, was seinerzeit die drei ebenfalls gelobten Darstellerinnen unter der Regie von Hermann Herrey auf die Bühne brachten.
 
Dramatische Groteske
 
Davon findet man wenig bei der von Ulf Stengl inszenierten Bochumer Aufführung, die einerseits zwar

Foto © Wolfgang Silveri
haßvoll lärmt und spuckt, bis Claire die Beschimpfungen ausgehen, zum anderen durch die nur schöne Madame in einer gewissen Gefälligkeit versackt. Zwei in Fat-Suits gepackte ältliche Dienstmädchen – es erschließt sich nicht, warum sie unbedingt fett sein müssen – wetteifern darin, sich im Haß auf ihre Herrin zu übertreffen, sich im Rollentausch schmerzhaft anzutun, was sie ihrer Madame verübeln. Ja, den Tod soll sie sogar finden, das literarisch bewährte Veronal im Tee soll es vollbringen. Das darf alles überzogen werden, schließlich ist es eine dramatische Groteske der damals (1947) neuen französischen Schule, zu der auch Ionesco zählt. Aber auch das Überziehen hat Grenzen, wenn man nicht Ciulli heißt. Imogen Kogge und Manuela Alphons überzeugen nicht.
 
Keine Friedhofsblumen
 
Den Monsieur hat aufgrund anonymer Diebstahls-Beschuldigungen der Zofen zwar nicht der Teufel, aber immerhin die Polizei geholt. Da aber bald herauskommen wird, wer dahinter steckt, ist das Ende der beiden im Grunde besiegelt. Es sei denn, man brächte die Madame um. Die stellt man sich als bösartige Domina, als Drachen vor. Was aber irgendwann in das spärliche Boudoir hereintänzelt, ist ein hübsches junges Weib von ansprechendem Äußeren, oberflächlich ja - und gut: ein ganz klein wenig läßt sie die Chefin raus. Darf sie. Ist sie ja auch. Aber zu dumm zu bemerken, daß die beiden Schranzen sie mit Gladiolen, Rosen und Mimosen eigentlich ihrer Liebe versichern (oder hat die Bühnenausstatterin ohne Kenntnis der Blumensymbolik ausgestattet – denn sie beklagt „...ihr begrabt mich unter Friedhofsblumen“. Es sind keine.
 
...dein Gift wirkt schnell
 
Das Mordkomplott misslingt, Madame trinkt den ihr zugedachten Tee nicht, eilt lieber zur Freilassung

Foto © Wolfgang Silveri
von Monsieur. Das hat Ulf Stengl turbulent in Szene gesetzt. Überhaupt liegen im Aufeinandertreffen der Dame und der Zofen die stärkeren Momente. Schließlich trinkt Claire den Tee, doch keineswegs aus Versehen. Sie macht dem grausamen Spiel damit für sich ein rasches, nicht überraschendes Ende.      
„O wackrer Avantgardist, dein Gift wirkt schnell“ schrieb Friedrich Toberg zur damaligen Wiener Aufführung und nahm das Stück ebenso wenig ernst wie ich das heuer in Bochum konnte. Hier wirkte das Gift eher als Schlafmittel. Interessant am Rande: 1952, als der junge Peter Zadek das Stück in England erstaufführte, war es von der Zensur verboten! Und als er  Genets „Balkon“ auf die Bühne brachte, wollte Genet ihn eigenhändig auf daselbst erschießen. Es kam zum Glück auch zu dieser Mordtat nicht.

Weitere Informationen und Termine unter:  www.schauspielhausbochum.de