Kein Wort zuviel

Hanna Lemke - "Gesichertes"

von Frank Becker
„Kein Wort zuviel“
 
Hanna Lemke liest aus „Gesichertes“,
ihrem ersten Band mit Erzählungen
 

Wer schon in ihr Buch hineingeschnuppert oder es wie viele Literaturhungrige bereits mit gleichermaßen wachsendem Appetit und Staunen verschlungen hatte, war die Lesung von Hanna Lemke ein unbedingtes Muß. Die Gelegenheit, ein so außergewöhnliches literarisches Talent hautnah mit eigenen Texten zu erleben, ist gar zu rar, wenn der Wuppertaler Auftritt auch ein Heimspiel für die in Berlin (wo sonst?) lebende Autorin mit dem doch irgendwie kurios wirkenden Titel einer Diplom-Literatin war. Aus der eigenwilligen Stadt im Bergischen Land, die außer einer „Hängebahn“, die derzeit nicht fährt, einer berühmten Choreographin, die seit einem halben Jahr tot ist und einem ehemaligen Bundespräsidenten, der ebenfalls nicht mehr lebt, wenig zu bieten hat.
 
Und doch: besonders in der Literaturszene regt sich Vieles. Da ist der Dramatiker, Lyriker und Romancier Karl Otto Mühl, da glänzt der Afrika-Kenner und Gesellschaftskritiker Hermann Schulz mit Romanen und vielfach preisgekrönten Kinderbüchern, da hat Michael Zeller Fuß gefaßt, ein Erzähler, Romancier und Feuilletonist von Rang, und Karla Schneider, von der Kritik als Grande Dame der

Jan Drees, Hanna Lemke - Foto © Frank Becker
Jugendliteratur apostrophiert, schreibt von dieser langweiligen Stadt aus ihre spannenden historischen Romane. Vergessen wir aus der Vergangenheit nicht Armin T. Wegner, Paul Pörtner und Else Lasker-Schüler. Nun also Hanna Lemke.
 
Mit dem Schriftsteller und 1Live-Moderator Jan Drees, ebenfalls Wuppertaler und Autor von „Letzte Tage, jetzt“, einer der besten Romane der jungen deutscher Literatur in den letzten Jahren, hatten die Veranstalter eine gute Wahl getroffen, ist doch kaum ein anderer so nah am Thema. Ihm ist die Überschrift dieses Berichtes zu verdanken, denn er faßte seine Einschätzung der Erzählungen Hanna Lemkes gleich zu Beginn in die drei magischen Worte der uneingeschränkt zu unterstreichenden Bemerkung: „Kein Wort zuviel“. Und genau das wurde bei der Lesung der drei Erzählungen („Ich lese sehr schnell“ – H.L.) auch für die deutlich, die noch nicht hineingeschnuppert hatten: lakonisch, punktgenau, lebensnah sind die Texte, die uns unmittelbar an die jeweils im Zentrum stehende Ich-Figur heranführen.
 
Hanna Lemke steht ihren Texten, die in ihrem Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig wurzeln und fortgeführt nun als Sammlung ihr Literatur-Debüt sind, humorvoll selbstkritisch gegenüber. Muß

Hanna Lemke - Foto © Frank Becker
sie aber nicht, denn selten findet man auf dem weiten Feld der Literatur ein solch präzise, aufs Nötigste reduzierte Sprache, verbunden mit brillanten Anfängen, die dazu dienen, gleich „einen starken Eindruck der Figur zu vermitteln“ (H.L.). Der Vergleich mit der Kurzprosa Wolfdietrich Schnurres ist durchaus angemessen, und Peter Henning hat die Erzählungen „18 gestochen scharfe Polaroids“ genannt. So ist es.
Und worum geht es in ihren Geschichten? Das hat Hanna Lemkes Mutter ganz schlicht und damit akkurat formuliert: Wes geht um Beziehungen, über die die Autorin nicht viel sagt.“ Kleine Begegnungen finden statt, Stimmungen werden skizziert, man will zum inneren Frieden kommen. Nicht mehr und nicht weniger. Aber ist das nicht viel? Hanna Lemkes Lektüre macht reich.
 
Hanna Lemke – „Gesichertes“, © 2010 Verlag Antje Kunstmann, 189 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 17,90 €
 
Weitere Informationen unter: www.kunstmann.de