„Glück, das uns verblieb“

Thilo Reinhard inszeniert in Gelsenkirchen Korngolds "Die tote Stadt"

von Peter Bilsing
„Glück, das uns verblieb“ - dafür 5 Sterne
vom OPERNFREUND
 
Die tote Stadt
 
Oper von Erich Wolfgang Korngold
Text von Paul Schott nach dem Roman „Bruges la morte“ von Georges Rodenbach (UA 1920)

Musikalische Leitung: Heiko Mathias Förster – Nachdirigat: Rasmus Baumann – Inszenierung: Thilo Reinhard – Bühne: Wilfried Buchholz – Kostüme: Gisa Kuhn – Choreinstudierung: Christian Jeub – Kinderchoreinstudierung: Alfred Schulze-Aulenkamp – Dramaturgie: Juliane Schunke - Fotos: Pedro Malinowski
Besetzung: Burkhard Fritz/Norbert Schmittenberg (Paul) - Majken Bjerno (Marietta/Erscheinung Mariens) - Bjørn Waag (Frank/Fritz der Pierrot) - Almuth Herbst (Brigitta/Juliette) - Alfia Kamalova (Lucienne) - Lars Rühl/William Saetre (Victorin) – E. Mark Murphy (Graf Albert)
 
Premiere 27. Februar 2010, Großes Haus
 

Aus Deutschland vertrieben, in Hollywood ein Star

Erich Wolfgang Korngolds „Die Tote Stadt“ ist ein gewaltiger Wurf. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts war das Meisterwerk dieses damals 22-jährigen Genies eines der meistgespielten Opern in Deutschland und Österreich. Beeindruckt hatte er allerdings schon als 18j-ähriger mit den Stücken „Der Ring des Polykrates“ und „Violanta“ (UA 1916). Um den Nazis zu entgehen (Korngold war der Sohn des berühmten jüdischen Musikkritikers Julius Korngold), übersiedelte er 1934 in die Vereinigten Staaten, wo ihm eine zweite Karriere als Filmmusik-Komponist gelang. Bei Warner Brothers beschäftigt erhielt er 1936 für den Film „Anthony Adverse“ im Jahr darauf schon den ersten Oscar; der zweite folgte 1938 für „The Adventures of Robin Hood“ (Michael Curtiz, Errol Flynn). Diese und seine anderen Werke wurden prägend für die gesamte Hollywood-Film-Branche. Insgesamt schrieb er zwischen 1935 und 1946 die Musik für sagenhafte 19 Filme. Leider wurden seine von den Nazischergen in Deutschland verbrannten Noten nach dem Krieg nicht wieder rehabilitiert. Seine spätromantisch tonale Kompositionsweise wurde von der zeitgenössischen Kritik ignoriert und so wurde er praktisch ein zweites Mal vertrieben. Vergessen und ignoriert von seiner Heimat starb er 1957 in Los Angeles. Welch tragisches Schicksal eines der größten deutschsprachigen Komponisten…
 
Posthume Würdigung

1975 in New York, dann 1983 in Berlin (Götz Friedrich) erfolgte jedoch endlich die Rehabilitation seiner Meisterwerke. In Folge wurden Korngolds Opern so langsam wieder seßhaft in Europa. Große

Majken Bjerno, Burkhard Fritz - Foto © Pedro Malinowski
Verdienste kamen dabei besonders dem Bielefelder Theater zu, das unter John Dew auch „Das Wunder der Heliane“ in den Achtzigern wieder ausgrub und rehabilitierte. Danach gab es in Düsseldorf unter der Intendanz von Kurt Horres mit dem damals noch jungen, völlig unbekannten angehenden Opernregisseur Günter Krämer eine sensationelle Inszenierung der „Toten Stadt“ - Krämer spiegelte die Geschichte in dem Hitchcock Film „Vertigo“ zu einem atemberaubenden Opern-Reißer. Versuche mit Hitchcock-Motiven gab es noch später bei „toten Städten“ in Hagen und später Aachen. Zwar ist es Blödsinn, aber ich erwarte eigentlich bei fast jeder Neuinszenierung immer noch, daß Norman Bates einbalsamierte Mutter, als Marie doch hinter der zugemauerten Zimmertür im Finale auftaucht…
 
Thilo Reinhard inszeniert grandios

Nun hat sich das Musiktheater im Revier (MiR) dieses grandiosen Meisterwerkes angenommen. Und Intendant Michael Schulz fährt weiter auf der Glückslinie, die ihm mit den meisten Stücken seit Übernahme der Leitung des Hauses hold bleibt. Er bringt ein junges Regieteam, welches unter Leitung des Regisseur Thilo Reinhard eine Inszenierung auf die Bühne zaubert, die man einfach gesehen haben muß. Hier stimmt alles. Wunderbare Bilder und eine Regielinie, die konsequent das Stück irgendwo in den düsteren Nachwehen der Trümmer und deformierten Menschen des Ersten

Majken Bjerno - Foto © Pedro Malinowski
Weltkriegs und den Kulturfragmenten zerbröselnder k.u.k. Zeit ansiedelt; handlungskonsequent bis zum Schluß. Sogar der alte Kaiser Franz tritt in stummer Rolle auf. Damit reflektiert er die Erlebnis- und Jugendwelt des jungen Komponisten Erich Wolfgang Korngold. Wenn die Mauern des öden Zimmers aufbrechen, dann in eine Welt der wahrlich auferstandenen Toten: Kriegsheimkehrer mit amputierten Gliedmaßen (auch sein Freund Frank hat nur einen Arm) zwischen Trümmerfrauen und schon wieder schwangeren deutschen Mädels. In aufgebrochen Planken und knietiefem Wasser spiegeln sich auf der Bühne die morbiden Reste einstiger Kulturen. Ob Brügge oder Venedig, der Tod hat überall seine Spuren hinterlassen. Wilfried Buchholz verdient für Bühne und bis ins feinste ausziselierte Beleuchtung (Lichtregie: Jürgen Rudolph) den Bühnenbild-Oscar. Gisa Kuhn hat dazu die zeitgemäß passenden Kostüme entworfen. Bei soviel Depressivität muß die Oper einfach positiv enden und so ist es ein durchaus überzeugender Schluß, wenn Paul die alten Devotionalien schließlich genauso verbrennt, wie seine Militärklamotten.
 
Burkhart Fritz - ein Ausnahmesänger

Stehend gegebene Ovationen und Jubel ohne Ende, zu Recht auch für einen Ausnahmesänger. Burkhart Fritz kehrt ans Haus seines Karriere-Starts zurück. Vom lyrisch noch relativ leichten Räuberhauptmann Verdis ist er nun zum hoch-dramatischen Wagner-Tenor gereift. Ein Sängerdarsteller, der sich in diese - wahrscheinlich schwierigste Partie aller Zeiten - einbringt, daß es dem Kritiker die Tränen in die Augen treibt. Der blanke Wahnsinn! Fritz läßt schon im ersten Teil keine Höchstschwierigkeit aus, umgeht oder lanciert nicht einen der hohen Spitzentöne. Geradezu kühn und fast selbstmörderisch stürzt er sich in diese höllische Partie, daß uns angst und bange wurde, ob er im zweiten Teil noch reüssieren kann, doch er kann. Wie von Engelsflügeln getragen lotet er alles in Perfektion aus. Was für ein Sänger! Was für eine Interpretation! Burkhard Fritz gibt alles und macht die Zuschauer sprachlos staunen. „Grande!“ Hier wäre das viel mißbrauchte Apercu aus Zuschauermund mal angebracht. Bravo! Bravissimo!
 
Brillante Besetzung - fulminantes Orchester

Alle Hochachtung auch vor den andern Rollen. Das Wort Nebenrollen geht dem Kenner dieser

Burkhard Fritz - Foto © Pedro Malinowski
außergewöhnlich schweren Partien hier nicht über die Lippen. Almut Herbst wächst als „Brigitta“ förmlich über sich hinaus, die recht undankbare Partie des „Frank“ wird von Björn Waag superb gestaltet; großartig auch als Pierrot. Und Majken Bjerno (Marietta) ist mit ihrer tragfähigen Stimme eine ideale Partnerin, selbst in den Hallmomenten als Echo-Stimme Maries überzeugt sie nachhaltig.
Heiko Mathias Förster zaubert mit der neuen Philharmonie Westfalen einen fulminanten Korngold-Klang; alle Achtung. So saubere und konzentrierte Blechbläser habe ich ja über Jahre in Gelsenkirchen nicht gehört. Sensible und zuverlässige Choreinstudierung wie immer von Christian Jeub und Alfred Schulze-Aulenkamp bringt den Kinderchor auf allerhöchstes Niveau. Keiner freut sich mehr als der Kritiker, wenn es mal nichts zu kritisieren gibt, weil alles einfach grandios war - wunderbares und exemplarisches Musiktheater. Musik, die ins Herz geht; Musik, wo die Seele mitschwingt. Auch auf der Heimfahrt spüre ich es noch lange in mir nachschwingen, eben jenes „Glück, das mir verbleib“ nach diesem spannenden und rundum beglückenden Fünf Sterne Abend. Besser kann man Korngolds „Die tote Stadt“ kaum in Szene setzen. Und ich höre den alten Erich Wolfgang Korngold von Wolke Sieben frohlockend bestätigen „Das habt ihr toll gemacht!“
 

Nächste Termine:
4. März, 7. März, 12. März, 14. März, 20. März, 23. April 2010
 
Weitere Informationen unter: www.musiktheater-im-revier.de

 
Eine Übernahme vom Magazin "Der Opernfreund"
Redaktion: Frank Becker